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Frauenporträts in Mazedonien

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Berichte Nord-Mazedonien
In Mazedonien ist die neue Regierung von Branko Crvenkovski jetzt etwa 100 Tage im Amt. Die Koalition von Sozialdemokraten und der aus der albanischen Freischärlerbewegung her-vorgegangenen Partei DUI hat ein schweres Erbe zu bewältigen. Denn die bürgerkriegsähn-lichen Gefechte im vergangenen Jahr zwischen Albanern und Mazedoniern brachten das Land an den Rande des Abgrunds und konnten nur durch das massive Eingreifen von NATO und EU beendet werden. Doch das Mißtrauen ist noch immer groß, die Staatskassen sind weitgehend leer und die Regierung hatte bisher alle Hände voll zu tun, um mit Streikbewegungen fertig zu werden. Doch es gibt in Mazedonien auch Zeichen der Hoffnung. Mit der neuen Regierung sind auch junge, unverbrauchte Politiker in den Vordergrund getreten, die das Land reformieren und nach Europa führen wollen. Auf mazedonischer Seite zählt dazu die 30-jährige Radmila Secerinska, die stellvertretende Ministerpräsidentin ist. Bei den Albanern ist Teuta Arifi zu nennen. Sie ist die erste Albanerin, die seit dem Zerfall Jugoslawiens im Parlament in Skopje vertreten ist. Vor allem Teuta Arifi aber auch Radmila Seserinska sind in ihren patriarchalischen Gesellschaften ein Vorbild für viele Frauen, die sich ebenfalls mehr Gleichberechtigung erkämpfen wollen. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat die beiden Frauen in der mazedonischen Hauptstadt Skopje besucht und folgendes Porträt gezeichnet:

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz

Kameramann: Marijan Ognanovski

Schnitt: Erich Lazar

Inserts:

Teuta Arifi, Parlamentsabgeordnete

Radmila Seserinska, Stellvertretende Ministerpräsidentin

Edmira Mechmeti, Studentin

Spend Devaja, Ehemann

Text: Beginn 0‘22

In Mazedonien und in vielen anderen Staaten des Balkan werden die Gesellschaften noch immer von Männern dominiert. Am stärksten gilt das für die Albaner, wo die Emanzipation der Frau praktisch noch am Anfang steht. Dementsprechend gering ist die Beteiligung der Frauen am öffentlichen Leben und deren Präsenz im mazedonischen Parlament. So ist Teuta Arifi seit 12 Jahren die erste albanische Abgeordnete im Parlament. Arifi ist 31 Jahre und Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses. Ihre Schwerpunkte sind die EU-Annäherung, die Aussöhnung von Albanern und Mazedoniern aber auch die Emanzipation der albanischen Frau:

1‘01

„Wir müssen möglichst viele Frauen für die Partei und die Politik werben. Für die Albaner in Mazedonien ist es sehr entscheidend, daß wir eine tiefgreifende Reform nur durch Emanzi-pation und Modernisierung unserer Gemeinschaft erreichen können.“

In der Politik ist Teuta Arifi ein Neuling. In Erscheinung trat sie erstmals im Wahlkampf im Herbst. Ermöglicht hat dieses Gruppenbild mit Dame Ali Achmeti, der ehemalige Führer der Freischärlerbewegung UCK; nach dem Friedensschluß gründete er die Partei DUI, die Demo-kratische Union für Integration; er warb mit Teuta Arifi vor allem um Stimmen weiblicher Wähler. Die Rechnung ging auf und bei der Wahl erhielt die DUI eine überwältigende Mehrheit unter den Albanern. Teuta Arifi ist einer von Achmetis Stellvertretern und damit die erste Frau, die in einer albanischen Partei in Mazedonien eine derart hohe Funktion bekleidet. Rosen streuen ihr auch mazedonische Politiker:

2‘02

„Sie verbindet Erfolge im Beruf mit erfülltem Privatleben, sie hat viele Klichees über Frauen zerbrochen, die in Mazedonien bestehen. Das gilt vor allem für das Bild von Frauen in der Politik bei den Mazedoniern und noch stärker unter den Albanern. Teuta ist daher sicher kein typisches Produkt ihrer Umgebung.“

Diese Beschreibung trifft auch auf Radmila Seserinska zu. Die 30-jährige ist seit 10 Jahren in der Sozialdemokratischen Partei aktiv und eine der zwei Mazedonierinnen, die dem Kabinett angehören. Seserinska ist zuständig für ausländische Wirtschaftshilfe und europäische Inte-gration. Technokratisch und pragmatisch orientiert, entspricht sie nicht dem Klischee, das Balkan-Politiker bisher geprägt haben. Zur Lage der Frauen sagt sie:

2‘50

„Die Frauen in Mazedonien haben die erste Hürde genommen, sie haben als Startposition eine gute Ausbildung. Die Mehrheit an den Universitäten in Skopje und Bitol sind Frauen. Von der Bildung her, sind wir nicht benachteiligt. Das gilt nicht für die Albanerinnen. Doch im Beruf sind auch die Mazedonierinnen mit Ungerechtigkeiten konfrontiert, die ihre Karriere hemmen. Das gilt für das klassische Familienbild, denn in Mazedonien ist die Frau jene, auf deren Schultern die gesamte Last der Familie liegt. Wenn sie acht Stunden arbeiten und dann noch sechs Stunden für die Familie da sind, haben sie keine Zeit für die Karriere oder gar für eine politische Karriere.“

Dieser Karriere hat sie bisher eine eigene Familie aber auch ihren bisherigen Beruf geopfert. An der Elektrotechnischen Fakultät der Universität von Skopje war die mathematische begabte Seserinska sechs Jahre lang Assistentin. Ihren Schreibtisch räumte sie mit dem Eintritt in die Regierung. Arbeitstage bis zu 14 Stunden sind keine Seltenheit. So ist es

oft Nacht ehe sie ihr Büro verlassen kann. Bevor die Politikerin zu ihren Eltern in die Wohnung zurückkehrt, steht noch ein Einkauf beim Greißler ums Eck auf dem Programm. Ein Liter Milch und ein Wecken Brot kosten umgerechnet je 50 Cent. 500 Euro Monatsgehalt bekommt Seserinska als stellvertretende Ministerpräsidentin. Das ist für westliche Verhält- nisse wenig, viel aber für ein Land, in dem der Durchschnittsverdienst bei 160 Euro liegt und offiziell jeder Vierte Arbeitslos ist. Doch ihr Einsatz wird auch gewürdigt:

Verkäuferin: 4‘29

„Ich halte es für gut, wenn wir mehr Frauen in der Politik haben, weil sie

intelligenter sind um etwas in der Politik zu erreichen.“

Verkäufer: 4‘38

„Ich kenne Sie seit vier Jahren. Sie ist gleich geblieben wie früher; jetzt ist Sie

stellvertretender Regierungschef und sie kommt hierher wie jeder einfache Bürger.“

Auch die albanische Abgeordnete Teuta Arifi sieht in Radmila Seserinska einen politischen Hoffnungsträger:

4‘55

„Ich schätze Sie als junge kluge, intelligente und erfolgreiche Frau. Auch unter den Maze-doniern hätten wir gerne mehr Politiker mit offenen Ansichten, die moderne Standpunkte in der Politik und bei den zwischenethnischen Beziehungen vertreten. Diese Standpunkte müssen ganz anders sein als die altmodischen, nationalistischen Positionen.“

Pause: 5’21 – 5‘24

Diesen Neubeginn fördert die private Südosteuropa Universität in Tetovo, die vom Westen finanziert wird. Hier lehrt auch Teuta Arifi als Professorin an der Fakultät für Lehrerfortbil-dung. 2300 Studenten, vorwiegend Albaner, studieren in Tetovo. Doch die Universität zieht wegen ihres guten Niveaus auch immer mehr Nicht-Albaner an. Fast 10 Prozent aller Studenten sind bereits Nicht-Albaner, obwohl die Anforderungen hoch sind. Abgesehen von der Studiengebühr von 900 Euro pro Jahr muß jeder Student auch die drei Unterrichts-sprachen, Mazedonisch, Albanisch und Englisch beherrschen. Das heißt, daß auch nicht-albanische Studenten Albanisch lernen müssen, eine Verpflichtung, die vor allem für Mazedonier ein Novum darstellt. Das gemeinsame Lernen fördert den nationalen Ausgleich; doch die Universität wird auch die albanische Gesellschaft in Mazedonien verändern:

6’19:

„46 Prozent der Studenten an dieser Universität sind Frauen. Das gibt uns die Möglichkeit, gut ausgebildete junge Albanerinnen zu haben; dann müssen wir uns um deren Integration kümmern. Daher ist für uns die völlige Umsetzung des Friedensvertrages von Ohrid sehr wichtig, damit diese junge Generation in die öffentliche Verwaltung integriert wird und am politischen Leben teilnimmt. Das ist sicher die Garantie für Frieden in diesem Land.“

Mit ihren Studienaufenthalten in den USA und Deutschland ist Arifi derzeit eine Ausnahme und daher auch ein Ansporn, wie etwa für diese 23-jährige Jus-Studentin:

6’59:

„Teuta Arifi ist ein Vorbild, dem viele Albanerinnen in Mazedonien folgen. Als Beweis dafür führte ich an, daß mehr als 40 Prozent der Wähler unter den Albanern Frauen sind. Sie ist eine Ermutigung und ein Ansporn für albanische Frauen, die traditionelle Lebensweise in dieser Region zu ändern.“

Pause 7’23 – 7‘26

In Skopje verbringt Teuta Arifi ihre kärgliche Freizeit vor allem mit ihrem Mann Spend Devaja, einem Rechtsanwalt. Arifi liebt italienische Küche, vor allem Fisch, ißt gerne, behauptet aber nicht gut Kochen zu können. Glück definiert sie so:

7‘42

„Glück ist für mich, zum richtigen Moment, am richtigen Ort mit dem richtigen Mann zu sein.“

Sieben Jahre sind die beiden bereits verheiratet. Zur neuen Rolle seiner Frau sagt Spend Devaja:

8‘01

„Ich weiß nicht, ob ich sagen kann, daß ich wirklich glücklich bin, denn das ist auch ein neues Gefühl für mich; dennoch, im Großen und Ganzen bin ich zufrieden, daß Teuta eine neue Lebensweise prägt als erste Albanerin in Politik und Parlament; denn sie bricht eine Bahn für die politische Karriere anderer junger Albanerinnen.“

Pause: 8’22 – 8‘25

Der Status-Klub ebenfalls in Skopje zählt zu den Lokalen, die Radmila Seserinska bevorzugt, um Freunde zu treffen. Irina Panovska ist nicht nur eine bekannte Ärztin, sondern auch in der Sozialdemokratischen Partei aktiv. Ihre Freunde charakterisiert Seserinska so:

8‘44

„Ich war vier Jahre in der Opposition. Alle, die heute meine Freunde sind, haben den Test bestanden, der Freund eines Menschen zu sein, der in der Opposition war. Ich kann klar unterscheiden, zwischen echten Freunden, und jenen, die nur kommen, wenn sie etwas brauchen.“

Pause 9’00 – 9’05

Nicht befreundet, sind Radmila Seserinska und Teuta Arifi, doch eine Vertrauensbasis ist gegeben. Die beiden kennen einander schon lange und waren auch bei den Koalitionsver- handlungen dabei. Doch bis zwischen Mazedoniern und Albanern dasselbe Verhältnis herrschen wird, wird noch viel Zeit vergehen.

Total: 9‘26

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