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20240424 ORFIII Verfassungskrise in Kroatien nach der Wahl Wehrschütz Mo

Fernsehen
Krise in Kroatien
Berichte Kroatien

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Kroatien

Insert1: Vedran Djulabic, Professor für Öffentliches Recht an der Universität in Agram

Insert2: Vedran Djulabic, Professor für Öffentliches Recht an der Universität in Agram

Insert3: Vedran Djulabic, Professor für Öffentliches Recht an der Universität in Agram

Gesamtlänge: 3‘ 48

In Kroatien zählt das Parlament 151 Sitze. Ein Politiker muss daher dem Staatspräsidenten 76 Unterschriften von Abgeordneten vorlegen, um den Auftrag zur Regierungsbildung zu erhalten. Diese Möglichkeit soll nach Rechtsmeinung der Mehrheit des Verfassungsgerichtshofes für Zoran Milanovic unter keinen Umständen gelten. Diese Ansicht ist unter kroatischen Juristen höchst umstritten:

9'59'3 - Rechtsunwirksam Mandatar - 10'19'0 (20)
"Der Verfassungsgerichtshof sagte, wenn man Milanovic das Mandat anvertraut, selbst wenn er als Präsident zurückgetreten ist, so könnten wir diesen Beschluss der Erteilung des Auftrags zur Regierungsbildung für nichtig erklären. Für mich ist das skandalös!"

Der Verfassungsgerichtshof begründet seine Rechtsmeinung damit, dass Milanovic sich während des Wahlkampfes parteipolitisch engagiert habe, und daher auch nach der Wahl nicht zum Regierungschef designiert werden könne. Doch Milanovic stand auf keiner Liste und trat auch nicht bei Kundgebungen auf. Die Rechtsmeinung des Gerichts wurde nur mehrheitlich gefällt. Drei der 13 Richter formulierten eine abweichende Rechtsmeinung, die Vedran Djulabic für schlüssig hält:

7'23'5 - Drei mit abweichender Meinung - 8'10'7 (40)
"Meiner Ansicht nach sind die Argumente der drei abweichenden Richter verfassungsrechtlich stärker. Denn man kann einem Präsidenten, wenn er zurückgetreten ist, nicht verbieten, dass er designierter Regierungschef wird, bzw. dass er als Präsident die Absicht erklärt, nach seinem Rücktritt Regierungschef zu werden. Meiner Ansicht nach hat der Verfassungsgerichtshof hier seine Kompetenzen überschritten und die politische Arena betreten; denn auf diese Weise schickte er eine Botschaft an die kleinen Parteien, sich genau zu überlegen, wen sie designieren, weil dieser Beschluss für nichtig erklärt werden könnte."

Doch den freien Willen der Abgeordneten dürfe der Verfassungsgerichtshof nicht einschränken oder beeinflussen, betont der Jurist. Die Vorgangsweise der Richter können für den Rechtsstaat gefährlich sein:

8'39'5 - Kompetenzüberschreitung - 9'19'8 (40)
"Der Gerichtshof hat den Beschluss nicht in der Form gefasst, die er beachten hätte müssen. Und wir wissen, dass im Recht die Einhaltung der Form sehr wichtig ist, um Beschlüsse zu legitimieren. Somit hat der Gerichtshof seine Sonderstellung genutzt, weil es gegen seine Beschlüsse kein Rechtsmittel gibt außer vielleicht den Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, wo man dann in fünf Jahren ein Urteil bekommt. Daher gibt es derzeit selbst gegen diese Meinung kein Rechtsmittel, das man dagegen ergreifen könnte., und das scheint mir für die Herrschaft des Rechts sehr gefährlich zu sein."

Präsident Zoran Milanovic will sich der Meinung der Richter nicht beugen. Bei einer Pressekonferenz präsentierte er ein Foto, das den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofes in entspannter Atmosphäre mit Politikern der konservativen Regierungspartei HDZ zeigt. Dieses mögliche Naheverhältnis zur stärksten Partei Kroatiens beeinträchtigt die Glaubwürdigkeit des Gerichtshofes. Bei einem Treffen in Brdo aus Anlass des 20. Jahrestages des slowenischen EU-Beitritts versicherte Milanovic, er werde das Parlament nach Vorliegen des amtlichen Endergebnisses der Wahl innerhalb der gesetzlichen Frist von 20 Tagen einberufen. Unklar ist, wie es politisch und juristisch dann weitergeht, sollte die Opposition tatsächlich eine Mehrheit im Parlament zustande bringen. Zwar ist ein derartiger Fall derzeit noch nicht absehbar; doch ein Rechtsmittel gegen die Rechtsmeinung des Verfassungsgerichtshofes gibt es nicht. Kroatien könnte somit vor einer massiven innenpolitischen Krise stehen.

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