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Gevgelija zwischen Glücksspiel und Flüchtlingskrise

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Berichte Nord-Mazedonien
Gevgelija liegt unmittelbar an der Grenze zu Griechenland, 140 Kilometer südlich von Skopje. International bekannt wurde die Stadt erst durch die Flüchtlingskrise; seit ihrem Beginn zogen etwa 800.000 Flüchtlinge und Migranten durch das Aufnahmelager der Stadt, das unmittelbar an der Eisenbahnstrecke an der Grenze zu Griechenland liegt. Die Gemeinde Gevgelija zählt 23.000 Einwohner, die Stadt selbst 16.000. Das heißt, dass am Höhepunkt der Flüchtlingskrise binnen zwei Tagen so viele Menschen Gevgelija passierten wie die Stadt Einwohner hat. Für die ohnehin veraltete und unterentwickelte Infrastruktur bedeutet das eine enorme Herausforderungen; außerdem leidet der Tourismus unter der Flüchtlingskrise, weil viele Griechen ausbleiben. Anderseits profitieren Hotels und Pensionen davon, dass immer mehr Polizisten aus der EU hier stationiert werden. 80 sind es derzeit, 450 könnten es werden; heute kamen auch sieben Polizisten aus Österreich. In welche Stadt sie kommen, dazu hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz das folgende Porträt von Gevgelija gezeichnet:

„Faites Vos Jeux“ – Machen Sie Ihr Spiel – Spielcasinos waren in Gevgelija vor der Flüchtlings- und Migrationskrise ein Besuchermagnet für die eher bäuerliche Bevölkerung aus dem griechischen Nachbarland. Unmittelbar hinter dem Grenzübergang Bogorodica stehen zwei große Casinos; beim Roulette kosten Jetons zwischen ein und fünf Euro. Mit vielen Privilegien, vom Gratisessen bis zur kostenlosen Übernachtung, werben die Casinos um die griechische Kundschaft. Doch nun rollt der Rubel viel weniger, die Besucherzahlen sind stark rückläufig; auch der Tanktourismus hat nachgelassen, obwohl Treibstoff in Mazedonien je Liter um bis zu 30 Eurocent billiger ist. Viel billiger als in Griechenland sind auch Zahnbehandlungen, und Zahnärzte werben um Kunden auch auf Griechisch. Der Einbruch im Tourismus hängt auch mit den Streiks der mazedonischen Taxifahrer zusammen. Sie blockieren täglich zwei Stunden die Grenze, weil derzeit wieder nur die mazedonische Eisenbahn Flüchtlinge transportieren darf; eine Fahrkarte kostet 25 Euro pro Person; soviel verlangen auch die Taxifahrer, die sich jedoch gegenüber der Eisenbahn auch finanziell benachteiligt fühlen; warum erläutert Slobodan Tschonic, Sprecher der Taxifahrer in Gevgelija:

„Dafür, dass wir in der Nähe des Lagers parken dürfen, müssen wir der Stadt mehr als einen Euro pro Fahrt mit Flüchtlingen zahlen. Außerdem müssen wir die Sitze unseres Autos nach jedem Flüchtlingstransport desinfizieren, sonst dürfen wir keinen weiteren Transport durchführen. Diese Desinfizierung kostet mehr als 60 Eurocent je Sitz.“

Andererseits leidet Gevgelija unter den enormen Müllbergen, die die Flüchtlinge produzieren. Die meisten Mistwägen sind veraltet und in schlechtem Zustand; die Deponie entspricht keinen europäischen Umweltstandards, Mülltrennung und Recycling stecken in den Kinderschuhen, während die Müllberge wachsen, erläutert Bürgermeister Iwan Frangow:

"Seit dem das Aufnahmelager arbeitet hat sich die Müllmenge um 35 bis 50 Prozent erhöht. Somit ist die Deponie heute nicht mehr ein Lager für den kommunalen Abfall, sondern wir haben jetzt eine Konzentration von Kleidung, Schuhen, Plastikumhängen."

Das Budget der Stadt beträgt nur 6,5 Millionen Euro; das reiche nicht aus, um mit eigenen Mitteln die Infrastruktur an die Herausforderungen anzupassen, die der Menschenstrom aus Griechenland mit sich bringe, betont Iwan Frangow. Experten des UNDP, der UNO-Entwicklungsorganisation, waren gestern beim Bürgermeister. Sie wollen der Stadt helfen, die dringendsten Infrastrukturprobleme zu lösen. Die Leiterin des UNDP, Louisa Vinton, schätzt die Kosten auf etwa zwei Millionen Euro:

"Wir wollen ein Zentrum für die Sortierung des Mülls zu bauen, damit die gesamte Region hier den Müll trennen kann, damit wir hier auch eine Art Recycling einführen können. Außerdem soll die Deponie in ein Gebiet verlegt werden, dass die Umwelt weniger belastet."

Mit dem Geld will das UNDP in Gevgelija auch die Wasserversorgung verbessern: Die Pumpen sind 40 Jahre und älter. Die Leitungsverluste liegen bei etwa 30 Prozent und auch die Qualität des Trinkwassers lässt in der Stadt zu wünschen übrig.

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