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Mazedonien

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Berichte Nord-Mazedonien
Mazedonien ist seit Beginn dieses Jahres ein weiterer Krisenherd auf dem Balkan. Denn auch in Mazedonien hat sich eine albanische Untergrundbe-wegung gebildet, die mit der Waffe in der Hand gegen die ihrer Ansicht nach bestehende Diskriminierung der albanischen Volksgruppe kämpft. Zuerst begannen die Gefechte in Tetovo, der zweitgrößten Stadt Mazedoniens. Nun-mehr kam es auch zu Kämpfen im mazedonisch-serbischen Grenzgebiet. Trotz des Einsatzes der Streitkräfte und trotz internationaler Vermittlungsbemühungen ist es bisher nicht gelungen, die Krise zu entschärfen. Unser Balkan-Korrespondent, Christian Wehrschütz, war jüngst wieder mehrere Tage in Mazedonien und hat zur Lage des Landes folgenden Bericht gestaltet:

Text:

Im März erschütterten in Tetovo folgende Geräusche das bis dahin vorherr-schende Bild von der Stabilität Mazedoniens ....

Mehr als zwei Wochen beschossen die mazedonischen Streitkräfte mutmaßliche Stellungen der UCK, der sogenannten Nationalen Befreiungsarmee, zu der sich albanische Freischärler zusammengeschlossen haben. Schließlich zog sich die UCK aus Tetovo, der zweitgrößten Stadt Mazedoniens und den umliegenden Dörfern zurück – und Streitkräfte und mazedonische Politiker verkündeten den Sieg über die Rebellen.

Anfang Mai erfüllte Vogelgezwitscher die Luft im vorwiegend von Serben be-wohnten Dorf Recice im Norden Mazedoniens. Doch nur knapp zwei Kilometer weiter, in den albanischen Dörfern Slupcane und Vaksince störten folgende Geräusche die Frühlingsidylle:

Denn die UCK war zurückgekehrt und hatte an der Grenze zu Serbien eine neue Front eröffnet. Binnen weniger Tage wurden 10 Polizisten und Soldaten sowie eine unbekannte Zahl von Albanern getötet, kamen somit mehr Menschen um, als während der Gefechte um Tetovo. Trotz allen internationalen Drucks auf beide Seiten, trotz Unterstützung der NATO für die mazedonischen Streitkräfte war es nicht gelungen, die Krise zu meistern. Statt dessen wurde die Stimmung zwischen Albanern und Mazedonien immer gespannter, wie die Ereignisse in der Stadt Bitola, an der Grenze zu Griechenland zeigten. Nach dem Begräbnis von vier mazedonischen Polizisten, die Freischärler getötet hatten, verwüstet aufgebrachte Mazedonier albanische Geschäfte und zündeten sie dann an.

Der Westen entsandte neuerliche Javier Solana, den EU-Beauftragten für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, sowie NATO-Generalsekretär George Robertson nach Skopje. Im Parlament sagte Robertson zur Lage Maze-doniens:

„Das ist die Zeit einer wirklichen Krise. Mazedonien steht an der Schweller sehr ernster Schwierigkeiten. Und unsere Botschaft war, daß alle Menschen dieses Landes vor dieser Schwelle zurückweichen müssen, ehe es zu einer Katastrophe für alle kommt. Das ist die Zeit dafür, daß die demokratischen Institutionen Mazedoniens ihre Stärke zeigen. Das Land kann sehr wohl am Rande des Abgrunds stehen, aber ich glaube es gibt genug Hausverstand und politischen Mut, um zurückzuweichen.“

In stundenlangen Gesprächen versuchten Robertson und Solana Staatspräsident Boris Trajkovski und Ministerpräsident Ljubco Georgievski von der Ausrufung des Kriegsrechts abzubringen sowie mazedonische und albanische Parteien zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit zu bewegen. Derzeit besteht das Kabinett aus zwei mazedonischen und einer albanischen Partei; nun sollen auch die oppositionellen mazedonischen Sozialdemokraten und eine zweite Albaner-Partei in die Regierung eintreten. Im Parlament würde diese Regierung über 93 der 120 Mandate und damit über eine große Mehrheit verfügen. Der Westen will mit der Bildung einer derartigen Regierung vor allem vier Ziele erreichen: auf albanischer Seite sollen alle Parteien in der Regierung vertreten sein, damit die Freischärler auf keine politische Unterstützung zählen können. Zweitens soll durch die Einbindung der mazedonischen Sozialdemokraten erreicht werden, daß die mazedonische Seite den Albanern leichter Zugeständnisse machen kann. Schließlich ist die NATO bereit, noch intensiver mit den mazedonischen Streit-kräften zusammenzuarbeiten, um die Freischärler besser bekämpfen zu können.

Die Vermittlungsbemühungen des Westens sind ein Wettlauf mit der Zeit, denn je länger die Gefechte dauern und je mehr Opfer sie fordern, desto geringer wird der Spielraum der politischen Parteien und desto größer wird die Gefahr, daß Mazedonien zu einem zweiten Bosnien wird. Denn die Aggression nimmt zu wie ein Straßenbefragung in Mazedonien zeigt:

1)

„Es ist nötig, daß sie das Kriegsrecht ausrufen, denn unser Land ist schon einige Zeit Opfer der albanischen Aggression aus dem Kosovo; so sind wir praktisch im Krieg.“

2)

„Die Albaner haben so viele Kinder, weil sie sich immer mehr ausbreiten wollen. Außerdem haben sie mehr Rechte als wir Orthodoxe.“

3) Älterer Mann:

„Wir waren geduldig genug, wir können nicht mehr warten, jetzt heißt es sie oder wir.“

Derzeit sind in beiden Völkern aber noch die Befürworter eines friedlichen Ausgleichs in der Mehrheit:

1)

Eine friedliche Lösung ist nur mit Dialog möglich, die Waffen müssen beiseite gelegt werden. Mit Waffen gibt es keinen Frieden, nur Tod und Invalide.

2)

„Besser es bleibt friedlich, als daß sie einander töten“

3)

Daß wir miteinander Leben, daß ist die einzige Lösung

4)

„In diesem Staat müssen Albaner und Mazedonier zusammenleben, mit der Waffe wird nichts gelöst. Nur durch Europa können die Probleme hier gelöst werden; denn hier ist es schwer, eine gemeinsame Sprache zu finden.“

5)

„Unsere Parteien sind schlecht aber auch ihre; wenn man sich nicht aussöhnt, so kommt es dann soweit, und das Volk hat den Schaden.“

Die Parteien sind ein Grund, der die westlichen Vermittlungsbemühungen zum Scheitern bringen könnte. So wurde einen Tag nach der Abreise von George Robertson und Javier Solana die mühsam erzielte Grundsatzeinigung über die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit bereits von beiden Seiten wieder in Frage gestellt. Auf mazedonischer Seite ist umstritten, wer welche Posten für bisher oppositionellen Sozialdemokraten räumen muß. Hinzu kommt, daß die Mazedonier die Forderungen der zweiten Albaner-Partei ablehnen; sie macht nun ihren Eintritt ins Kabinett von einer einseitigen Feuerpause der Armee, aber auch von Verhandlungen mit den albanischen Freischärlern abhängig. Das lehnen die mazedonischen Parteien und der Westen ab; für sie sind die Mitglie-der UCK Terroristen und blutige Mörder, wie George Robertson in Skopje sagte. Diese Einstellung ist ein weitere Pferdefuß der westlichen Strategie.

Denn die UCK genießt unter der albanischen Bevölkerung mehr Unterstützung, als dies der Westen und die Mazedonier wahr haben wollen. Unterstützt werden die Freischärler vor allem von jenen Albanern, die von der Vetternwirtschaft der etablierten albanischen Parteien nicht profitiert haben. Wie im Kosovo und in Südserbien ist der Einfluß der Albaner-Parteien auf die Freischärler daher eher als gering einzuschätzen. Die Freischärler haben außerdem erklärt, daß sie ihren Kampf nur einstellen werden, wenn ihre Forderungen erfüllt werden. Ein einheitliches politisches Programm und eine klare politische Führung hat die UCK jedoch noch nicht präsentiert.

Doch selbst wenn all diese Probleme überwunden werden sollten, bleibt noch die Hauptfrage zu klären, wie sich der mazedonische Staat künftig definieren soll. Nach der Verfassung bilden nur die Mazedonier das Staatsvolk, Albaner und andere Volksgruppen werden als Minderheiten betrachtet, deren Rechte zu schützen sind. Die Albaner fordern jedoch die Anerkennung als Staatsvolk und zwar mit der Begründung, daß sie bis zu 40 Prozent der etwa zwei Millionen Einwohner ausmachten. Diese Zahl wird von den Mazedoniern bestritten. Schließlich verlangen auch die legalen Albaner-Parteien eine Föderalisierung des Landes nach binationalem Muster wie in Belgien. Das wird von den Mazedoniern als Vorstufe zur Abspaltung verstanden und strikt abgelehnt. Eine rasche Lösung der Spannungen ist somit nicht zu erwarten; denn das Grundproblem Mazedoniens besteht darin, daß Albaner und Slawen nie miteinander, sondern immer nur nebeneinander gelebt haben. Was sie derzeit noch verbindet ist der vorherrschende Wille eine Katastrophe zu vermeiden.

Daß durchaus auch mit dem Schlimmsten gerechnet wird, zeigte das rege Inter-esse bei der Waffenschau „Verteidigung 2001“, die in Skopje einen Tag nach der Abreise der westlichen Vermittler eröffnet wurde. Unter der Musik aus den James Bond-Filmen präsenierten am ersten Tag vier Mädchen nicht nur Unifor-men, sondern auch eine Auswahl an Infanteriewaffen, die 13 internationale Waf-fenhersteller nach Skopje gebracht hatten. Daß Mazedonien derzeit ein guter Markt für Waffen ist, läßt sich nicht bestreiten; ein Ende der Gefechte zunächst ebensowenig zu erwarten wie eine rasche Stabilisierung des Landes. Denn die Lebensbedingungen in Mazedonien werden sich nicht so rasch verbessern; und zweitens werden die mazedonischen Streitkräfte auch mit NATO-Unterstützung die Freischärler zwar niederhalten aber kaum verhindern können, daß sie dem-nächst in anderen Ortschaften wieder auftauchen. Unter diesem Gesichtspunkt kommentierte denn auch ein Militärattache eines europäischen Landes die Waf-fenschau in Skopje mit den Worten: „Die Geier warten schon.“

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