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Serbien und Montenegro

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In Belgrad haben sich gestern Serbien und Montenegro unter Vermittlung der EU über die Umwandlung Jugoslawiens in die „Union Serbien und Montenegro“ geeinigt. Eine politische Vereinbarung wurde bereits im März erzielt doch dauerte die Ausarbeitung der neuen Verfas-sung statt der geplanten drei nunmehr neun Monate. Umstritten war bis zuletzt die Art der Wahl der Abgeordneten im gemeinsamen Parlament. Vereinbart wurde nun, daß die Abgeord-neten erst nach zwei Jahren direkt gewählt werden. Bis dahin werden die Abgeordneten aus den Reihen des Bundesparlaments und der beiden Republiksparlamente entsandt. Die Verfas-sung des neuen Staatengebildes soll nun bis Jahresende von den Parlamenten Serbiens und Montenegros abgesegnet werden. Ob auch das noch bestehende Bundesparlament zustimmen muß und wird, hängt davon ab, ob die proserbischen Kräfte in Montenegro der Einigung doch noch zustimmen werden. Sie sind gegen den Kompromiß, weil sie einen stärkeren gemein-samen Staat wollten. Doch ihr Widerstand wird das Ende des alten Staates nicht mehr auf-halten können. Mit der neuen Verfassung ist die Umwandlung Jugoslawiens jedoch noch keineswegs abgeschlossen und auch das neue Staatsgebilde noch nicht endgültig gesichert, berichtet aus Belgrad unser Balkankorrespondent Christian Wehrschütz:

Nach dem Königreich Jugoslawien und dem Tito-Jugoslawien wird nun auch das von Slobo-dan Milosevic geprägte dritte Jugoslawien mit Jahresende wohl Geschichte sein. Milosevics Erben, der nunmehr letzte jugoslawische Präsident Vojislav Kostunica, Serbiens Minister-präsident Zoran Djindjic und Montenegros starker Mann Milo Djukanovic haben sich gestern in Belgrad unter Vermittlung der EU endlich geeinigt. Der Name Jugoslawien verschwindet, der Staat wird in die lose Union Serbien und Montenegro umgewandelt. Zwar ist der Text der Verfassung noch nicht völlig fertig, die Struktur des neuen Staates steht aber bereits fest. An dessen Spitze steht ein vom neuen Parlament gewählter Präsident, der auch Regierungschef ist. Das Kabinett besteht aus fünf Ministern, je einem für Verteidigung, Außenpolitik und Minderheitenfragen und aus je einem Minister für internationale und interne Wirtschaftsbe-ziehungen. Das Parlament umfaßt 126 Mitglieder, 91 aus Serbien und 35 aus Montenegro. Für die kommenden zwei Jahre werden sie von den beiden Republiksparlamenten entsandt und zwar entsprechend den dort herrschen-den Stärkeverhältnissen; das bedeutet, daß die Koa-lition DOS von Zoran Djindjic und die DPS, die Partei des künftigen montenegrinischen Ministerpräsidenten Milo Djukanovic, die Mehrheit haben werden. Die Kompetenzen des neuen Staates werden sehr schwach sein; vor allem die Wirtschaftskompetenz liegt bei den Teilstaaten, die jedoch auf dem Weg Richtung EU ihre Volkswirtschaften harmonisieren müssen. Was das bedeutet, beschreibt Serbiens Finanzminister Bozidar Djelic:

„Bis Ende März müssen wir uns bis zum letzten Zollkennzeichen klar sein, das heißt bis zum letzten Holz, bis zur letzten Ausfuhr von Fleisch zur Weiterverarbeitung, bis zur letzten chemischen Substanz muß klar sein, wie hoch der Zieltarif in Serbien und Montenegro ist, wobei vereinbart sein muß, wann dieser Tarif erreicht wird und in welchem Tempo er erreicht wird. Das ist das, was wir spätestens bis Ende März erreichen müssen und das ist die Bedingung, daß der Prozeß der Annäherung an die EU weitergeht.“

Wie wichtig und schwierig die Harmonisierung der Zölle vor allem für Serbien ist, erläutert der Präsident der Nationalbank in Belgrad, Mladjan Dinkic:

„Wir können keine Vereinbarung mit der EU über Präferenzzölle für Textilexporte erhalten, weil wir uns mit Montenegro nicht über die Zölle einigen können und die EU gibt uns keinen Vertrag, solange wir nicht einheitliche Zölle haben. Probleme haben wir auch bei den Ver-handlungen mit der WTO, der Welthandelsorganisation, die uns erst aufnehmen will, wenn wir uns über die Zölle geeinigt haben. Natürlich hat Montenegro daran nicht dasselbe Interesse wie Serbien; denn die Entwicklung Montenegros beruht im allgemeinen auf den Dienstleistungen, auf dem Tourismus und unsere auf der Industrie.“

Dinkic ist daher mehr als skeptisch, ob die Harmonisierung der beiden Volkswirtschaften möglich ist, zumal eine Harmonisierung der Reformprozesse in Montenegro und Serbien zumindest derzeit noch nicht in Sicht ist:

„Ich halte das für nicht möglich. Daher steigt in Serbien die Überzeugung, daß Montenegro die Aufnahme Serbiens in die EU bremst, daß wir das Problem haben, daß Serbien einige Reformen durchführt und Montenegro nicht und daß wir dafür den Preis bezahlen müssen. Das alles betrifft nicht nur den Zahlungsverkehr; sie haben den Euro, wir haben den Dinar; bei uns ist die Dinarinflation niedriger als bei ihnen die Inflation in Euro. Wir haben unterschiedliche Zölle: Serbien hat alle mengenmäßigen Beschränkungen abgeschafft, wir haben keine Quoten und Kontingente, wir haben den Außenhandel liberalisiert. Montenegro hat niedrigere Zölle doch andere Schutzmechanismen, hat Quoten und Kontingente und wenn man das einrechnet, so sind ihre Zölle höher als in Serbien. Daher haben wir auch das Pro-blem des Schmuggels aus Montenegro, denn wir haben keine formelle Zollgrenze. Das was nach der allfälligen Annahme der Verfassung geschaffen werden wird, wird eine Zollfrei-handelszone mit Montenegro sein, wo wahrscheinlich so lange eine Grenze bestehen wird, bis die Harmonisierung nicht vollendet ist.“

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Der Notenbankpräsident macht kein Hehl daraus, daß er eine klare Scheidung zwischen Serbien und Montenegro lieber gesehen hätte als diesen neuen Staat. Für den Zeitverlust, den Serbien durch die langwierige Umwandlung Jugoslawiens bei der EU-Annäherung bereits erlitten hat, macht Mladjen Dinkic daher auch Brüssel mitverantwortlich:

„Ich muß gestehen, daß dazu einige Herrn in der EU viel beigetragen haben; vor allem mit der Erzwingung einer Vereinbarung und einer Verfassung, die in der Praxis nicht anwendbar ist sowie mit der Schaffung eines Landes mit zwei Wirtschaftssystemen. Denn ein Staat mit zwei völlig getrennten Systemen, wurde auf der Welt bisher noch nirgends geschaffen.“

Nicht nur Dinkic, auch der bisherige montenegrinische Präsident Milo Djukanovic hätte eine Trennung lieber gesehen, mußte aber wegen der starken proserbischen Kräfte und vor allem wegen des Drucks der EU einlenken. Milo Djukanovic:

„Ich bin nach wie vor überzeugt, daß es für Serbien und Montenegro das beste wäre, unab-hängige und international anerkannte Staaten zu sein und auf dieser Grundlage eine Art Union zu bilden. Ich denke dabei an all die Schwierigkeiten für das Funktionieren einer Föderation aus zwei Mitgliedern, die nirgends auf der Welt bestand hatte. In unserem Fall ist das noch schwieriger, den Serbien ist 18 Mal größer. Daher hätte Europa Gründe gehabt, den Argumenten ernsthafter zu zuhören, die aus Montenegro kamen. Doch als wir den Belgrader Vertrag unterschrieben, haben wir uns festgelegt dieser Gemeinschaft aufrichtig eine Chance zu geben und noch ein Mal zu überprüfen, ob ein Leben in einem gemeinsamen serbisch-montenegrinischen Staat möglich ist. Wenn das nicht der Fall ist, können Serben oder Montenegriner in drei Jahren anders entscheiden.“

Denn nach dem Belgrader Vertrag von Mitte März ist das Unabhängigkeitsreferendum nicht aufgehoben, sondern nur aufgeschoben. Nachdem Djukanovic bei der Parlamentswahl Mitte Oktober die absolute Mehrheit gewonnen hatte legte er sein Präsidentenamt nieder, um wieder Regierungschef zu werden. Denn die eigentliche Macht in Montenegro liegt beim Minister-präsidenten. Einer der Gründe für diesen Wechsel ist, daß Djukanovic die Option der Loslösung offen halten und die Zeit des Moratoriums nutzen will, um Montenegro auch wirtschaftlich reif für die Unabhängigkeit machen.

Bis diese Frage schlagend wird, haben Montenegro und Serbien jedenfalls ihre Volkswirt-schaften auf dem Weg Richtung EU zu harmonisieren und auch den bisherigen Staat Jugo-slawien umzubauen. Abgesehen von den Streitkräften arbeiten in den Bundesinstitutionen 10.300 Beamte. Der neue Staat soll nur noch aus 3.500 bestehen. 4.500 Bedienste werden von Serbien übernommen, dazu zählen der Zoll und die Notenbank, die von jugoslawischen in serbische Institutionen umgewandelt werden. Das heißt das etwa 3500 Beamte zu viel sind, und einen neuen Arbeitsplatz finden müssen. Aufgeteilt werden muß auch das Vermögen Jugoslawiens, denn der neue Staat wird praktisch über keines verfügen. Dazu zählen auch 13.000 Wohnungen, 2000 Amtsgebäude und mehr als 130 Villen. Zwar haben sich Serbien und Montenegro beim Eigentum auf das Territorialprinzip geeinigt, doch muß die Aufteilung auch gesetzlich und administrativ bewältigt werden. Warum man bei all dieser Trennung von Tisch und Bett nicht gleich zur Scheidung geschritten ist, begründet Serbiens Ministerprä-sident Zoran Djindjic so:

„Es ist schön zu sagen: Eine gute Scheidung. Nur die Frage ist, was wenn man für die Fragend es Eigentums und der Verantwortung, die Folgen der Ehescheidung dann lebenslänglich in einen Rechtsprozess verwickelt. Wenn Serbien und Montenegro ein Exempel setzen und sagen : Okay, da auf dem Balkan trennen sich zwei Staaten. Vielleicht über ein Referendum. Warum nicht ein Referendum in Bosnien, warum nicht im Kosovo, warum nicht in Mazedonien. Das ist eine potenzielle Kettenreaktion, die uns alle absolut marginalisiert. So war es, glaube ich, im Interesse von Serbien und Montenegro, nicht nur der Eu. Und ich glaube, wir werden damit fertig werden.“

Doch ob dieser Argument richtig ist, ist fraglich. Bosnien ist als Staatswesen zu kompliziert, um in dieser Form stabil und effizient zu werden und auch die Kosovo-Albaner sind nicht bereit, auf ihre Unabhängigkeit zu verzichten. Bis zum Ende des Unabhängigkeitsmora-toriums bleibt der Staat Serbien und Jugoslawien jedenfalls Provisorium; doch Provisorien sind oft sehr langlebig und wer weiß schon, wie die Welt des Balkan in zwei oder drei Jahren beschaffen sein wird.

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