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Interview mit Milo Djukanovic

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Berichte Montenegro
In Montenegro findet kommenden Sonntag das Referendum über die Loslösung von Serbien statt. Montenegro ist die letzte Teilrepublik des ehemaligen Jugoslawien die noch bei Serbien verblieben ist. Sie bilden einen Staatenbund, den die EU vor drei Jahren erzwungen. Doch dieses Gebilde hat nie funktioniert, denn die politischen und wirtschaftlichen Unterschiede der beiden Partner sind einfach zu dominant. Montenegro zählt knapp 700.000 Einwohner und ist etwa so groß wie Tirol; Serbien entspricht dagegen in Größe und Einwohnerzahl in etwa Österreich. Hinzu kommt, dass sich die montenegrinische Führung in der Endphase der Ära Milosevic immer mehr von Serbien gelöst hat und die zivile Scheidung nun durch das Referendum besiegeln will. Doch die slawische Bevölkerung ist in dieser Frage tief gespalten. Daher hat die EU einen Kompromiss für die Volksabstimmung erzwungen. Er sieht auch vor, dass 55 Prozent der abgegebenen Stimmen auf die Unabhängigkeitsbefürworter entfallen müssen, damit die Loslösung rechtsgültig ist. Montenegros Ministerpräsident Milo Djukanovic ist optimistisch, diesen Wert kommenden Sonntag erreichen zu können:

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Montenegro

Insert: Milo Djukanovic, Ministerpräsident Montenegros

Gesamtlänge: 3’55

Cetinje ist die alte Hauptstadt des Königreiches Montenegro; es bestand bis 1918, und wurde dann mehr oder weniger freiwillig an Serbien angeschlossen. Hier regierte König Nikola, hier war auch die Habsburger-Monarchie mit einer Gesandtschaft vertreten. Die Erinnerung an die Eigenstaatlichkeit ist in Cetinje besonders stark, daher hielt Ministerpräsident Milo Djukanovic hier auch seine erste Großkundgebung ab. Endlich Herr im eigenen Haus sein und trotzdem gute Beziehungen mit Serbien pflegen, lautet sein Credo. Doch für die Gegner der Unabhängigkeit sind gerade die engen historischen und persönlichen Beziehungen mit Serbien eines der Hauptargumente. Außerdem sei die EU-Mitgliedschaft gemeinsam leichter und schneller erreichbar.

„Die Behauptung einiger Vertreter der Unionisten und der serbischen Regierung klingen ziemlich wenig überzeugend, dass man mit dem derzeitigen Staatenbund schneller nach Europa kommt. Das ist nicht ein Mal mehr eine theoretische Frage, denn es gibt bereits greifbare Erfahrungswerte. Denn in diesen vier Jahren herrschte auf dem Weg Richtung Europa meistens Stillstand; daher liegen wir gemeinsam mit Bosnien-Herzegowina am Ende der europäischen Integration. Dafür gibt es zwei Gründe: erstens funktioniert der Staatenbund nicht, und der zweite Grund ist die fehlende Zusammenarbeit Serbiens mit dem Haager Tribunal.“

Serbiens Unvermögen, mutmaßliche Kriegsverbrecher rechtzeitig auszuliefern, hat in der Tat die EU-Annäherung des Staatenbundes verzögert. Damit soll für Montenegro nun Schluss sein; doch Djukanovic argumentiert auch, dass eine Unabhängigkeit die Stabilität des Balkan erhöht:

„Die Unabhängigkeit Montenegros und die Regelung des Status des Kosovo werden dazu beitragen, dass sich Serbien sich selbst und seinen demokratischen und wirtschaftlichen Reformen zuwendet. Damit wird sich Serbien selbst und auch seine Beziehungen zur EU konsolidieren können. Erst ein derartiges Serben kann das sein, was es sein muss, ein Schlüsselfaktor der Stabilität am Westbalkan. Diesen Prozess wird die Unabhängigkeit Montenegros beschleunigen.“

Auch die EU-Annäherung soll dadurch beschleunigt werden. Der Euro ist bereits die Währung Montenegros, und der Tourismus soll Träger des Wirtschaftsaufschwungs sein. Nicht nur an der Küste sondern auch im Norden verbessern sich Service und Angebot, doch Skigebiete sind bisher nur mangelhaft erschlossen und auch die Infrastruktur lässt zu wünschen übrig. Trotzdem ist Djukanovic überzeugt:

„Ein kleines, offenes und flexibles Staatswesen wie Montenegro kann sehr rasch die Anpassung an die Regeln der EU vollziehen. Daher hat Montenegro seine Vorteile, und ich bin überzeugt, dass abgesehen von Kroatien, Montenegro von allen anderen Staaten des Westbalkan als erstes die Bedingungen für eine EU-Mitgliedschaft erfüllen kann.“

Doch was ist, wenn in der EU der Wille zur Erweiterung noch weiter nachlässt:

„Das letzte, das sich in Europa ereignen darf, ist, dass die Erweiterungsmüdigkeit vorherrschend wird. Was das bedeutet, wenn Europa einem Teil seines Kontinents nicht genügend Aufmerksamkeit widmet, haben wir am Balkan im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gesehen. Das muss uns und der Europäischen Union eine Lehre sein. Die Steuerzahler der EU bezahlen heute teure Rechnungen dafür, dass Europa am Balkan nicht ausreichend präsent war. Es ist doch sehr unvernünftig, dass Steuergeld der EU heute für Friedenstruppen am Balkan ausgegeben wird, statt mit diesem Geld die Infrastruktur zu verbessern oder die Voraussetzung für Vollbeschäftigung zu schaffen, um damit die Integration des Balkan voranzutreiben. Daher darf es keine Erweiterungsmüdigkeit der EU geben, denn die Integration liegt im besten Interesse des Balkan und der EU selbst.“

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