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Mazedonien vor dem Referendum

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Berichte Nord-Mazedonien
In Mazedonien findet Anfang November eine Volksabstimmung über die Reform der Gemeindegrenzen statt. Die Initiatoren des Referendums wollen verhindern, dass die Zahl der Gemeinden von 120 auf 84 reduziert wird, wie das das Parlament vor einigen Monaten beschlossen hat. Bei dieser Gebietsreform geht es um viel mehr als nur um die Zusammenlegung von Gemeinden. Gleichzeitig soll damit die albanische Minderheit in Mazedonien mehr Rechte erhalten, die etwa 25 Porozent des zwei Millionen Einwohner zählenden Staates ausmacht. Die Besserstellung der Albaner ist im Friedensvertrag von Ohrid vereinbart, der vor drei Jahren bürgerkriegsähnliche Kämpfe zwischen albanischen Freischärlern und mazedonischer Polizei und Armee beendete. Wird die Gemeindereform zu Fall gebracht, ist damit auch die Aussöhnung zwischen mazedonischer Mehrheit und albanischer Minderheit in Frage gestellt. Gefährdet wären damit die Stabilität des Staates, seine Bemühungen um eine Annäherung an die EU und damit auch die Stabilität des Balkan. Unser Korrespondent Christian Wehrschütz hat jüngst Mazedonien besucht und folgendes Bild über die Lage am Vorabend des Referendums über die Gemeindereform der Gemeindegrenzen gezeichnet:

Im Frühling des Jahres 2001 begann in Mazedonien der Aufstand der Albaner gegen die Vorherrschaft der Mazedonier. Die Kämpfe dauerten sechs Monate und nur dem massiven Einsatz von NATO und EU war es zu verdanken, dass der Konflikt durch das Rahmenabkommen von Ohrid beendet werden konnte. Der Vertrag sieht vor, dass die Albaner in staatlichen Institutionen gemäß ihrem Bevölkerungsanteil von 25 Prozent vertreten sein sollen. Außerdem ist für alle Gemeinden Zweisprachigkeit vorgesehen, in denen mehr als 20 Prozent Albaner leben. Das trifft für viele Gemeinden im Westen bereits jetzt zu. Für die Hauptstadt Skopje hat die Regierung diese Bestimmung vor einigen Monaten durch Eingemeindungen erfüllt. Doch die Reform der Gemeindegrenzen hat nicht nur die Zahl der Gemeinden von 123 auf 84 reduziert, sondern teilweise auch die ethnische Zusammensetzung verändert. So werden in Struga am Ohrid-See Albaner nun sogar die Mehrheit stellen. Struga war es auch, wo es im Juli zu gewaltsamen Protesten der Mazedonier gegen Reform und Regierung kam. Doch nicht nur in Struga, auch in vielen andere Gemeinden ist der Widerstand groß. Diese Stimmung nutzten nationalistische Opposition und mazedonischer Weltkongress, der die Diaspora vertritt. Sie sammelten mehr als 150.000 Unterschriften und erzwangen so das Referendum, das am siebenten November stattfinden wird. Sein Ziel ist die Rücknahme der Reform. Dazu sagt Todor Petrov vom mazedonischen Weltkongress:

„Mit einem Ja zum Referendum werden die Bürger Mazedoniens zeigen, dass sie gegen eine ethnische Teilung, gegen nationale Intoleranz und gegen eine Desintegration des Staates sind. Gleichzeitig werden die Bürger auch zeigen, dass sie eine ethnische Kantonalisierung ablehnen, wie sie in Bosnien besteht. In Mazedonien gibt es nur eine Lösung für Stabilität, Frieden und Zusammenleben, das ist ein mazedonischer Einheitsstaat. Die Gemeindegrenzen müssen dem Willen der Bürger entsprechen und dürfen kein Grund für ethnische Spannungen und Teilungen sein.“

Weltkongress und nationalistische Opposition fürchten, dass die Gemeindereform

die ohnehin bestehende Abwanderung der Mazedonier aus dem an Albanien grenzenden Westteil des Landes verstärken wird. Aus multiethnischen könnten dann weitgehend geschlossene albanische Siedlungsgebiete werden, die sich schließlich an Albanien anschließen könnten. Doch der Widerstand gegen die Gemeindereform hat auch parteipolitische Gründe. So besteht die Regierung in Skopje aus den Sozialdemokraten und der albanischen Partei DUI, die aus der Rebellenbewegung hervorgegangen ist. Die DUI ist in den Gemeinden überhaupt nicht vertreten, die Sozialdemokraten oft nur schwach. Daher sagt der mazedonische Oppositionspolitiker und Bürgermeister Goran Angelov

„Bei der Reform gab es nur zwei Kriterien, ein politisches und ein ethnisches. Das politische Kriterium bestand darin, dass die Regierung sich überlegt hat, wie sie gewisse Gemeindegrenzen verändern muss, um in diesen Gemeinden bei den Lokalwahlen zu gewinnen. Das ethnische Kriterium war wichtig für den albanischen Koalitionspartner DUI. So hat man Gemeinden, die bisher eine mazedonische Mehrheit hatten, albanische Gemeinden zugeschlagen, um die Mehrheitsverhältnisse zu verändern.“

Diese Kritik weist die Regierung zurück. Sie wirft den Nationalisten vor, durch das Referendum die Aussöhnung und den Weg Mazedoniens Richtung EU und NATO zu gefährden. EU und USA haben sich klar gegen die Volksabstimmung ausgesprochen. Die Sozialdemokraten führen eine Kampagne gegen das Referendum und Ministerpräsident Hari Kostov hat sogar seinen Rücktritt angekündigt, sollte die Gemeindereform fallen. Zum Referendum sagt Kostov:

„Die ganze Debatte über das Referendum führt uns wieder zurück zu den Debatten über den Konflikt im Jahre 2001 und über den Friedensvertrag von Ohrid. All das führt uns auf gewisse Weise zurück zu einer irrationalen nationalistischen Position auf beiden Seiten. Doch die Bürger haben nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie unterstützen das Referendum und entscheiden sich für einen Weg zurück und wieder für eine schlechte Lage, oder sie bestätigen die beschlossenen Gesetze, die in Richtung euro-atlantische Integration führen.“

Kostov hofft, dass das Referendum an zu geringer Beteiligung scheitern wird. Es ist nur gültig, wenn mehr als die Hälfte der 1,6 Millionen stimmberechtigten Bürger daran teilnimmt. Die Masse der Albaner wird das Referendum zweifellos boykottieren. Die Regierung hofft, dass auch genügend ihrer mazedonischen Anhänger dem albanischen Beispiel folgen. Ist das Referendum jedoch gültig und fällt die Gemeindereform, sind die Folgen für Mazedonien nur schwer abschätzbar. Zu erwarten ist eine Regierungskrise, und sich ist, dass nach der Gesetzeslage eine neue Reform ein Jahr lang nicht beschlossen werden kann. In Frage gestellt wäre auch die geplante Dezentralisierung des Landes. Denn für die vielen neuen Kompetenzen, die nun der Zentralstaat auf die Gemeinden übertragen will, ist eine Mindestgröße erforderlich, die durch Zusammenlegungen von Gemeinden erreicht werden soll. Wahrscheinlich ist, dass Gegner der Aussöhnung auf beiden Seiten neuen Auftrieb erhalten werden. Dazu sagt in Skopje der albanische Journalist Sefer Musliu:

„Sollte das Referendum gegen die Gemeindereform erfolgreich sein, so hat eine albanische Partei bereits angekündigt, dass sie ein Referendum starten will für die Teilung Mazedoniens, für die Bildung eines albanischen Parlaments und einer albanischen Regierung in Mazedonien.“

Damit wären das gesamte Friedensabkommen von Ohrid, die Existenz Mazedoniens und die Stabilität des Balkan in Frage gestellt. Selbst wenn all das nicht eintritt, weil das Referendum scheitert, sind seine Folgen für Mazedonien trotzdem nicht zu unterschätzen. So wurden etwa die Gemeinderatswahlen von Herbst bereits auf März verschoben. Noch gravierender ist der Zeiverlust. Dazu sagt der albanische Ökonom und Professor an der multiethnischen Universität von Tetovo, Abdylmenaf Bexheti,

„Auf alle Fälle haben wir durch das Referendum bereits sechs Monate verloren. Dadurch haben wir uns völlig von wirtschaftlichen Fragen entfernt, obwohl die Regierung dieses Jahr zum Jahr des Wirtschaftsbooms erklärt hat. Leider blieb uns in diesem Jahr nur ein politischer Boom und vergessen wurde, dass dieses Jahr zum Jahr des Investitionsbooms erklärt worden ist.“

Doch nicht nur das Referendum, auch der Unfalltod von Präsident Boris Trajkovski im März war ein Faktor politischer Instabilität. Hinzu kommen Rechtsunsicherheit, die Kleinheit des Marktes und Korruption. All diese Umstände trugen dazu bei, dass in den ersten sechs Monaten dieses Jahre nur 80 Millionen US-Dollar an Auslandsinvestitionen zu verzeichnen waren. Die Industrieproduktion ging um 20 Prozent zurück, und von den zwei Millionen Bürgern, sind überhaupt nur 270.000 beschäftigt. Auf jeden Erwerbs-tätigen kommt ein Pensionist, wobei 90 Prozent der Pensionisten Mazedonier sind. All das belastet nicht nur die Sozialausgaben des Staates, sondern auch das ethnische Zusammenleben. Dabei hat sich die Regierung durchaus um Ausgleich bemüht. In den Streitkräften stieg die Zahl der Albaner von zwei auf 10 Prozent, im Gerichtswesen auf fast fünf Prozent und bei Gerichten wurden Albanisch-Dolmetscher eingestellt. Bestes Beispiel für ein friedliches Zusammenleben ist jedoch die multiethnische Universität in Tetovo. 5.300 Jugendliche studieren dort, wobei 1.300 Studenten Mazedonier und andere Nationalitäten sind. Doch diese neue Generation wird nur dann eine Chance erhalten, wenn sich die soziale und wirtschaftliche Lage drastisch bessert. Voraussetzung dafür sind Reformen und politische Stabilität, die durch das Referendum über die Gemeindegrenzen am siebenten November leider erneut in Frage gestellt sind.

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