× Logo Mobil

Interview mit Budimir Loncar zu Jugoslawien

Zeitung
Kleine Zeitung
Berichte Kroatien

KLZ: Als Josip Broz Tito im Mai 1980 starb, waren Sie Botschafter Jugoslawiens in den USA. Damals war die Besorgnis groß, dass Titos Tod eine ernsthafte Krise in Jugoslawien auslösen könnte. Titos Ableben kam für Sie zweifellos nicht überraschend. Was dachten Sie damals über die Zukunft Jugoslawiens?

BL: “In dem Moment war ich natürlich besorgt und traurig, und habe keine Analyse der Lage angestellt, wie ich das später dann getan habe. Doch mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass es zu einer derartigen Krise kommen könnte, die den Bestand Jugoslawiens in Frage stellt. Ich rechnete mit Turbulenzen, doch ich glaubte, dass Titos Erbe so fest und gut ist, dass es in seiner Grundlage Bestand haben wird. Ich dachte, dass es zu einer Transformation kommt, und dass sich reformistische Strömungen und die Demokratisierung beschleunigen werden.“

KLZ: Jugoslawien brach unter Tito 1948 mit der Sowjetunion unter Stalin. 1961 kam es zur Gründung der Bewegung der blockfreien Staaten, die im Kalten Krieg weder zum Osten noch zum Westen gehören wollten. Was war die weltpolitische Rolle Jugoslawiens, und warum scheiterte dieser Staat unmittelbar nach dem Ende der Blockkonfrontation?

BL: „Meine Feststellung wird Sie überraschen, weil ich denke, dass Jugoslawien eine große Rolle bei der Emanzipation der Völker durch das Projekt der Blockfreiheit und dabei gespielt hat, die Staaten in Osteuropa zu ermutigen, sich von der sowjetischen Dominanz zu befreien; auch dazu zählt die Politik der Blockfreiheit. Doch diese große Rolle wurde schließlich zur Last für Jugoslawien, weil man nicht erkannte, dass es zu einem Gegensatz kam, zwischen der Rolle in der Welt und der innenpolitischen Lage; es fehlten die Kapazitäten, dieser weltpolitischen Rolle auch gerecht zu werden. So wurde aus dieser Rolle eines Pioniers ein Faktor der innenpolitischen Desintegration. Ich sagte im Jahre 1990 in im jugoslawischen Parlament, dass die weltpolitischen Prozesse schneller ablaufen als Jugoslawien ihnen folgen kann.“

 

KLZ: Im Dezember 1991 besiegelten die drei Vorsitzenden der wichtigsten sowjetischen Teilrepubliken, Russlands, der Ukraine und Weißrussland das Ende der Sowjetunion. Warum zerfiel dieser Staat friedlich, Jugoslawien aber nicht?

BL: „Michail Gorbatschow war nicht für den Zerfall der Sowjetunion, doch er blieb ruhig stellte sich nicht dagegen; das war ein großes Risiko für ihn, zumal er den Warschau Pakt auflöste, die NATO aber bestehen blieb. Daher verlief der Zerfall der Sowjetunion friedlich, weil Boris Jelzin und alle Vorsitzenden der sowjetischen Teilrepubliken durchgesetzt haben. Auch die sowjetische Armee war dagegen, blieb aber passiv. Im Fall Jugoslawiens war das genau umgekehrt. Da positionierte sich die jugoslawische Armee von Beginn an. Außerdem kam es im Jänner 1990 beim 14. Kongress in Belgrad zum Zerfall der kommunistischen Partei Jugoslawiens. Da spielte auch die Führung der Armee eine Rolle, die völlig mit Slobodan Milosevic übereinstimmte; er wollte die weltpolitischen Änderungen nützen, um die Grenzen Serbiens zu ändern. Milosevic wollte Jugoslawien durch Serbien majorisieren. Das war ein Schlag gegen die Grundlagen Jugoslawiens, die im Zweiten Weltkrieg geschaffen wurden.“

KLZ: Somit war die Armee der wichtigste Partner für den serbischen Autokraten Slobodan Milosevic und seine großserbische Politik?


BL: „Im Gegensatz zur Armee der Sowjetunion spielt die jugoslawische Volksarmee eine sehr negative Rolle. Sie war die Hauptstütze von Slobodan Milosevic, und so war die Armee der letzte Sargnagel am Sarg Jugoslawiens. Analysiert man Milosevics Schachzüge, so wollte er zunächst Jugoslawien reformieren, die Grenzen ändern und die föderale Verfassung des Jahres 1974 beseitigen. So beschloss Milosevic die Beseitigung der beiden autonomen Provinzen, der Vojvodina und des Kosovo, die konstitutive Elemente der Föderation waren. Dann forderte er am 14. Parteikongress im Jänner 1990 die Umsetzung des Prinzips „Eine Stimme – ein Jugoslawien, was eine Majorisierung durch Serbien bedeutet hätte. Damals verließen Slowenien und Kroatien den Kongress, während die anderen Teilrepubliken nicht wussten, was sie tun sollten. Das war im Grund bereits der Beginn des Zerfalls von Jugoslawien.“

KLZ: Wenige Tage vor der Unabhängigkeitserklärung Sloweniens und Kroatiens kam US-Außenminister James Baker am 21. Juni 1991 für wenige Stunden nach Belgrad. Dabei traf Baker natürlich auch Sie und alle anderen Vertreter der jugoslawischen Teilrepubliken. Waren die USA damals überhaupt ernsthaft in Jugoslawien engagiert? Sie hatten gerade den Golf-Krieg hinter sich und den drohenden Zerfall der Sowjetunion vor sich.

BL: „Zuerst muss man wissen, dass die USA in der jugoslawischen Krise lange Zeit nicht ausreichend engagiert waren, und zwar wegen der Sowjetunion. So hat mit James Baker mehrfach gesagt, dass das Hauptproblem der USA darin besteht, die konsolidierenden Prozesse zu unterstützen, die sich in der Sowjetunion entwickeln. Die größte Angst der USA bestand darin, wie sich die sowjetische Armee verhalten würde, ob sie nicht einen Putsch durchführen wird. Daher wollten sich die USA nicht mit Jugoslawien befassen, weil sie sahen, dass das eine schwere Krise ist, die zum Zerfall führen und der Anlass sein kann für ein Handeln der jugoslawischen Volksarmee. Das spürte auch Verteidigungsminister Veljko Kadijevic, der versuchte, einen direkten Kontakt mit dem Westen herzustellen, möglicherweise in Absprache mit Milosevic. Auch mit der sowjetischen Armeeführung nahm Kardijevic Kontakt auf, denn er war bestrebt, ein gemeinsames Einverständnis gegen den Wandel herzustellen, der sich in der Sowjetunion durch Gorbatschow und bei uns durch die Krise ankündigte.

In einer derartigen Lage hielten sich die USA etwas abseits, wofür ich Verständnis hatte. Zweitens war ich der Ansicht, dass in der jugoslawischen Krise die EU der bessere Vermittler wäre, weil wir uns bereits damals festgelegt hatten über eine Assoziation in die EU zu kommen, mit der wir 20 Jahre eine Beziehung besonderer Art hatten. Denn die EU war bei weitem unser größter politischer und wirtschaftlicher Partner außerhalb der Blockfreien-Bewegung..

KLZ: Sie haben den österreichischen Außenminister Alois Mock und natürlich auch den deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher sehr gut gekannt. Welche Rolle spielten Wien und Berlin am Vorabend und zu Beginn des jugoslawischen Dramas?

BL: „Bei Österreich war es so ähnlich wie bei Deutschland, obwohl Deutschland natürlich mehr Gewicht hatte und auch vorsichtiger war. Alle Länder der EU und alle westlichen Länder, die eine aktive Rolle bei der Beendigung des Kalten Krieges spielten und die Änderungen in der Sowjetunion begrüßten, dachten überhaupt nicht daran, dass Jugoslawien zerfallen könnte. So war es auch in Deutschland und Österreich. Zunächst unterstützen daher alle diese Länder den Weiterbestand Jugoslawiens und boten Hilfe an. Das galt auch für die EU, die fünf Milliarden Dollar anbot. Auch eine Perspektive für einen Beitritt zur EU wurde angeboten. Diese Vorschläge wurden nicht angenommen, weil die Konflikte bereits zu weit gediehen waren. Doch je mehr die Unstimmigkeiten zu einem bewaffneten Konflikt wurden, und als die jugoslawische Armee sich offen auf die Seite von Slobodan Milosevic stellte, änderte sich auch die Haltung dieser Staaten; das galt auch für Österreich und Deutschland. Deutschland vermied es aber, Träger des Zerfalls zu sein, weil die Beziehungen zu Jugoslawien sehr gut waren.

KLZ: Herzlichen Dank für das Gespräch; das Interview führte Christian Wehrschütz.

FOTO: ORF.

Frage: geht ein Hinweis auf das Weltjournal am 23. Juni 2021 auf ORF2

Facebook Facebook