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Montenegro und Serbien und die Fragen

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Jugoslawien ist tot – es lebe der Staat mit dem neuen Namen „Serbien und Montenegro“. Dieser neue Staatsname ist Teil der Einigung zwischen Vertretern Jugoslawiens, Serbiens und Montenegro, die vor einer Woche in Belgrad unter Vermittlung der EU unterzeichnet wurde. Vorgesehen ist ein Staat mit wenigen und auch schwachen Institutionen. Demnach wird Serbien und Montenegro über einen Präsidenten verfügen, der zugleich Regierungschef ist; vorgesehen sind ein Ministerrat, der aus fünf Minister bestehen wird, ein Ein-Kammern-Parlament und ein Gerichtshof. Das bisherige Zwei-Kammern-Parlament verschwindet und der Präsident wird wieder durch das neue Parlament und nicht mehr durch das Volk gewählt.

Doch die drei Seiten umfassende Vereinbarung läßt nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet viele Fragen offen. Diesen Fragen, sowie der Frage, ob dieses Gebilde Serbien und Monte-negro Zukunft haben kann, ist in Belgrad unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz im folgenden Beitrag nachgegangen:

Text:

„Was soll ich nun sagen, wenn ich gefragt werde, woher ich komme? Bis jetzt war die Antwort Jugoslawien. Soll ich jetzt sagen aus „Serbien und Montenegro“ wo ich doch nur aus einem von beiden stammen kann? Diese Frage bewegt viele, doch sie ist ebenso offen wie die Frage, ob der Staat „Serbien und Montenegro“ über gemeinsame Symbole verfügen wird. Doch es gibt nach Unterzeichnung der Vereinbarung noch weit gravierendere Unklarheiten; zu diesen zählt der Vorsitzende des Justizausschusses im serbischen Parlament, Dragor Hiber folgende Fragen:

„Wird das geplante Parlament auch Gesetzte beschließen, auf welchen Gebieten, werden diese für den Gesamtstaat gelten? Es sieht so aus, denn es soll auch ein Verfassungsgericht geben, und das hat nur einen Sinn wenn es auch eine gesetzgebende Kompetenz gibt, doch in welchem Ausmaß, ist noch offen. Wird es zweitens eine gemeinsame Staatsbürgerschaft geben, wie bekommt und wie verliert man sie. Diese Vereinbarung ist nur ein Rahmen ich habe keine Angst, daß sie das Bundesparlament und die beiden Republiksparlamente nicht akzeptieren. Doch bereits beim ersten Schritt der Umsetzung, noch vor einer praktischen oder gesetzlichen Umsetzung, wird es zu Mißverständnissen und Problemen kommen, wenn die Arbeit an der Verfassung beginnt.“

Doch diese Arbeit hat noch nicht begonnen und auch vielen Politikern ist eben noch vieles unklar. Zur Haltung der Bevölkerung sagt in Belgrad der Meinungsforscher Zrdjan Bogosavljevic:

„Was sogar Politikern unklar ist, kann dem Volk nur noch unklarer sein. Die Öffentlichkeit weiß nicht, was diese gemeinsamen Institutionen sind, abgesehen von deren Auflistung. Charakteristisch dafür ist die Frage, was im Sport geschieht. Niemandem ist das klar, es hängt in der Luft, ob es eine oder zwei Mannschaften geben wird. Die Mehrheit sieht das Ganze als Weg zur Trennung.“

In Serbien leben bis zu 300.000 Personen, die aus Montenegro stammen und die dort noch über Besitz und Verwandte verfügen. Im Verhältnis zu den acht Millionen Serben ist das eine kleine Gruppe. Weit wichtiger ist die Klärung der künftigen Beziehungen jedenfalls für die Montenegriner. Das erläutert Zrdjan Bogosavlevic an folgendem Beispiel:

„Praktisch drei von vier Familien in Montenegro haben engste Verwandte in Serbien. Viele haben klar definierte Interessen in Serbien, bei der Ausbildung in der Schule oder bei der Krankenversicherung. Daher sind für die Montenegriner Unabhängigkeit und Souveränität eine Sache und die Abspaltung von Serbien eine andere. Nur eine kleine Zahl will eine Abspaltung von Serbien. Das heißt, daß vom Standpunkt der öffentlichen Meinung alles akzeptabel ist, was im persönlichen Leben zu keinen großen Veränderungen führt.“

Obwohl die Frage der Unabhängigkeit nun für drei Jahre ruhen wird, wird sich nun im Leben vieler Menschen sehr vieles ändern. Denn es gilt einen überdimensionierten Bundesstaat um-zubauen. Diese enorme Aufgabe umreißt der serbische Ministerpräsident Zoran Djindjic so:

Wir müssen in den kommenden Monaten Schritt für Schritt eine große Bürokratie mit noch immer viel Geld und Kompetenzen zu einer funktionierenden Verwaltung umbauen; dabei dürfen wir diesen Beamten, die wissen, das dies ihr letzen Monate sind, nicht die Möglichkeit geben, in den kommenden Monaten hohe Kosten und Defizite in Milliardenhöhe zu verursachen.

Was dieser Umbau konkret bedeutet erläutert wiederum Dragor Hiber, Vorsitzender des Justizausschusses im serbischen Parlament:

„Direkt sind in den Bundesbehörden mehr als 10.000 Personen tätig, doch wir müssen in etwa noch dieselbe Zahl an Personen hinzufügen, die nicht direkt in Staatsorganen aber in Organen arbeiten, die auf Bundesebene angesiedelt sind. Es wird daher einen großen Überschuß an Bürokraten geben. Ein Teil wird in Republiksorganen unterkommen, die neue Kompetenzen erhalten. Andere werden eine neue Arbeit finden müssen. Interessant wird, was die Beamten aus Montenegro machen, denn es gibt nicht nur Minister aus Montenegro, sondern auch deren Teams. Es wäre natürlich, daß auch sie zurückkehren, doch die meisten werden wohl in Serbien bleiben wollen.“

Selbst wenn dieser Umbau gelingen sollte, ist es fraglich ob die zwei völlig getrennten wirtschaftlichen Systeme Serbiens und Montenegros zueinander finden werden, und ob der politische Wille dazu besteht. Zwar spricht die Vereinbarung von einer Harmonisierung, doch was nun praktisch geschehen wird, charakterisiert der jugoslawische Nationalbankpräsident Mladjan Dinkic, ein Serbe, folgendermaßen:

„In der wirtschaftlichen Realität wird Serbien nun das tun, was Montenegro vor zwei Jahren tat. Das heißt, das alle Bundesinstitutionen, die in Serbien Zuständigkeiten hatten nun serbische Institutionen werden, wie die Nationalbank Jugoslawiens, die zur Nationalbank Serbiens wird und der Zoll, der zum serbischen Zoll wird. Serbien und Montenegro sind am Beginn keine Zollunion, sondern eine Freihandelszone, wie wir sie derzeit auch mit Bosnien, Ungarn und einigen anderen Nachbarstaaten haben.“

Dinkic ist daher äußerst skeptisch, ob der gemeinsame Staat überleben wird:

„Das wird sehr schwierig, weil die Vereinbarung beinhaltet, daß wir zwei Währungen, zwei Zölle, zwei Bankgesetze und zwei unterschiedliche Märkte haben. Derzeit gibt es kein Land auf der Welt, das auf diese Weise funktioniert, nicht ein Mal die EU vor der Integration hat so ausgesehen. Diese Staaten hatten auch Zölle, doch jeder war eigenständig in der UNO, in internationalen Institutionen vertreten, hatte seine Diplomatie und dieser Staat soll nun nur eine haben. Zwar ist das Prinzip der positiven Diskriminierung vereinbart worden, doch was heißt das, wenn Montenegro nur sechs Prozent der Bürger und sechs Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung stellt. Es wird permanent Konflikte darüber geben, wie viele Vertreter Serbien und wie viele Montenegro haben wird.“

Auf die Frage, ob es daher nicht doch noch zu einer Scheidung zwischen Serbien und Montenegro kommen wird, sagt Dinkic:

„Ich denke, das wird so sein. Eine gute Scheidung ist besser als eine schlechte Ehe. Es ist wichtig eine gute Scheidung in Frieden und ohne Folgen für Investoren zu erreichen und es ist immer klarer in einem klar definierten Staat zu arbeiten. Ich denke, daß die serbische Regierung und wir als Vertreter in Bundesorganen das fortsetzen, was wir begonnen haben.

Für Serbien ist es Zeit, seine Strategie ohne Rücksicht auf die politischen Ereignisse in Montenegro festzulegen. Es hat keinen Wert mehr zu warten; wir werden unseren Weg in Richtung Marktwirtschaft und EU gehen; wenn Montenegro sich beteiligt, wird es uns will-kommen sein.“

Doch noch sind so viele Fragen in Serbien und Montenegro offen, daß auch die zweite Option nicht ausgeschlossen werden kann. Sie besteht in der Harmonisierung der Ökonomien, die zu einer Annäherung der wirtschaftlichen und rechtlichen Institutionen führt; wirtschaftliche Rationalität und Kostengründe führen dann zur Bildung gemeinsamer Institutionen und zum Überleben des Staates als normale Föderation. An dieser Hoffnung hält auch der jugoslawi-sche Präsident Vojislav Kostunica fest. Den zahlreichen Kritikern der getroffenen Vereinbar-ung in Montenegro und in Serbien hält Kostunica entgegen:

Jemand hat gesagt, daß das ein Staat auf Probe ist. Meine Antwort lautet: besser ein Staat auf Probe als kein Staat, wie wir ihn heute haben oder ein zerbrochener und zerfallener Staat.“

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