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Verfassungskrise im Staatenbund

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Berichte Montenegro


Vor zwei Jahren entstand aus Rest-Jugoslawien der Staatenbund zwischen Serbien und Montenegro. Er war ein Kompromiss zwischen dem Streben Montenegros nach Unabhängigkeit und dem Wunsch Serbiens und der EU, keine weiteren neuen Staaten auf dem Balkan zu zulassen. Zusammengezwungen wurden damit zwei Republiken unterschiedlicher Größe sowie mit getrennten Rechtssystemen und Währungen. Daher hat der Gesamtstaat auch nur sehr wenige Kompetenzen und Institutionen. Das zu zählt ein Parlament, dessen Abgeordnete zunächst von Serbien und Montenegro auf zwei Jahre entsandt wurden. Anfang März hätte dieses Parlament direkt gewählt werden müssen, doch dazu wird es nicht kommen, weil Montenegro dagegen ist. Das Ergebnis ist eine Verfassungskrise, denn ohne die Wahl ist auch die Legitimität des Parlaments in Frage gestellt. Über die möglichen Folgen dieser Krise berichtet aus Belgrad Christian Wehrschütz:

Zu den wenigen Kompetenzen des Parlaments von Serbien-Montenegro zählt die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge. Dazu gehören Abkommen über Finanzhilfe und Kredite etwa von Weltbank und Internationalem Währungsfonds. Doch kann ein Parlament Verträge ratifizieren, dessen Abgeordnete demokratisch nicht legitimiert sind. Diese Frage ist in Serbien und Montenegro umstritten. Das juristische Problem und seine praktische Lösung erläutert der serbische Jurist und Politiker Dragor Hiber so:

„Weder das Verfassungsdokument des Staatenbundes noch eine vergleichbare Verfassungspraxis sehen eine Verlängerung des Abgeordnetenmandates vor, außer im Kriegsfall oder in anderen außerordentlichen Situationen. Doch eine derartige Analogie wäre an den Haaren herbeigezogen. Trotzdem denke ich, dass das Parlament bis zu einer politischen Lösung weiter im Amt bleibt, und zwar mit minimalen Zuständigkeiten wie der Ratifizierung internationaler Verträge.“

Die Frage ist jedoch, ob Staaten und internationale Finanzinstitutionen sich damit zufrieden geben, dass am Balkan Verfassungsrecht und Verfassungspraxis noch weiter auseinander klaffen als anderswo. Sicher ist, dass die Krise des Parlaments nicht zu lange dauern sollte, um größere staatsrechtliche Probleme zu vermeiden. Doch eine rasche Lösung ist nicht zu erwarten. In Sicht sind noch nicht ein Mal Verhandlungen zwischen den zwei Teilstaaten. In Serbien beharrt Ministerpräsident Vojislav Kostunica bisher auf der Direktwahl. Zu einem Versicht darauf könnte er bereit sein, sollte Montenegro der Verschiebung des Unabhängigkeitsreferendums zustimmen, das für Februar nächsten Jahres geplant ist. Das lehnt Montenegros Ministerpräsident Milo Djukanovic ab. Er hat auch bekräftigt, dass in Montenegro keine Direktwahl des Parlaments abgehalten wird. Im Gegensatz zu Serbien hat Montenegro kein entsprechendes Wahlgesetz verabschiedet. Ein Verzicht auf das Referendum kommt für Djukanovic nur in Frage, wenn Serbien bereit ist, den Staatenbund in einen Bund unabhängiger Staaten umzuwandeln. Diesen Plan erläutert Djukanovic so:

„Wir wollen die volle Verantwortung für unsere europäische Zukunft übernehmen. Derzeit teilen wir diese Zukunft mit einer Konföderation, die kaum funktioniert, und zwar zum Schaden Serbiens und Montenegros. Daher sind wir für einen Bund unabhängiger Staaten, der wie im Falle der EU, die Bewegungsfreiheit für Personen, Waren und Kapital garantieren soll.“

Das wiederum lehnen Serbien und die Europäische Union ab. Brüssel hat in dem Streit bisher keine Position bezogen. Die EU ist sich bewusst, dass die Verfassung des Staatenbundes nicht zum ersten Mal gebrochen wird. Sie ist daher offiziell kaum in Erscheinung getreten, verlangt aber eine Einigung zwischen Serbien und Montenegro. Dieser politische Kompromiss wird wohl in den kommenden Monaten gefunden werden, und die Zeit bis zum Referendum überbrücken. Die Vorbereitungen dafür sind in Montenegro bereits angelaufen. Im Februar wird dann entschieden sein, ob Montenegro unabhängig wird, wobei der Streit um diese Frage Montenegro und Serbien viel Kraft und Zeit gekostet hat, die für Reformen und die Annäherung an die EU hätte besser genützt werden können.

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