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Südosteuropa-Universität in Tetovo als Hoffnungsträger

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Berichte Nord-Mazedonien
Mazedonien stehen an diesem Sonntag entscheidende Präsidenten- und Lokalwahlen bevor. Denn die EU hat unmissverständlich klar gemacht, dass ohne friedliche und wirklich faire und demokratische Wahlen an eine weitere Annäherung nicht zu denken ist. Vor drei Jahren erhielt Mazedonien den Status eines EU-Beitrittskandidaten, doch seither herrscht Stillstand. Doch es gibt auch positive Zeichen; so wirbt bei der Präsidentenwahl zum ersten Mal ein Kandidat der albanischen Volksgruppe mit Aussicht auf Erfolg um mazedonische Stimmen – und das, obwohl der Albaner-Aufstand vor acht Jahren das Land an den Rand des Zerfalls brachte. Zu den Hoffnungsträgern zählt auch die Südosteuropa-Universität in der Albaner-Hochburg Tetovo, in der Albaner und Mazedonier gemeinsam studieren. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat die Universität besucht und folgendes Porträt vom Studienbetrieb gezeichnet:

Der Albaner-Aufstand im Jahre 2001 und damit die Kämpfe um Tetovo verfolgten auch das Ziel, im Bildungssystem die Gleichstellung mit Mazedoniern zu erreichen. Bis dahin war ausschließlich Mazedonisch Unterrichtssprache, und das in einem Land, in dem jeder Vierte Bewohner Albaner ist. Bereits während der Kämpfe wurde in Totevo an einem Zeichen der Hoffnung gearbeitet. Vom Westen finanziert baute eine österreichische Firma aus Fertigteilhäusern eine Universität. Ende November 2001, wenige Monate nach dem Friedensschluss, begann die sogenannte SEEU, die Südosteuropa-Universität mit ihrem Lehrbetrieb. Ein Ziel, das die Universität erreichen wollte, formuliert die Studentin Hana Demiri so:

„Früher bestand diese ethnische Teilung, jetzt gibt es Fortschritte, Mazedonier und Albaner arbeiten stärker zusammen; ich hoffe, wir werden das weiter tun und in die EU integriert werden.“

Hana Demiri ist 20 Jahre alt, stammt aus Tetovo, und will Tourismusmanager werden; der Fremdenverkehr ist in Mazedonien unterentwickelt, obwohl, hohe, Berge, Schnee und der Ohridsee ein großes Potential darstellen. Demiri studiert Business-Administration, ebenso wie ihre gleichaltrige Kommilitonin Sjandra Asani; als Grund für die Wahl dieser Universität gibt Sjandra Asani an:

„Ich kann hier in Englisch studieren; dieses Semester habe ich viele Vorlesungen in Englisch belegt und nur zwei in Albanisch. Außerdem kann ich hier noch andere Sprachen lernen, Arbeitskreise, Seminare und Sommerschulen besuchen.“

Hana Demiri und Sjandra Asani sind zwei Beispiele dafür, dass die Universität auch die Männer dominierte albanische Gesellschaft verändert. Denn von den 7.000 Studenten, die derzeit an der SEEU studieren, ist die Hälfte weiblich. Drei Viertel der Studenten sind Albaner, das restliche Viertel stellen Mazedonier und auch einige Vertreter nationaler Minderheiten. Sie kommen aus allen Teilen des Landes, wobei die Hälfte der Studenten aus Tetovo und Städten in der näheren Umgebung stammt. Einer von ihnen ist Vasko Gerasimoski; seine Entscheidung für diese Universität begründet er so:

„Dazu zählen die modernen Unterrichtsmethoden der Professoren hier; denn hier können wir auf modernste Weise lernen, nicht nur in Mazedonien, sondern auch in der weiteren Region. Außerdem ist die Universität nahe und ich muss nicht weit reisen, um an der Fakultät zu lernen.“

Vasko Gerasimoski ist 19 Jahre und studiert ebenfalls Business-Administration; dieses Fach zählt neben Informatik und Computerwissenschaften zu den begehrtesten Fächern. Insgesamt hat die Universität fünf Fakultäten; dazu zählen noch Lehrerausbildung, Jus und Öffentliche Verwaltung. Etwa 300 Professoren und Lehrer, darunter 20 Gastprofessoren, arbeiten an der SEEU; unterrichtet wird in Albanisch, Mazedonisch und Englisch. Diese Dreisprachigkeit ist nach wie vor eine große Herausforderung, betont der Präsident des Universitätsrates, der Brite, Dennis Farrington:

„Es gibt zu wenige Lehrmaterialien in Englisch etwa für mazedonisches oder albanisches Recht oder für Rechtsvergleiche; hier gibt es nur wenige Übersetzungen. Es ist eben ein schwieriger und auch teurer Prozess in zwei lokalen Sprachen und in einer dritten Sprache zu unterrichten. Hinzu kommen noch ausgewählte Fächer in Französisch, Italienisch und Deutsch.“

Heranbilden musste die Universität erst auch genügend Mazedonier und Albaner, die auf Englisch unterrichten konnten. Dieses Ziel wurde durch Studienaufenthalte in den USA und Großbritannien nun weitgehend erreicht. Erreichen will die Universität auch, dass vor allem Mazedonier Albanisch lernen und Albaner noch besser Mazedonisch sprechen. Daher sind in den ersten Semestern drei Wochenstunden in beiden Sprachen Pflicht. Dazu sagt Dennis Farrington:

„Mazedonier mussten nie Albanisch lernen, und bevor sie an die Universität kamen, hatten sie vielleicht gar keinen Kontakt mit der Sprache. Daher bemühen wir uns sehr, dass sie wenigstens Grundkenntnisse erwerben. Denn Geschäftsleute sagen, dass es für sie als Mazedonier sehr wichtig ist, Albanisch zu können, weil damit ein großer Markt verbunden ist: der Westen Mazedoniens, der Kosovo und Albanien selbst.“

Doch dieses Bewusstsein ist noch unterentwickelt; trotzdem zieht der Rektor der SEEU, der Albaner Alajdin Abazi, mit Recht eine positive Bilanz:

„Erstens ist es uns gelungen, die Lage der Albaner zu verbessern, indem wir einen Zugang zu höherer Bildung in albanischer Sprache geschaffen haben. Zweitens haben wir diese Vielfalt der Studenten bewahrt. Natürlich beginnen sie in unterschiedlichen Hörsälen, doch wenn dann die Vorlesungen in Englisch beginnen, sind sie zusammen. Und wenn wir nun Studien ausschließlich in Englisch anbieten, dann zählen wir überhaupt nicht mehr, ob das ein Albaner oder Mazedonier ist.“

Zur allgemeinen Anziehungskraft der Universität trägt auch ihre technische Ausstattung bei. Computer und Internet sind auf dem modernsten Stand der Technik, und die Universität bietet viele Möglichkeiten zu weiteren Studienaufenthalten in den USA, in den Niederlanden, England oder Frankreich; im Aufbau ist auch eine Zusammenarbeit mit den Universitäten von Graz und Wien. All diese Kontakte und Angeboten sind natürlich nicht gratis; das Jahresbudget der Universität beträgt acht Millionen Euro, während Mazedonien für seine fünf staatlichen Universitäten und die höhere Bildung insgesamt 40 Millionen Euro ausgibt. Staatliche Zuschüsse erhält die SEEU bisher nicht; mehr als 90 Prozent des Budgets stammt aus Studiengebühren. Ein Jahr kostet im Durchschnitt 1.500 Euro. Geholfen wird den Studenten dafür auch bei der Suche nach einem Arbeitsplatz. Dazu sagt Evzal Rakipi, der Leiter der Abteilung für Karriereplanung:

„Durch aktive Beziehungen mit der Geschäftswelt sind wir bemüht, so viel wie möglich Praktikumsplätze zu finden. Dazu zählt, dass wir ein Mal im Jahr eine Karriere-Messe veranstalten; daran nehmen etwa 60 Firmen teil, die unseren Studenten Praktika und Arbeitsplätze anbieten.“

3.000 Studenten haben die Universität bereits absolviert. Zwei Drittel der Absolventen finden im Durchschnitt bereits im ersten Jahr einen Arbeitsplatz; etwa 60 Prozent im öffentlichen Sektor, der Rest in der Privatwirtschaft. Die Universität produziert somit eine neue geistige Elite, die auch tatsächlich in Mazedonien bleibt. Sie könnte der Garant für einen dauerhaften Ausgleich zwischen Mazedoniern und Albanern aber auch der Kern für eine neue politische Elite sein. So tritt bei der Präsidentenwahl am Sonntag zum ersten Mal auch eine Albanerin an; sie ist Absolventin dieser Universität, ebenso wie sechs Bewerber für die gleichzeitig stattfindenden Lokalwahlen. Das gibt Anlass zur Hoffnung; zwar hat Mazedonien seit drei Jahren bereits den Status eines EU-Beitrittskandidaten, doch die regierenden Eliten haben das Land wegen fehlender Reformen und wegen des Namensstreits mit Griechenland in eine Sackgasse geführt.

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