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Mazedonien und NATO

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Berichte Nord-Mazedonien
Im NATO-Hauptquartier in Brüssel beraten die Botschafter der 19 Mitgliedsstaaten des westlichen Verteidigungsbündnisses wieder über den Einsatz in Mazedonien. Zentrale Frage ist, ob der Waffenstillstand zwischen mazedonischen Streitkräften und albanischen Rebellen stabil genug ist, um mit der Operation „Wesentliche Ernte“ in vollem Umfang zu beginnen. Unter diesem Decknamen sollen etwa 3.500 NATO-Soldaten nach Mazedonien entsandt werden, um die freiwillige Waffenabgabe der albanischen Freischärler der UCK durchzu-führen. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz war in den vergangenen zehn Tagen wieder in verschiedenen Teilen Mazedoniens und ist erst gestern nach Belgrad zurückgekehrt. Über die NATO-Operation „Wesentliche Ernte“ hat er den folgenden Bericht gestaltet:

Die Vorhut der Vorhut der NATO-Truppen soll heute abend auf dem Flughafen in Skopje landen. Sie besteht aus 40 britischen Soldaten. Die Rest der insgesamt 400 Mann starken britischen Vorhut soll am Wochenende nach Mazedonien kommen. Ihre Aufgabe wird es sein, das Hauptquartier der NATO-Truppen bei Skopje und vier regionale Hauptquartiere einzurichten. 15 hochrangige NATO-Offiziere sind bereits seit einigen Tagen in Skopje. Sie sollen den geplanten Einsatz der Soldaten mit der mazedonischen Regierung planen aber auch beurteilen, ob der Voraussetzungen für die Stationierung der 3.500 NATO-Soldaten gegeben sind. Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens, der Zusage einer Amnestie für die albanischen Rebellen der UCK durch den mazedonischen Staatspräsidenten sowie einer Ver-einbarung über die Entwaffnung zwischen der UCK und der NATO gilt es nun die schwieri-geste Lagebeurteilung vorzunehmen. Sie besteht in der Klärung der Frage, ob der Waffenstill-stand zwischen Streitkräften und Rebellen stabil genug ist, um mit der Operation Wesentliche Ernte in vollem Umfang zu beginnen. Denn die NATO will auf jeden Fall vermeiden, mit ihren Soldaten zwischen die Fronten zu geraten.

Die Bewertung des Waffenstillstandes ist aus zwei Gründen besonders heikel: erstens ist die Feuerpause auch nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens bereits wieder gebrochen worden. So wurde bei Gefechten im Raum Tetovo ein Polizist einer mazedonischen Spezial-einheit von einem albanischen Scharfschützen erschossen. Anderseits ist die Lage in Maze-donien jedoch weit ruhiger als noch in der vergangenen Woche. Warten die NATO jedoch zu lange mit dem Beginn ihrer Mission, so könnte der Waffenstillstand wieder völlig zusammen-brechen. Das könnte zu neuen Kämpfen und zu einem Bürgerkrieg führen, der alle bisherigen Friedensbemühungen des Westens mit unabsehbaren Folgen für den Balkan zunichte machen würde. Die NATO steht daher unter großem Druck, und zwar unter großem Zeitdruck; aber auch unter dem Druck der öffentlichen Meinung in ihren Mitgliedsländern, die gegen ein zu großes Risiko für NATO-Soldaten ist. So werden sich die USA an der Entwaffnungsaktion der albanischen Rebellen nicht direkt beteiligen und auch in Deutschland ist der Einsatz nach wie vor umstritten. Ihre Teilnahme fix zugesagt haben bisher Großbritannien, Frankreich, Griechenland, Italien, die auch die regionalen Hauptquartiere führen werden, sowie noch einige andere NATO-Staaten.

Wir heute oder in den kommenden Tagen in Brüssel grünes Licht für den Einsatz gegeben, so sollen in Mazedonien Sammelstellen eingerichtet werden, wo die Rebellen ihre Waffen ab-geben können. Daß die UCK das in vollem Umfang tun wird, glaubt niemand. Entscheidend isz jedoch, daß genügend Waffen abgegeben werden, damit das mazedonische Parlament bereit ist, das Friedensabkommen zu ratifizieren. Vereinbart wurde, daß Entwaffnung sowie parlamentarische Behandlung und der Ratifizierungsbeschluß Zug um Zug erfolgen sollen. Die meisten Waffen sowie die Munition sollen dann außerhalb Mazedoniens vernichtet werden. Geplant ist, daß die gesamte Aktion 30 Tage dauern soll; doch die Rebellen haben diese Frist aus rein praktischen Gründen schon als zu kurz bezeichnet. Dieser Umstand und die massiven Spannungen zwischen Mazedoniern und Albanern könnten dazu führen, daß die NATO weit länger in Mazedonien bleiben wird müssen, um das Land dauerhaft vor einem Bürgerkrieg bewahren zu können.
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