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Montenegro nach der Wahl

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Montenegro ist der kleinste Nachfolgestaat des ehemaligen Jugoslawien und nach dem Kosovo auch der jüngste Staat in Europa. Das Land an der Adria zwischen Kroatien und Albanien gelegen, hat etwas mehr als 600.000 Einwohner und ist etwas größer als das Bundesland Tirol. 2006 löste sich Montenegro durch ein Referendum vom Staatenbund mit Serbien; in den vergangenen sechs Jahren verlief die Entwicklung des Balkan-Landes für viele unerwartet erfolgreich, und im Juni dieses Jahres begann die EU auch formell Beitrittsverhandlungen mit Montenegro, das jedoch noch immer Probleme mit seinem Image hat. Den Ruf ein Land der Schmuggler und ein Hort der Organisierten Kriminalität zu sein, ist Montenegro bisher nicht losgeworden. Seine zentrale politische Figur ist der 50-jährige Milo Djukanovic, der seit mehr als 20 Jahren an der Macht und Vorsitzender der DPS; der Demokratischen Partei der Sozialisten, ist. Bei der Parlamentswahl am Sonntag verlor das Bündnis unter Führung der DPS zwar knapp die absolute Mehrheit, wird aber mit großer Sicherheit weiter regieren können. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat die Wahlen beobachtet und den folgenden Beitrag über die Lage in diesem kleinen Balkan-Land gestaltet: Lage

„Milo, wir lieben Dich“ - Mit Sprechchören feierten die Anhänger in der Wahlnacht Milo Djukanovic, den Anführer der Regierungskoalition. Djukanovic prägte als DPS-Vorsitzender den Wahlkampf, der 36-jährige Ministerpräsident Igor Luksic spielte nur eine Nebenrolle. Ob er im Amt bleibt, oder ob Djukanovic nach zwei Jahren Pause wieder Regierungschef wird, ist noch offen. Warum die Regierungskoalition trotz des Verlusts der absoluten Mehrheit Grund zum Feiern hat, erklärte Djukanovic so:

„Die Regierungskoalition in Montenegro ist wahrscheinlich die einzige in Europa, die es geschafft hat, in den Jahren einer derart schweren Krise das Vertrauen zu bewahren und sich weiter an der Macht zu halten.“

Diese Bewertung hat vieles für sich; trotz akzeptabler Tourismussaison waren im September offiziell mehr als 12 Prozent der Bürger arbeitslos; ausländische Direktinvestitionen sind rückläufig; der größte Einzelexporteur des Landes, das Aluminiumwerk bei Podgorica, muss noch immer durch staatliche gestützte Strompreise subventioniert werden, während das Stahlwerk in Niksic an einen türkischen Konzern verkauft werden konnte. Trotzdem verlor die Regierungskoalition in Niksic die Gemeinderatswahl und bei der Parlamentswahl zum ersten Mal seit 11 Jahren die absolute Mehrheit. Dieses Ergebnis interpretiert Rade Bojovic, Sprecher der Nicht-Regierungsorganisation „Rechtmäßiges Montenegro“ so:

„Die Regierung wurde abgestraft wegen ihrer überheblichen Monopolisierung der wirtschaftlichen und sozialen Lebensbereiche in Montenegro; das ist eine Regierung, die auf niemanden eingeht, die Probleme mit Korruption, Organisierter Kriminalität und Wirtschaftslage inklusive großer Verschuldung hat. Somit war die Botschafter der Wähler folgende: wenn ihr euch nicht wesentlich ändert, wenn ihr nicht mit den Gaunern in den eigenen Reihen abrechnet, und wenn ihr keine Politik führen werdet, die mehr im öffentlichen als im eigenen Interesse ist, dann wird das der Beginn des Falls der Regierungskoalition gewesen sein.“

Doch noch dominiert Milo Djukanovic die politische Szene. Wie sehr, zeigt der Umstand, dass sein Bündnis bei der Parlamentswahl mit 45 Prozent mehr Stimmen gewann als alle drei Oppositionsparteien zusammen. Djukanovic verfehlte die absolute Mandatsmehrheit im Parlament nur äußerst knapp. Mehrheitsbeschaffer werden die Parteien der nationalen Minderheiten, der Kroaten, Albaner und Bosniaken, sein; sie gehörten auch bisher der Regierung an, kandidierten aber als eigenständige Parteien bei der Wahl. Regierungskoalition und Minderheiten sind die klassischen Vertreter der Unabhängigkeit Montenegros; dagegen vertreten die Demokratische Front und die SNP die proserbischen Wählerschichten. Obwohl die proserbischen Parteien ihre nationale Rhetorik mäßigten und auf die Themen Soziales, Korruption und Kriminalität setzten, gelang es ihnen nicht, neue Wählerschichten anzusprechen. Dies gelang aber der neuen Partei „Positives Montenegro“, die auf Anhieb neun Prozent gewann. Parteivorsitzender ist der 40-jährige Embryologe Darko Pajovic; „Positives Montenegro“ definiert er so:

„Wir sind eine bürgerliche Partei, aber auch eine Partei, die die Staatssymbole achtet, doch wir sind keine Partei, die jemanden ausschließt, im Gegenteil. In unserer Partei haben wir Anhänger unterschiedlicher nationaler und religiöser Bekenntnisse, die früher auch unterschiedliche politische Meinungen hatten. So achten wir die Staatlichkeit Montenegros, aber nicht in dem Sinne, dass wir das an erste Stelle rücken. Das ist selbstverständlich: Wir sind eine Partei mit sozialdemokratischer Orientierung, doch wir legen auch enorm viel Wert auf den Umweltschutz. Dort sehen wir auch unsere Zukunft.“

Auf europäischer Ebene will sich die Partei den Grünen anschließen, und die österreichische Abgeordnete Ulrike Lunacek leistete auch bereits Wahlkampfhilfe in Montenegro. Doch die Etablierung als glaubwürdige neue Kraft werde nicht einfach sein, betont Rade Bojovic, von der Nicht-Regierungsorganisation „Rechtmäßiges Montenegro“:

„Positives Montenegro wurde von der Regierungskoalition und von Teilen der Opposition vorgeworfen, keine authentische Bewegung, sondern ein Produkt von Kreisen um den Medienkonzern „Vijesti“ zu sein. Die erste Versuchung für diese Partei wird die Bildung der Stadtregierung in Niksic sein. Denn im Wahlkampf verkündete „Positives Montenegro“, dass die Partei derzeit nicht bereit ist, ein Verbündeter der Regierung und der Opposition zu sein. Doch diese Politik muss sich rasch klären; auf jeden Fall hat diese Partei eine Chance, ob sie diese nützen kann, werden wir sehen.“

Denn diese Partei ist nicht der erste Versuch, die starren Lagergrenzen aufzubrechen, die noch immer durch das Verhältnis zu Serbien definiert werden. Doch nicht nur von dieser Spaltung profitiert bislang Milo Djukanovic; seine Partei DPS ist bestens organisiert, soll Druck auf Staatsbedienstete ausüben und auch zum Mittel des Stimmenkaufs greifen. Schlagende Beweise fehlen; doch auch der OSZE-Bericht zur Wahl enthält kritische Anmerkungen; sie formulierte am Montag nach der Wahl der Vertreter der OZSE-Wahlbeobachter, Roberto Batelli:

„Die große Zahl an Anschuldigungen über eine Überschneidung von Staat und Partei sowie Unregelmäßigkeiten bei der Wahl, die von Gesprächspartnern dargestellt wurden, weisen auf einen Mangel an öffentlichem Vertrauen in den Wahlprozess hin. Einige Schlüsselbereiche erfordern weitere Verbesserungen; dazu zählt die Erfassung der Wählerlisten, die Aufsicht über die Wahlkampffinanzierung und die Überprüfung von Beschwerden.“

Generell bewertet die OSZE die Wahlen aber überwiegend positiv. Diese differenzierte Sichtweise fehlt im Falle Montenegros oft. Natürlich erschweren die Kleinheit des Landes, sein kommunistisches Erbe und die Dominanz von Großfamilien eine Demokratisierung; doch Montenegro ist weder mit Russland noch Weißrussland zu vergleichen und auch nicht der Inbegriff von Schmuggel und Organisierter Kriminalität, obwohl es viele fragwürdige, ja kriminelle Überschneidungen zwischen Politik und Geschäft gibt. Unter den Staaten des Westbalkan hat Montenegro bei seinen Reformen aber die größten Fortschritte gemacht, und das honorierte die EU im Juni durch die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Von entscheidender Bedeutung werde dabei sein, dass große Korruptionsfälle juristisch aufgearbeitet werden, betont der EU-Botschafter in Montenegro, Mitja Drobnic

"Das wird die Bedingung für den Beitritt sein, das wissen wir alle, und das wissen auch die hiesigen Behörden. Also man muss sich stufenweise zu diesem Ziel bewegen. Das Land ist eines gewissen Weg schon gegangen, wie weit, möchte noch hier nicht sagen, aber es gibt hier bestimmt noch viel zu tun; und das ist in der Natur der EU, dass nicht nur die Übernahme der Gesetze wichtig ist, sondern auch die Umsetzung, und das wird auch so sein mit Montenegro."

Auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft hat das Land aber nicht nur Korruption und Kriminalität zu bekämpfen, sondern eine Verwaltung aufzubauen, die den EU-Rechtsbestand umsetzen und EU-Mittel zweckentsprechend einsetzen kann. Hinzu kommt die Erfüllung von EU-Standards, etwa beim Umweltschutz; dazu sagt der montenegrinische Chefverhandler mit der EU, Aleksander Pejovic

„Der Umweltschutz ist ein Kapitel das sehr teure Investitionen erfordert. So muss man in Wasserleitungen und Kanalisation investieren und auch den ökologischen Standard heben. All das sind Gebiete, die viel Aufwand und damit eine langjährige Arbeit erfordern.“

Bis zum EU-Beitritt werden wohl noch bis zu zehn Jahre vergehen. Ob Milo Djukanovic dann noch die zentrale politische Figur des Landes sein wird, ist zu bezweifeln, selbst wenn ihm die Erneuerung seiner Partei gelingen sollte. Bleibt die Lage am Balkan stabil, werden auch in Montenegro nationale Fragen immer mehr an Bedeutung verlieren; das spricht für einen Machtwechsel, für den Djukanovic und Co den Boden durch erfolgreiche Reformen bereiten müssen, um das erklärte Ziel eines Beitritts zur EU tatsächlich erreichen zu können.

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