× Logo Mobil

Vor dem Referendum in Montenegro

Radio
MiJ
Berichte Montenegro
Auf der Landkarte Europas könnte schon bald ein neuer Staat auftauchen. Es ist dies die ehemalige jugoslawische Teilrepublik Montenegro, die bis 1918 als eigenständiger Staat bestand und dann Teil Jugoslawiens wurde. Seit drei Jahren bilden Montenegro und Serbien einen Staatenbund. Montenegro ist etwa so groß wie Tirol und hat 650.000 Einwohner; Serbien entspricht in Fläche und Einwohnerzahl Österreich. Unterschiedlich sind auch Rechts- und Wirtschaftssystem sowie die Währungen. Montenegro hat den Euro, Serbien den Dinar als Zahlungsmittel. Daher ist es kein Wunder, dass diese Staatenunion nie funktioniert hat. Morgen findet nun in Montenegro das Referendum über die Loslösung von Serbien statt. Stimmberechtigt sind 485.000 Bürger. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Gegnern und Befürwortern voraus, denn angesichts der engen historischen und persönlichen Bindungen zwischen den beiden Republiken sind die pro-serbischen Kräfte sehr stark. Über die Lage in Montenegro berichtet nun aus dessen Hauptstadt Podgorica unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

Ihre Abschlussveranstaltungen hielten Befürworter und Gegner der Unabhängigkeit in Podgorica ab, wo ein Viertel der Stimmberechtigten zu Hause ist. Herr im eigenen Haus und schneller in NATO und EU sein, lautet das Credo von Regierungschef Milo Djukanovic. Bei den pro-serbischen Kräften unter Führung des Oppositionspolitikers Predrag Bulatovic fand diese Botschaft kein Gehör; Predrag Bulatovic:

„Man muss Nein sagen zu einer Staatsgrenze zwischen Montenegro und Serbien. Man muss Nein sagen zu Pässen, denn dann müssten unsere Studenten und Mitbürger mit Pässen ihre Freunde und Verwandten in Serbien besuchen. Untersuchungen zeigen und die Erfahrung sagt, dass mehr als 70 Prozent von uns Verwandte und Freunde in Serbien haben.“

Von neuen Grenzen betroffen sein, könnten auch die Bosnjaken, die vor allem im Granzgebiet zu Serbien leben. 14 Prozent Einwohner Montenegros sind Bosnjaken. Zu den Folgen einer Unabhängigkeit sagt der Vorsitzende der größten Bosnajken-Partei Rifat Veskovic:

„80 Prozent der Bosnjaken leben in Bosnien. Jeder aus Montenegro hat Verwandte dort, und es gibt keine Probleme, sie zu besuchen. Wir fahren nach Bosnien mit dem Personalausweis, auf diese Weise werden wir ohne erschwerte Formalismen, d.h., ohne Pass auch weiter Serbien besuchen können.“

Diese Einschätzung hat viel für sich; Klarheit wird erst nach einer allfälligen Unabhängigkeit herrschen, wenn Serbien und Montenegro über die zivile Scheidung verhandeln müssen. Trotzdem sind Bosnjaken und andere Minderheiten mit großer Mehrheit für die Loslösung. Sicher ist jedoch, dass die großen Probleme vor allem des Nordens eine Hypothek für die Unabhängigkeitsbefürworter sind. Das zeigt auch die Stadt Bijelo Polje, in der Rifat Veskovic wohnt. 40 Prozent der 60.000 Einwohner sind Bosnjaken. Politisch integriert, leiden auch sie unter der Arbeitslosigkeit, die in Bijelo Polje mit 10 Prozent sogar nur halb so groß ist wie im Landesdurchschnitt. Doch ein 50-jähriger Arbeiter beim Mineralwasserproduzenten Rada verdient nur 150 Euro im Monat. Der Mann lebt bei seinen Eltern in einem Dorf; allein für den Bus bezahlt er monatlich 90 Euro. Trotz beträchtlicher Hilfe auch aus Österreich, steht der alpine Tourismus hier erst am Beginn, während die Küste viel besser entwickelt ist. Die wirtschaftlichen Probleme zählten daher zu den Argumenten der Gegner der Loslösung, obwohl die Lage in Serbien sicher nicht besser ist. Doch die Unterschiede sind nicht spürbar genug; daher ist der Ausgang des Referendums offen, zumal 55 Prozent der abgegebenen Stimmen auf die Loslösung entfallen müssen, damit sie rechtmäßig ist. Das sieht der Kompromiss vor, den die EU mit beiden Lagern ausgehandelt hat. Doch was ist zu erwarten, wenn das Ergebnis zwischen 50 und 55 Prozent liegt. Dazu sagt der Politikwissenschafter Srdjan Darmanovic:

„Wenn das Ergebnis etwa bei mehr als 54 Prozent liegt, dann haben die Wähler dem Staatenbund die Legitimation abgesprochen. Zwar wird dann Montenegro nicht nach dem Gesetz und der Vereinbarung mit der EU unabhängig, doch der Staatenbund hat bei der Mehrheit verloren. Darauf könnte eine Periode der Verhandlungen und der Suche nach einer Lösung folgen; vielleicht wartet man auch auf ein weiteres Referendum in drei Jahren.“

Abgesehen vom neuerlichen Zeitverlust könnte ein Ergebnis in dieser so genannten Grauzone auch zu politischen Spannungen führen. Daher hoffen nicht nur die Anhänger der Loslösung, sondern inoffiziell auch so manche Vertreter der EU, dass ihnen Milo Djukanovic mit einem klaren Ergebnis weitere Probleme erspart – Probleme, für die auch Brüssel am Balkan wieder ein Mal mitverantwortlich wäre.

Facebook Facebook