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Etwas mehr als ein Jahrzehnt nach der Machtübernahme von Slobodan Milosevic aber nur knapp einen Monat nach dessen Sturz tritt die Neuordnung des ehemaligen Jugoslawien in ihre letzte Phase. Im Kosovo beharren die Albaner auf ihrer Unab-hängigkeit; auch in der letzten noch bei Serbien verbliebenen jugoslawischen Teilrepublik Montenegro wird der Ruf nach internationaler Anerkennung immer lauter. Mit dem wachsenden Bewußtsein montenegrinischer Eigenständigkeit gewinnt auch die kanonisch nicht anerkannte Montenegrinisch Orthodoxe Kirche an Zulauf. Denn als international anerkannter Staat verfügte Montenegro zwischen 1878 und 1918 auch über eine autokephale Kirche; diese wurde nach dem Anschluß des Landes an Serbien im Jahre 1920 mit der serbischen Orthodoxie unter Führung des Belgrader Patriarchats vereinigt, während der montenegrinische König Nikola I. im Exil starb. Über die Lage der Orthodoxie und die damit verbundenen Spannungen in Montenegro hat unser Korrespondent in Belgrad, Christian Wehrschütz, folgenden Bericht gestaltet:

Text:

Die kleinere jugoslawische Teilrepublik Montenegro ist mit 660.000 Einwohnern und 13.800 Quadratkilometern etwa so groß wie Tirol. Mit mehr als 600 Kirchen und etwa 40 Klöstern ver-fügt Montenegro, das jahrhundertelang eine Theokratie war, über einen enormen Reichtum an sakralen und kulturhistorisch wertvollen Bauwerken. Nach der Verfassung des Jahres 1992 sind Religion und Staat getrennt; die Orthodoxe Kirche, die kleine katholische Kirche, die albanische muslimische Gemeinde und andere religiöse Bekenntnisse sind gleichberechtigt, frei und selbständig bei der Regelung ihrer inneren Angelegenheiten. Allerdings müssen religiöse Gemeinschaften noch beim Innen-ministerium registriert werden.

Geprägt ist die Lage der Orthodoxie nach wie vor durch den jahrhundertelangen Kampf gegen die Türken, sowie durch zwei Ereignisse, die vor 80 und vor 60 Jahren stattfanden. Im Jahre 1920 kam es nach der Vereinigung Montenegros mit Serbien und im Zuge der Gründung des Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen zur religiösen Neuordnung der Orthodoxie. Geschaffen wurde das Belgrader Patriarchat, dem auch die bis dahin auto-kephale montenegrinische Orthodoxie angeschlossen wurde. Der Sitz der serbischen orthodoxen Kirche ist in der alten monte-negrinischen Hauptstadt Cetinje. Bischof Ioanike sagt zur Türkenherrschaft und über die Vereinigung vor 80 Jahren:

„Es war notwendig kleine autokephale Kirchen zu bilden, um so viele wie möglich vom türkischen Einfluß und vor allem vom Einfluß des Patriarchats in Konstantinopel zu befreien. Als Montenegro 1878 international anerkannt wurde strebten Staat und Kirche nach der Vereinigung mit Serbien. Diese Vereinigung kam 1918, insbesondere die Vereinigung der Kirchen erfolgte ohne einen einzigen Akt von Gewalt gegenüber der Kirche Montenegros. Die Bischöfe und Metropoliten hier strebten freiwillige nach der Gemeinschaft mit der serbischen Kirche. Das war auch die jahrhundertealte Absicht des Volkes, wieder in einem Staat zu sein und zu einer orthodoxen Kirche zu gehören.“

Doch diese Interpretation der Geschichte ist nicht unumstrit-ten. Denn es gab und gibt auch Anhänger der montenegrinischen Eigenständigkeit und Unabhängigkeit, die im Anschluß an Ser-bien einen Akt der Okkupation sehen. Zu ihnen gehört der His-toriker Novak Adzic. Seine Darstellung lautet:

„Viele Priester der montenegrinischen orthodoxen Kirche blie-ben gegenüber ihrer Regierung und ihrem König im Exil treu. Viele von ihnen unterstützen den Aufstand gegen die Serben 1919; sie wollten das Montenegro in Jugoslawien gleichberech-tigt ist. Priester standen aber auch auf der Seite der Okkupa-toren. Der montenegrinische Metropolit Mitrofan Ban war für die Vereinigung Montenegros mit Serbien; aber in der Stunde seines Todes bat er das montenegrinische Volk um Verzeihung dafür, daß er nicht loyal gegenüber dem montenegrinischen Staat und der nationalen Idee gewesen war.“

In der Hafenstadt Kotor lebt und wirkt der katholische Prie-ster Don Branko Sbutega. Er selbst stammt aus einer montene-grinischen Familie, in der Gegner und Befürworter der Verei-nigung mit Serben gleichermaßen vertreten waren. Über die Er-eignisse vor 80 Jahren und die Rolle der serbischen Orthodoxie in der Zwischenkriegszeit in Montenegro sagt Sbutega:

„1920 muss man sagen, dass ein großer Teil der Montenegriner nicht reagiert hat. Auf diese Vernichtung eines Staates und einer unabhängigen Kirche. Das war etwas negatives und hat Montenegro in eine neue Position gebracht. Die serbische Kirche diente als Komponente nationaler Politik und nicht rein geistlicher und christlicher Edukation.“

Nicht zuletzt für diese Rolle sollte die serbische Orthodoxie im Zweiten Weltkrieg einen beachtlichen Blutzoll bezahlen. Mehr als 100 ihrer Priester sollen getötet worden sein. Denn zwischen 1941 und 1945 tobte in Montenegro nicht nur der Kampf gegen die Besatzungsmächte, sondern auch der Krieg zwischen pro-serbischen königstreuen Tschetniks, die von der Kirche unterstützt wurden, und kommunistischen Tito-Partisanen. Don Branko Sbutega sagt dazu:

„Alle kommunistischen Führer im Zweiten Weltkrieg waren Schüler des geistigen Gymnasiums der serbischen Kirche. In Serbien war die Quelle der nationalen und kommunistischen Gefühle Montenegros. Warum? Weil ein Teil Montenegros sich immer als Montenegriner gefühlt hat. Und dieses Montenegro reagierte auf die Möglichkeit, nach 20 Jahren wieder montenegrinisch zu sein. Das hat Tito geschenkt und nicht irgend eine Kirche. Tito hat auch etwas dafür bezahlt. Montenegro war ein sehr armes Land. Zwischen 1920 und 1951 hat es in Montenegro nicht eine Fabrik gegeben. Nichts. Und Tito hat bezahlt. Mit Würden und Orden mit Position innerhalb des Militärs, weil sie sehr treu waren. Sie haben auch etwas bekommen als nationale Institution: Universität, Akademie der Wissenschaften, einfach ein besseres Leben.“

1946 erhielt Montenegro den Status einer Teilrepublik der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Doch im Gegensatz nur Mazedonien, wo mit Titos Unerstützung 1967 eine autokephale orthodoxe Kirche wiedererstand, blieb in Monte-negro die serbische Orthodoxie - wenngleich an den Rand der Existenz gedrängt – bestehen.

Eine Wende brachte das Jahr 1989; mit der Machtübernahme von Slobodan Milosevic in Serbien und der Wiedererweckung des serbischen Nationalismus kam es auch zu einer Wiedergeburt der serbischen Orthodoxie in Montenegro. Sie sollte in dem zerfal-lenden zweiten Jugoslawien nicht zuletzt das Gemeinschafts-gefühl zwischen Serben und Montenegrinern stärken. Bischof Ioanike sagt zum Wiederaufbau:

„Die Metropolie Crnogorsko-Primorija wurde in den vergangenen 10 Jahren wiederaufgebaut; die Zahl der Priester und Mönche nahm zu und eine große Zahl an Klöstern und Kirchen wurde wiederaufgebaut. In Cetinje haben wir ein Priesterseminar mit 130 Studenten, die Priester und Religionsprofessoren werden. Unsere Aufgabe ist es vor allem, das Volk zu christianisieren, das in den vergangenen Jahrzehnten keine Religion hatte. Aber das wird auf jede mögliche Weise von der Regierung behindert, und natürlich ist Präsident Djukanovic dafür verantwortlich.“

Milo Djukanovic brach vor drei Jahren mit Slobodan Milosevic. Die zunehmende politische Selbständigkeit Montenegros fand auch ihren religiösen Niederschlag. Ausgelöst wurde diese Entwicklung nicht zuletzt durch die Politik der serbischen Orthodoxie. Der katholische Priester Don Branko Sbutega sagt dazu:

„Jeder Montenegriner der sich ab 89 taufen ließ, musste sich in seinem Taufschein deklarieren, dass er sich als Serbe fühlt. Es war keine Wahl. Wenn jemand seinen Sohn taufen lassen wollte und sich als Montenegriner, auch dann wurde er in jeder Kirche Montenegros als Serbe gezeichnet. Das war einer der ersten Momente mit starken Reaktionen. Das ist früher nämlich nicht Praxis gewesen, auch nicht in Serbien. Und all die anderen Probleme sind auf dieser Linie. Die Linie ist nicht Christus in der serbischen oder montenegrinischen Kirche, sondern als Serbe oder als Montenegriner.“

Im Jänner dieses Jahres wurde die 1993 neu gegründete, kano-nisch nicht anerkannte Montenegrinische Orthodoxe Kirche beim Innenministerium registriert. Sie tritt für die Unabhängigkeit Montenegros ein und stützt damit den Kurz von Milo Djukanovic, der in religiösen Fragen allerdings taktieren muß. Denn die Spaltung des Landes im Verhältnis zu Serbien spiegelt sich auch auf religiösem Gebiet wider. Die Lage der autokephalen montenegrinischen Kirche beschreibt Sbutega so:

„Die Stärke der montenegrinischen Kirche kommt aus der Schwäche der serbischen. Sie hat in Montenegro nie Jesus Christus nie als fundamentalen Zweck ihrer Anwesenheit gehabt, sondern serbische nationale Politik und Interessen. Wo nationale Interessen vor geistigen sind, da passiert, was passieren muss.“

Passiert ist unter anderem die Übereignung von Kirchen an die autokephale Kirche durch Gemeinden einsetze, die in der Ortho-doxie Träger des kirchlichen Eigentums sind. Bischof Michajlo von der nicht anerkannten Montenegrinischen Orthodoxen Kirche

sagt dazu:

„Die Rückgabe der Kirchen durch das Volk begann im vergangenen Jahr; bis jetzt wurde etwa 30 Kirchen zurückgegeben. Mit Aus-nahme von zwei historischen Kirchen waren das alles kleine Kirchen der Bürger dieser Gemeinden, die deren privaten Kirchen sind. Materiell wird die Montenegrinisch Orthodoxe Kirche vom Staat nicht unterstützt, wir können uns daher auch nur eine kleine Zahl von Priestern leisten, obwohl es etwa 30 Priester gibt, die zu uns übertreten wollen.“

Ordnung in die religiösen Angelegenheiten soll ein neues Religionsgesetz bringen. Zum geplanten Inhalt dieses Gesetzes

sagt der montenegrinische Religionsminister Budimir Dubak:

„Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche sollen genau geregelt werden. Der Staat darf sich nicht in die inneren Angelegenheiten der Kirche einmischen, wie etwa Organisation und ihre Gesetze, die zur Unabhängigkeit gehören. Wir wollen gesetzlich genau regeln, wer eine Kirche vertritt sowie die Bedingungen die für eine Kirche bestimmend sind. Wir können nicht irgendeine Organisation als Kirche behandeln, die nicht kanonisch ist. Das kann eine religiöse Organisation sein, aber keine Kirche im klassischen Sinne des Wortes.“

Dubaks Stoßrichtung zielt gegen die nicht kanonische montene-grinische Orthodoxie, denn er gehört der Volkspartei an, die in der Koalition eine pro serbische Linie vertritt. Da die anderen beiden Regierungsparteien diese Linie nicht teilen, ist eine rasche Verabschiedung des Religionsgesetzes nicht zu erwarten. Sein Schicksal wird ebenso wie das Schicksal der Orhtodoxie von der Zukunft Montenegros abhängen. Kommt die Unabhängigkeit, dürfte die Montengrinische Orthodoxe Kirche gestärkt werden und damit auch der Kirchenkonflikt zunehmen. Denn die serbische Orthodoxie hat bisher noch nicht ein Mal die mazedonische Orthodoxie anerkannt, obwohl die Bedeutung dieser Kirche für das Selbstverständnis der serbischen Ortho-doxie mit der Montenegros nicht zu vergleichen ist.
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