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Mazedonien zwischen Alexander und Brüssel

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Berichte Nord-Mazedonien


Vor etwa 2300 Jahren starb Alexander der Große. Ob sich der große Feldherr und Verbreiter des Hellenismus es jemals hätte träumen lassen, dass seine Herkunft auch in einem tagespolitischen Streit eine Rolle spielen würde, ist natürlich eine rhetorische Frage. Doch hinter dem seit 20 Jahren tobenden Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien stehen nicht nur die belastende Geschichte der Balkan-Kriege 1912 und 1913 oder der Folgen des griechischen Bürgerkriegs unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg; dahinter steht auch der Kampf um den Anspruch auf das hellenistische Erbe, der durchaus seine realpolitischen Folgen hat. Vermittlungen durch die UNO brachten bisher keinen Erfolg, die EU steht dem Konflikt eines Mitgliedslandes mit einem Beitrittswerber hilflos gegenüber, und so hat Mazedonien seit fast sieben Jahren den Status eines Beitrittskandidaten ohne Aussicht auf Beitrittsverhandlungen. Diese Stagnation belastet in dem zwei Millionen Einwohner zählenden Mazedonien auch das schwierige Verhältnis zwischen mazedonischer Mehrheit und albanischer Volksgruppe. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz war jüngst in Mazedonien und hat den folgenden Beitrag über den Namensstreit und über ein Volk gezeichnet, das offensichtlich seit Jahren im Schwebezustand zwischen Alexander dem Großen und Brüssel verharrt.

Unter der Bezeichnung „Skopje 2014“ betreibt die nationalkonservative Regierung in der mazedonischen Hauptstadt ein umfangreiches Bauprogramm. Errichtet werden Museen, ein neues Gebäude für Verfassungsgerichtshof und Staatsarchiv und vor allem Denkmäler. Die meisten sind im Herzen der Stadt am „Mazedonien-Platz“ zu finden. Zentrales Monument ist ein 27 Meter hohes Reiterstandbild, das Alexander den Großen darstellt. Das Monument kostete fünf Millionen Euro; das Projekt „Skopje 2014“ spaltet die politischen Parteien aber auch die Bevölkerung, wie eine Straßenbefragung in Skopje zeigt:

Mann

„Ich arbeite in einer Firma die Metalle verarbeitet. Mein Lohn beträgt zwischen 180 und 200 Euro im Monat, das ist sehr schlecht. Doch hier baut man Denkmäler, die niemand braucht.“

Frau

„Das ist gut, weil Skopje hat früher nicht wie eine Hauptstadt ausgesehen. Jetzt bekommt die Stadt ein schönes Aussehen und wird Touristen anziehen. Ich denke es ist gut, dass gebaut wird.“

Denkmäler für Alexander den Großen und seinen Vater Phillip werden nicht nur in Skopje errichtet. Hinter dieser Hinwendung zur Antike, „Antikvisacija“ genannt, steht die Auseinandersetzung um die mazedonische Identität. So bestreiten die Anhänger der „Antikvisacija“, dass die Mazedonier ein slawisches Volk seien. Diese These vertritt auch der bekannte mazedonische Architekt Vangel Bozinovski:

„1924 wurde uns das Bildungssystem des Königreichs Jugoslawien aufgezwungen. Von da an wurden die Mazedonier Serben, dann Slawen. Doch Slawen existieren nicht in unseren Volksliedern, in unseren Mythen oder Erzählungen und Märchen, da gibt es keine Slawen. Die Identifizierung der Mazedonier ist nicht verbunden mit irgendeiner Besiedlung von hinter den Karpaten her.“

Diese Meinung ist weit verbreitet, aber nicht unumstritten. So definiert die 2009 in Skopje erschienene „Mazedonische Enzyklopädie“ die die Mazedonier wörtlich als „Slawisches Volk, im ethnischen, kulturellen und nationalen Sinne. Zu den Gegnern der Antikvisierung zählt auch der Wirtschaftsexperte Vladimir Gligorov, der Sohn von Kiro Gligorov, der der erste Präsident des unabhängigen Mazedonien war. Für Vladimir Gligoriv ist diese Ideologie ein politischer Irrweg:

„Diese Antikisierung ist eine Art Kitsch-Populismus, um nicht schärfere Worte zu gebrauchen; das ist ein schlimmer Weg einer Redefinition der nationalen Identität eines Volkes, und das kann nicht gut enden. Im Gegenteil; das führt zu einer unnötigen Polarisierung in der mazedonischen Gesellschaft, und schließlich wird diese Revision der Geschichte irgendwann wieder revidiert werden müssen. Aber politisch gesehen funktioniert das aus der Sicht der Regierung, denn es gibt immer irgendeinen Nutzen aus Konflikten, die man hervorruft.“

Diese Regierung dominiert seit Sommer 2006 die nationalkonservative Partei unter Ministerpräsident Nikola Gruevski, der mit einer Partei der albanischen Volksgruppe regiert. Unter Gruevski begann die gezielte Berufung auf die Antike etwa mit der Umbenennung des Flughafens von Skopje in Alexander den Großen. Während die vor Gruevski regierenden Sozialdemokraten jede Provokation Griechenlands im Namensstreit vermieden hatten, führte Gruevski Mazedonien in die politische Sackgasse. Am griechischen Veto scheiterte 2008 der Beitritt zur NATO, und Griechenland blockiert auch den Beginn von Beitrittsverhandlungen mit der EU. Griechenland bekämpft den Anspruch Mazedoniens auf das hellenistische Erbe und fordert eine Änderung des Staatsnamens im internationalen Gebrauch. Angeboten wurden Bezeichnungen wie Nord-Mazedonien oder Ober-Mazedonien. Skopje ist aber nur zu einer Namensänderung im zwischenstaatlichen Verkehr mit Griechenland bereit, warum erläutert der langjährige mazedonische Diplomat Risto Nikovski:

„Das eigentliche Ziel Griechenlands ist das Nichtanerkennen einer mazedonischen Nation. Wenn wir unseren Namen im Außengebrauch ändern, dann hat Griechenland alles erreicht. Dann wäre ich, Risto Nikovski, nicht ein Mazedonier aus Skopje, dann wäre ich ein Nord-Mazedonier oder ein Ober-Mazedonier und das ist nicht dasselbe.“

Die Stagnation auf dem Weg Richtung EU und NATO hat Ministerpräsident Gruevski bisher nicht geschadet, weil die große Mehrheit der Mazedonier Griechenland dafür verantwortlich macht. Hinzu kommt die Schwäche der Opposition; sie wirft der Regierung hemmungslosen Populismus vor, konnte die tiefe soziale und wirtschaftliche Krise bisher aber nicht nutzen. So grotesk der Namensstreit auf den ersten Blick erscheint, so hat er doch für Mazedonien und den Balkan auch eine höchst problematische Seite. Jeder Vierte Bewohner Mazedoniens ist Albaner und für sie ist die Namensfrage weit weniger wichtig. Die Gefühlswelt der Mazedonier analysiert der ehemalige mazedonische Delegationsleiter bei der OSZE in Wien, der Albaner, Arsim Zekoli, so:

„Das was die ethnischen Mazedonier jetzt durchleben haben die Albaner in den späten 80iger und 90iger Jahren durchlebt, dieser extreme romantische Nationalismus von Alexander dem Großen, und das die gesamte Geschichte, ja Sonne und Mond, in Wirklichkeit mazedonisch sind. Daher verstehen wir, dass es im Leben einer jeden Nation eine Periode gibt, wo man das durchleben muss. Doch nun nimmt das bereits derart absurde Maßstäbe an, und das betrifft auch direkt die europäische Integration.“

Im Jahre 2001 brachte ein Albaner-Aufstand Mazedonien an den Rand des Zerfalls. Im Friedensvertrag von Ohrid erhielt die albanische Volksgruppe zwar umfassende Rechte, doch die wirkliche Grundlage des Ausgleichs war das Ziel, NATO und EU beizutreten. Dieses Ziel wurde bisher ebenso wenig erreicht wie eine wirkliche Aussöhnung zwischen beiden Völkern. Erst vor wenigen Wochen führten Witze über Islam und Koran bei einem Faschingsumzug von Mazedoniern zu ethnischen Spannungen. Mazedonische Fahnen wurden ebenso in Brand gesteckt wie eine orthodoxe Kirche in einem Dorf am Ohridsee. Diese Ausschreitungen verurteilte auch die albanische Regierungspartei, die aus der Freischärlerbewegung des Jahres 2001 hervorgegangen ist. Sie stellt mit Teuta Arifi die Europa-Ministerin, und Arifi betont die zentrale Bedeutung der euroatlantischen Integration:

„Von einem albanischen Standpunkt aus, sollte die euroatlantische Perspektive durch nichts in Frage gestellt werden. Zweitens wollten wir die Führung in den Bereichen zu übernehmen, die sehr konkret mit EU und NATO zu tun haben. Das sind meine Zuständigkeit und das Verteidigungsministerium, das ebenfalls von meiner Partei geführt wird. Denn wir wollen unseren größtmöglichen Beitrag für die euroatlantische Integration leisten. Gleichzeit möchten wir etwas mehr Rationalität in den Prozess bringen. Aber generell verstehen die Albaner die emotionale Belastung des Namensproblems.“

Jedes Verständnis kann einmal enden; das weiß auch die EU, die dem Namensstreit bisher hilflos gegenübersteht. Da Beitrittsverhandlungen nicht möglich sind, beginnt die EU-Kommission im März nun mit einem hochrangigen Beitrittsdialog, bei dem die Kapitel Grundrechte und Justiz geöffnet werden. Doch Dialog ist kein Ersatz für Verhandlungen. Daher ist die Lösung des Namensstreits so wichtig, weil eine dauerhafte Stabilisierung Mazedoniens ohne den Beitritt zu EU und NATO nicht zu erreichen sein wird.

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