× Logo Mobil

Tetovo-Universität

Radio
Mittags Journal
Berichte Nord-Mazedonien
Die seit Tagen umkämpfte Stadt Tetovo im Nordwesten Mazedoniens ist nicht nur die zweit-größte Stadt dieser ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik. Tetovo zählt auch zu den geisti-gen und kulturellen Zentren der Albaner. Sichtbarer Ausdruck dafür ist die albanische Univer-sität in Tetovo, die von der Regierung in Skopje jedoch nicht als Universität anerkannt und daher auch nicht finanziert wird. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat diese Universität besucht und folgenden Bericht gestaltet:

Text:

Die albanische Universität von Tetovo erinnert von ihrer Größe her eher an eine Volkschule in einem größeren österreichischen Dorf, denn an eine Universität wie sie etwa in Graz oder Wien zu finden ist. Der Hörsaal im dritten Stock des Gebäudes bietet etwa 100 Studenten Platz; die Physik-, Chemie und Biologiesäle können jeweils vielleicht etwa 10 Studenten auf-nehmen. Die technische Ausstattung dieser Säle ist notdürftig und veraltet; unklar ist, wo die angeblich etwa 400 Professoren der 14 Fakultäten der Universität die etwa 6.000 aktiven Stu-denten unterrichten. Trotzdem ist diese Universität gleich in dreifacher Hinsicht ein Spiegel-bild für die Entwicklung Jugoslawiens sowie die Lebensverhältnisse der Albaner in Mazedo-nien aber auch in Serbien.

So gibt es an der Universität in Tetovo den Studienzweig Verteidigung und Sicherheitspolitik. Unterrichtet wird dieses Fach von einem Albaner, der unter Tito, unter dem die Albaner die meisten Rechte erhielten, in den jugoslawischen Streitkräften diente. Studiert hat dieser Professor in Belgrad; dort hat er auch Französisch gelernt, eine Sprache, die er neben Serbisch, Mazedonisch und natürlich Albanisch recht gut beherrscht. Das Monatsgehalt eines Universitätsprofessors beträgt zwischen 2100 und 3000 Schilling; sein mazedonischer Kollege verdient an einer der beiden staatlichen Universitäten des Landes etwa das Dreifache.

Als Spiegelbild für das Leben der Albaner in Serbien und Mazedonien sowie für die albani-sche Gesellschaftsstruktur können Finanzierung und Unterhalt der Universität dienen. Erbaut wurde das Gebäude vor allem mit dem Geld albanischer Gastarbeiter. Dreihundert DM, drei-hundert Franken oder dreihundert Dollar pro Jahr bezahlt nach Angaben der Professoren jeder albanische Gastarbeiter aus Mazedonien jährlich für die Universität in einen Fonds ein. Außerdem zahlt jeder Albaner in Mazedonien pro Monaten eine Mark für die Universität. Eine weitere Geldquelle sind die Studiengebühren, die pro Jahr und Student 1400 Schilling betragen. Der Staat tritt somit für die Albaner auf dem Sektor der Bildung kaum in Er-scheinung; die Basis für Wohlstand und Fortschritt bilden daher in dieser traditionellen, von Männern dominierten Kultur, die Familie oder die Sippe. Sie, und nicht das formale Staats-wesen, definieren daher auch die Stellung des Einzelnen in der albanischen Gesellschaft. Die Mazedonier werfen den Albanern daher vor, gar nicht integrationswillig, sondern maßlos in ihren Forderungen zu sein. Verstärkt werden die Gegensätze zusätzlich durch den Umstand, daß die Mazedonier, die über keine Gastarbeiter verfügen, von der Wirtschaftskrise stärker betroffen sind als die Albaner.

Drittens ist die Universität in Tetovo nicht nur ein Symbol für das Streben der Albaner nach höherer Bildung, sondern auch für die Spannungen in Mazedonien, die nun durch die bewaffneten Auseinandersetzungen in Tetovo deutlich geworden sind. Der derzeitige Rektor der Universität, Fadil Sulejmani, spricht leidlich deutsch und ist Autor einer „Morphologie der deutschen Sprache“. Die Sympathie für die Ziele der albanischen Rebellen ist ihm deutlich anzumerken, denn die Albaner müßten endlich die gleichen Rechte erhalten wie die anderen Mazedonier. Dazu zählt auch die von den Albaner geforderte Anerkennung und Finanzierung der Universität Tetovo durch den Staat. Bereits bei der Gründung der Uni-versität vor sieben Jahren kam es zu Zusammenstößen zwischen Albanern und der maze-donischen Polizei. Nach Angaben der Universität wurde ihr erster Rektor zu zwei Jahren Haft verurteilt, von denen er knapp elf Monate auch im Gefängnis verbrachte. Ein Student kam da-mals ums Leben. Sein Grab liegt auf einem Friedhof im albanischen Teil Tetovos. Ein Kranz und eine Inschrift schmücken das Grab, in der an diesen Studenten erinnert wird, der dem Terror des mazedonischen Staates zum Opfer gefallen sei. Die Zahl der Gräber in Tetovo könnte rasch ansteigen, sollte es nicht zu Verhandlungen und einer friedlichen Beilegung der Krise in Mazedonien kommen.
Facebook Facebook