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Interview mit Montenegros Regierungschef Djukanovic

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Berichte Montenegro
Drei Jahre ist es bereits her, dass die Unabhängigkeitsbefürworter in Montenegro bei einem Referendum siegten und damit die friedliche Auflösung des Staatenbundes mit Serbien erreichten. Nicht eingetreten sind seit damals Befürchtungen, Montenegro, das so groß ist wie Oberösterreich, könnte sich wirtschaftlich und politisch als nicht lebensfähig erweisen. Im Gegenteil: trotz vieler Probleme konnte Montenegro nunmehr bereits den Antrag auf den Status eines EU-Beitrittskandidaten stellen und auch Richtung NATO ist das Land recht gut unterwegs. Sorgen machen Ministerpräsident Milo Djukanovic natürlich wirtschaftliche und soziale Probleme im Land aber auch die offenkundige Erweiterungsmüdigkeit großer EU-Staaten wie Deutschland und Frankreich. Über die Bedeutung von EU und NATO für Montenegro und den Balkan hat in Podgorica unser Balkan-Korrespondent mit Milo Djukanovic gesprochen; hier sein Bericht:

Milo Djukanovic im Stehen auf gleicher Augenhöhe zu begegnen ist in Europa nur wenigen Politikern möglich. Wie viele Montenegriner ist der graumelierte Djukanovac sehr groß; er misst etwa zwei Meter, ist schlank und spricht mit ruhigen, genau abgewogenen Worten. Eine Ausnahmeerscheinung ist auch die politische Karriere des 47-jährigen. Mit 29 wurde er im Jahre 1991 als treuer Gefolgsmann von Slobodan Milosevic in Montenegro Ministerpräsident. Während Milosevics unrühmliches Ende in einer Zelle des Haager Tribunals bereits Geschichte ist, regiert Milo Djukanovic noch immer. Korruptionsvorwürfe konnten ihm ebenso wenig etwas anhaben wie gerichtliche Untersuchungen in Italien zum Zigarettenschmuggel. Doch Djukanovic hat nicht nur alle Umbrüche am Balkan überlebt und bei der Parlamentswahl Ende März die absolute Mehrheit gewonnen. Ihm gelang es auch, Montenegro gegen den hinhaltenden Widerstand aus Brüssel und Belgrad auf friedliche Weise in die Unabhängigkeit zu führen. Nun heißt das Ziel EU und NATO. Der Erweiterungsmüdigkeit in der EU setzt Milo Djukanovic folgende These entgegen:

„Leider haben wir in der Vergangenheit gezeigt, dass wir in der Region keine zuverlässigen Mechanismen haben, die die Stabilität dieses Teils Europas garantieren. Außer Zweifel steht, dass die Instabilität dieser Region auch die Instabilität des gesamten Europa bedeutet, weil die Steuerzahler der EU noch immer für die Sanierung der letzten Instabilität am Balkan zahlen. Wenn diese Diagnose stimmt, so muss man die Stabilität des Balkan stärken. Das kann nur Integration heißen, und zwar die Integration aller Westbalkan-Staaten in EU und NATO.“

Unmissverständlich warnt Djukanovic davor, wegen der Wirtschaftskrise in Europa das Bekenntnis zur EU-Erweiterung aufzugeben:

„In gewisser Weise droht dem Balkan die Gefahr, dass das Schwanken eines Teils der europäischen Öffentlichkeit die Zukunft des Balkan wieder negativ beeinflusst. Das wäre ein sehr schlechtes Szenario. Europa darf nicht zulassen, dass die große Idee der europäischen Einigung wegen einer Krise geopfert wird. Die EU als Lokomotive des europäischen Kontinents muss daran interessiert sein, auch die anderen Teile zu integrieren, um auf diese Weise Europa bei der globalen Verteilung der Kräfte zu stärken.“

Insgesamt sei der Balkan auf dem richtigen Weg, aber noch nicht völlig stabilisiert. Daher dürfe Europa nicht den Fehler aus den 90iger Jahren wiederholen als es sich viel zu spät den Problemen gewidmet habe. Diese Versäumnisse hätten schließlich zur NATO-Intervention vor zehn Jahren geführt, betont Djukanovic. Dieser Bombenkrieg ist ein Grund, warum die NATO in Montenegro weit weniger populär ist als die EU. Trotzdem will Djukanovic Montenegro so rasch wie möglich auch in die NATO führen. Sein überzeugendstes Argument formuliert Milo Djukanovic so:

„Die Generation meines Großvaters hat Krieg geführt; die Generation meines Vaters hat Krieg geführt und auch meine Generation hat Krieg geführt. Wir dürfen nicht zulassen, dass auch die Generation unserer Nachkommen Krieg führt. Wenn wir aber genug Erfahrung haben, dass wir selbst kein zuverlässiger Garant für Stabilität sind, dann müssen wir andere Mechanismen nutzen – das ist die Zugehörigkeit zur NATO.“

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