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Reportage aus Skopje

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Berichte Nord-Mazedonien
In Mazedonien wird kommenden Mittwoch ein neues Parlament gewählt. Es ist dies die zweite Wahl seit dem Ende des Albaner-Aufstandes vor fünf Jahren, der das Land an den Rand des Zerfalls gebracht hat. Mit massivem politischem Einsatz von NATO und EU wurde diese Gefahr gebannt. Im November 2005 erhielt Mazedonien sogar den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Brüssel honorierte damit die weitgehend vollzogene Gleichstellung der albanischen Volksgruppe mit der mazedonischen Mehrheit. Weit weniger gebessert hat sich jedoch die soziale und wirtschaftliche Lage der Bevölkerung. Jeder Dritte der zwei Millionen Bewohner ist offiziell arbeitslos, das Durchschnittseinkommen liegt bei etwas mehr als 200 Euro und auch sonst hat Mazedonien viele Probleme zu lösen. Ein Drittel der Bürger leben in der Hauptstadt Skopje Ihr Bürgermeister ist seit den Lokalwahlen im Frühjahr 2004 der 60-jährige Magnat Trifun Kostovski. Mit ihm hat in Skopje unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz gesprochen und folgenden Bericht über die Hauptstadt Mazedoniens gestaltet:

Zwei Ereignisse haben Skopje in den vergangenen 50 Jahren entscheidend geprägt. Es sind dies das Erdbeben im Jahre 1963 und die Neuordnung der Gemeindegrenzen vor zwei Jahren. Das Beben machte Skopje praktisch dem Erdboden gleich. Der Wiederaufbau löste eine massive Zuwanderung aus und binnen 40 Jahren verdreifachte sich die Einwohnerzahl auf offiziell knapp 600.000. Den zweiten Wachstumsschub brachte die Stadterweiterung im Jahre 2004, die Teil des Friedensabkommens von Ohrid ist. Durch Eingemeindungen stieg der albanische Bevölkerungsanteil auf mehr als 20 Prozent und Albanisch wurde zweite offizielle Amtssprache. Skopje umfasst nun 1800 Quadratkilometer und ist mehr als vier Mal so groß wie Wien. Noch größer geworden sind damit die Probleme, wie Bürgermeister Trifun Kostovski betont:

„Die Regierung finanziert das Bildungssystem auf der Basis des Jahres 2004; dazu zählen etwa Gehälter und Heizung. Das deckt heute nicht ein Mal die Hälfte dessen, was für einen normalen Betrieb nötig wäre. So hat die Stadt nur größere finanzielle Verpflichtungen erhalten, damit die Schulen gut funktionieren können.“

Ihre Finanzierung zählt zu Kostovskis Prioritäten, obwohl er noch größere Probleme zu lösen hat. Nach der Gemeindereform schätzt der Bürgermeister die illegalen Bauten auf 40 Prozent des Baubestandes. Diese wilden Siedlungen haben weder Kanalisation, noch Müllentsorgung. Hinzu kommen Engpässe bei der Wasserversorgung. Trifun Kostovski:

„In der Sommerzeit wird es bereits zur Praxis, dass einige Bezirke kein Wasser haben; betroffen sind davon etwa 30 Prozent der Einwohner mit steigender Tendenz; denn das Wasserwerk hat einfach nicht genügend Geld, um in das Leitungsnetz zu investieren. Denn die Erneuerung des Netzes kostet etwa 100 Millionen Euro und das Geld ist einfach nicht vorhanden.“

Diese Summe entspricht etwa dem Fünffachen des Budgets der Stadt, die noch dazu mit defizitären öffentlichen Betrieben zu kämpfen hat. Das gilt etwa für die Verkehrsbetriebe. Ein Busfahrschein kostet umgerechnet etwa 50 Cent; um kostendeckend zu sein, müsste der Preis müsste mehr als doppelt so hoch sein. Dafür sind auch die Busse durchschnittlich 16 Jahre alt. Im Gegenzug ist auch die Zahlungsmoral der Bürger bescheiden:

„In Wien habe ich nie gehört, dass man von einem Prozentsatz der bezahlten Betriebskosten spricht, denn man geht von 100 Prozent aus. In Skopje dagegen besteht die Praxis, keine Rechnungen zu bezahlen, weil keiner dem Schuldner etwas anhaben kann. Das Gerichtswesen funktioniert nicht, der Rechtsstaat ist sehr langsam; all das trägt dazu bei, dass sich die Bürger derart verhalten.“

Wien ist für Kostovski das große Vorbild an dem sich Skopje orientieren soll. Denn mit Wien ist er auch persönlich verbunden. Hier gründete der Bürgermeister, der auch österreichischer Staatsbürger ist, 1991 seine erste Firma. Durch den Handel mit Osteuropa wurde Kostovski reich. So manche Sozialbauten und Krankenhäuser hat er in Mazedonien selbst finanziert. Auch sein Gehalt als Bürgermeister in Höhe von 650 Euro pro Monat fließt in humanitäre Projekte, Dienstwagen und Reisen bezahlt Kostovski selbst. Doch die enormen Probleme Skopjes kann kein Humanist, sondern nur eine nationale Kraftanstrengung in den Griff bekommen, die in Mazedonien leider nicht in Sicht ist.

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