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Regierungskrise in Montenegro. Der letzte Akt des jugoslawischen Dramas hat begonnen

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Berichte Montenegro
In der kleineren jugoslawischen Teilrepublik Montenegro ist am Donnerstagabend die Koalitionsregierung gescheitert. Grund für das Auseinanderbrechen der Drei-Parteien-Regierung war ein Konflikt über die künftigen Beziehungen zwischen Montenegro und Serbien. Die Demokratisch Sozialistische Partei (DPS) von Präsident Milo Djukanovic und die Sozialdemokratische Partei (SDP)befürworten die völlige Unabhängigkeit Montenegros; der zweitgrößte bisherige Koalitionspartner, die Volkspartei (NS), will jedoch, daß Jugoslawien als Staat bestehen bleibt. Sicht-barer Ausdruck dieses Gegensatzes waren die sich wochenlang hinziehenden Gespräche über eine neue Plattform für die Ver-handlungen mit Serbien über die Bildung einer neuen Union.

Formeller Anlaß für das Scheitern der montenegrinischen Drei-Parteien-Koalition war denn auch die Verabschiedung dieser Plattform. Gegen den Willen der Volkspartei beschlossen DPS und SDP, daß eine Art neue Union auf der Basis eines unab-hängigen Montenegro und eines unabhängigen Serbien gebildet werden soll. Dies lehnte die Volkspartei ab, die für eine erneuerte Föderation und damit für den Erhalt Jugoslawiens als Staat eintritt. Der Bruch der Koalition hatte sich bereits seit Wochen abgezeichnet. So boykottierte die Volkspartei etwa auch die parlamentarische Arbeitsgruppe, die derzeit ein neues Gesetz für das Referendum über die Unabhängigkeit Montenegros ausarbeitet. Das Gesetz soll demnächst verabschiedet werden; die Volksabstimmung soll spätestens im Juni stattfinden. Das Scheitern der Drei-Parteien-Koalition bedeutet nun, daß Demo-kratische Sozialisten und Sozialdemokraten im Parlament in Podgorica über keine Mehrheit unter den 78 Abgeordneten mehr verfügen. Diese beiden Parteien kommen zusammen auf 35 Sitze. Die nötige Mehrheit könnten jedoch die fünf Abgeordneten der Liberalen Union bringen, die ebenfalls für die Unabhängigkeit sind. Auch die zwei Abgeordneten der Albanischen Minderheit befürworten die Unabhängigkeit Montenegros.

Die Liberalen haben sich bereits grundsätzlich bereit erklärt, eine Minderheitsregierung unterstützen. Je nach dem, ob die Verhandlungen mit den Liberalen erfolgreich sein werden oder nicht, gibt es nun folgende Möglichkeiten: die Bildung einer neuen Regierung unter Einschluß der Liberalen, eine Minder-heitsregierung oder Neuwahlen. Wahrscheinlich ist, daß Demo-kratische Sozialisten und Sozialdemokraten Neuwahlen bis zum Unabhängigkeitsreferendum vermeiden wollen; denn nach der Verfassung muß es nach einer Änderung der staatsrechtlichen Stellung Montenegros, sprich nach einem Referendum, zwangs-läufig zu Neuwahlen kommen. Wahrscheinlich ist somit, daß der Bruch der Koalition, die Klärung der Beziehungen zwischen Montenegro und Serbien beschleunigen und daher das Referendum so früh wie möglich angesetzt wird.

Die Plattform, die Demokratische Sozialisten und Sozialdemo-kraten gegen den Willen der Volkspartei verabschiedet haben, schlägt folgende Vorgangsweise für die Regelung der Beziehun-gen zwischen Montenegro und Serbien vor: die bisherigen zwei jugoslawischen Teilrepubliken werden unabhängige und interna-tional anerkannte Staaten. Zweitens soll die Unabhängigkeit Montenegros und Serbiens durch Volksabstimmungen bestätigt werden, die in den beiden Republiken getrennt abgehalten werden. Anschließend bilden Montenegro und Serbien eine Union auf der Grundlage des Willens ihrer Bürger, der im Ergebnis des Referendums zum Ausdruck kam. Die montenegrinische Regie-rungsmehrheit schlägt in ihrer Plattform vor, daß diese Union drei gemeinsame Funktionen haben soll: eine gemeinsame Vertei-digung sowie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und drittens einen gemeinsamen Markt mit einer gemeinsamen konver-tiblen Währung. Als gemeinsame Organe befürwortet Montenegro einen Präsidenten, einen Ministerrat und ein paritätisch zu-sammengesetztes Parlament. Der Ministerrat soll aus einem Vor-sitzenden, seinem Stellvertreter und aus dem Außen-, Verteidi-gungs-, Finanz- und Wirtschaftsminister bestehen. All diese Organe sollen nach montenegrinischer Vorstellung jedoch kaum über Kompetenzen verfügen und zusätzlich noch von den Parla-menten der beiden Staaten abhängig sein. Was die gemeinsame Verteidigung betrifft, sollen nur die gemeinsamen Aktivitäten der Streitkräfte in die Zuständigkeit der Union fallen. Die Wehrdienstzeit soll von einem Jahr auf sechs Monate verkürzt werden. Im Bereich der Wirtschaft schlägt Montenrgo ein ge-meinsames Zollgebiet sowie freien Personen-, Waren- und Kapi-talverkehr mit einer gemeinsamen Währung vor.

Serbiens künftiger Regierungschef Zoran Djindjic und Jugos-lawiens Präsident Vojislav Kostunica haben zu Redaktions-schluß auf dieses Dokument bisher nicht reagiert. Daß sie die gemachten Vorschläge in ihrer Gesamtheit annehmen, ist eher unwahrscheinlich, denn diese Union hätte praktisch keine Kompetenzen. Darüber hinaus bestehen auch praktische Hinder-nisse. So hat Montenegro Ende November den Dinar durch die DM als Währung ersetzt; wie es daher zu einer gemeinsamen konver-tiblen Währung kommen soll, ist unklar. Außerdem hat Milo Djukanovic erklärt, im Fall der völligen Loslösung Montenegros überhaupt auf eine eigene Armee verzichten und sich mit Son-dereinheiten der Polizei für den Grenzschutz begnügen zu wol-len. Diese Ankündigung dient zweifellos als Lockmittel, um die Zahl der Befürworter der Unabhängigkeit zu erhöhen. Weiters besteht auch in Serbien noch keine gemeinsame Linie gegenüber Montenergo. So lehnt Zoran Djindjic ein Referendum in Serbien ab, während Vojislav Kostunica eher dafür ist. Djindjic und Kostunica sollen gemeinsam ein serbisches Positionspapier aus-arbeiten, das Vorschläge für eine erneuerte jugoslawische Föderation enthält. Außerdem will Kostunica, daß das jugosla-wische Bundesparlament an den Gesprächen über die Neuordnung der Beziehungen mit Montenegro beteiligt wird; das wiederum lehnt die Führung in Podgorica ab.

Wahrscheinlich ist daher, daß die Gespräche zwischen Serbien unter Beteiligung Kostunicas mit Montenegro zu keinem positi-ven oder nur zu einem mageren Ergebnis führen. Sollten die Mehrheit der Montenegriner im kommenden Referendum für die Unabhängigkeit stimmen, dürfte somit die völlige staatliche Trennung die wahrscheinlichste Variante sein. Denkbar ist, daß eine Art gemeinsamer Wirtschaftsraum mit einem einheitlichen Zoll, freiem Personen- Waren und Kapitalverkehr erhalten bleibt. Daß es zu einem blutigen Konflikt zwischen Montenegro und Serbien unter Beteiligung der jugoslawischen Bundesarmee kommt, ist jedenfalls auszuschließen. Denn trotz allen Wider-willens hat Kostunica zugesichert, daß er das Ergebnis eines Referendums in Montenegro auch akzeptieren werde, sollte die Mehrheit für die Unabhängigkeit eintreten.
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