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Das Dorf Idomeni und der Massenanstrum

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Berichte Nord-Mazedonien
120 zu 13.000 – so lautet derzeit das Verhältnis zwischen den Bewohnern der Ortschaft Idomeni und der Bevölkerung im Auffanglager am Dorfrand unmittelbar an der Grenze zu Mazedonien. Seit Sommer des Vorjahres bevölkern Flüchtlinge und Migranten das Lager, das für 2000 bis 3000 Personen gedacht war, nun aber bei nur 150 Toiletten fünf bis sechs Mal so viele Menschen beherbergt. Je stärker Idomeni zum Nadelöhr auf der Balkan-Route wurde, desto schlimmer wurden auch die Folgen für die Bewohner des Dorfes, die aus Bauern und Pensionisten bestehen. Mit ihnen und der Gemeindevorsteherin von Idomeni hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz gesprochen und folgende Reportage aus Idomeni gestaltet:

Xanthoula Soupli ist eine energische Frau mit einer unmöglichen Aufgabe. Als Vorsteherin der Gemeinde Idomeni kämpft die braunhaarige gelernte Baumeisterin darum, dass das kleine Dorf nicht völlig im Chaos des Massenansturms versinkt. Dazu zählt, dass sie in den Straßen von Idomeni fliegende Händler aus Thessaloniki dazu zwingt, nicht nur an Flüchtlinge und Migranten zu verkaufen, sondern auch den Mist wegzuräumen, der ansonsten zurückbleibt. Die meisten Händler sind Roma, die sich ein Zubrot beim Flüchtlingslager verdienen; vom Gemüse bis zum Bier wird alles angeboten, was Flüchtlinge so brauchen können. Die Händler haben Angst, verwiesen zu werden, daher machen sie ihre Wirkungsstätte sauber. Doch Müllberge produzieren auch die Menschenmassen im Lager selbst.Vor allem bei Regen oder in der Nacht wird der Ortskern von Personen aus dem Aufnahmelager bevölkert, die Schutz suchen. Die Gemeinde hat bisher vergeblich gefordert, dass das Lager verlegt oder die Zahl seiner Bewohner reduziert wird. Unter dem Massenansturm leiden vor allem die Bauern des Ortes, auf deren Feldern nicht nur campiert wird, sondern die mit menschlichen Hinterlassenschaften aller Art überseht sind. Dazu sagt die Gemeindevorsteherin Xanthoula Soupli:    

„Die Dorfbewohner sind Bauern und die Landwirtschaft ist ihre einzige Einnahmequelle. Wenn man bei einem kleinen Dorf ein derart überfülltes Lager ohne ausreichende Infrastruktur hat, ergeben sich Probleme. Jedem muss klar sein, dass nicht nur die Felder beim Lager geschädigt werden; dazu zählen auch die Trampelpfade durch die Felder selbst.“

Zu den praktischen Problemen für den Ort zählt, dass es im Lager zu wenig Brennholz und geeignete Mittel für den Transport gibt; die Mistkübel aus dem Ort dienen zum Abtransport, und natürlich kam es auch zu Diebstählen von Brennholz im Dorf. Hinzu kommt wildes Schlägern von Brennbarem, weil es in der Nacht noch sehr kalt wird. Um ihre gepflegten Gärten fürchten auch daher die Bewohner von Idomeni, die aber auch Mitgefühl zeigen; die Pensionistin Theodora blickt von ihrer Terasse aus direkt auf das Menschentreiben und das Aufnahmelager; den Zwiespalt der Gefühle formuliert Theodora so:

„Wir sind wirklich hilfsbereit und haben den Menschen Töpfe, Pfannen und andere Küchengeräte gegeben. Als Mensch sehe ich das Leiden dieser Menschen hier; doch andererseits haben wir auch Angst vor möglichen gewaltsamen Zwischenfällen. Wenn Menschen verzweifelt sind und ihre Kinder leiden sehen, können sie zu allem bereit werden.“


Angesichts der Menschenmassen blieb die Zahl der Zwischenfälle bisher gering; sollte das Lager geschlossen werden, werden die Bauern von Idomeni ebenso Hilfe für Ernteausfälle brauchen; ob sie der griechische Staat leisten kann und wird, ist aber äußerst fraglich.


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