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Kroatien vor der Parlamentswahl

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Berichte Kroatien

In Kroatien wird am Sonntag das Parlament gewählt. Wahlberechtigt sind 3,9 Millionen Bürger; um ihre Stimmen werben in den Zehnwahlkreisen etwa 20 Parteien und zehn Wahlbündnisse. Für den Einzug ins Parlament gilt in jedem Wahlkreise eine Fünf-Prozentsperrklausel. Derzeit regiert Kroatien eine Mehrparteienkoalition unter Ministerpräsident Andrej Plenkovic, dem Vorsitzenden der konservativen Partei HDZ. Die Regierung hat die Corona-Krise bisher gut gemeistert, daher ließ Plenkovic die Parlamentswahl von Herbst auf den Sommer vorverlegen. Denn der Fremdenverkehr in Kroatien leidet massiv unter der Krise, deren wirtschaftliche Folgen im Herbst noch viel stärker spürbar sein werden. Auch der Wahlkampf steht unter dem Zeichen der Corona-Krise; größere Veranstaltungen finden nicht statt, eine zentrale Rolle spielen die Fernsehdebatten sowie die sozialen Netzwerke. Herausforderer des Ministerpräsidenten ist der Sozialdemokrat Davor Bernadic, dessen Koalition nach Umfragen gleichauf liegt. Da keine Partei nur in der Nähe einer absoluten Mehrheit liegt, dürfte die Rolle des Königmachers dem nationalistischen Populisten Miroslav Skoro zu fallen, der drittstärkste Kraft im Parlament werden dürfte. Aus Kroatien berichtet unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz:

„Kroatien ist ein sicheres Land“ – lautet einer der Wahlkampfspots, mit denen der Vorsitzende der konservativen Regierungspartei HDZ, Ministerpräsident Andrej Plenkovic, um Stimmen wirbt. Der Spot steht auch im Zeichen der Corona-Epidemie; gezeigt werden Rot-Kreuz-Kräfte im Einsatz, Geschäfte in denen Verkäuferinnen Masken tragen, aber auch Baustellen. Plenkovic verkündet dabei den Willen, die Zukunft Kroatiens zu gestalten, weil er und die HDZ wissen, was zu tun ist. …

Der Wahlkampf selbst verlief Corona-bedingt ohne große Kundgebungen. Der Regierungschef besuchte aber alle Landesteile, so auch die unterentwickeltste Region Slawonien. Bei einer Pressekonferenz in Osijek verwies Andrej Plenkovic auf die Verwendung von EU-Mitteln für die ländliche Entwicklung und sagte:

Andrej Plenkovic, Wahlkampfauftritt in Osijek 0'57 - Erfolge 1'46

"Durch das Projekt Slawonien haben wir für fünf Kreise Projekte im Wert von fast zwei Milliarden Euro vereinbart. Durch die steuerliche Deszentralisierung haben wir die Einnahmen des entwickeltesten Kreises um 50 Prozent erhöht. In der Corona-Krise wurden für mehr als 30.000 Arbeiter etwa 40 Millionen Euro ausbezahlt. Dadurch konnten wir Arbeitsplätze sichern."

Fest steht, dass die Regierung die Corona-Krise zunächst erfolgreich gemeistert hat. Durch rasche Quarantäne-Maßnahmen konnte die Zahl der Fälle massiv gesenkt werden. Auch die Hilfe für die Betriebe sei rasch erfolgt, betont in Agram der Wirtschaftsexperte Damir Novotny:

Damir Novotny, 17'58 - Hilfe durch kroatische Regierung - 19'17

"Die Regierung hat für Betriebe für drei Monate den Mindestlohn finanziert. Das sind etwa 600 Euro pro Monat. Auf diese Weise konnten in den Monaten März, April und Mai etwa 350.000 Arbeitsplätze gesichert werden. Das Verfahren war einfach und wurde online abgewickelt. Das Geld war binnen 15 Tagen auf dem Konto. Ein Teil des Geldes stammte aus dem Sozialfonds der EU, ein weiterer Teil wurde durch Schulden finanziert."

Das Vertrauen der Kroaten in Krisenstab und Regierung war außerordentlich hoch; um die Gunst der Stunde zu nutzen, wurde die Parlamentswahl von September auf Juli vorverlegt. Aber Andrej Plenkovic selbst war es, der seine Reputation im Kampf gegen das Virus schädigte. Denn er traf in Kroatien den serbischen Tennisstar Novak Djokovic, der sich mit dem Virus infiziert hatte; doch Plenkovic weigerte sich, in Quarantäne zu gehen, was massive Kritik nicht nur seiner politischen Gegner hervorrief. Dazu sagt der Meinungsforscher Srdjan Dumicic:

Srdjan Dumicic, IPSOS, Meinungsforscher in Kroatien 6'35 - 7'09

"Das Vertrauen war außerordentlich hoch gegenüber dem Krisenstab und der Regierung. Dann wurden alle Quarantänemaßnahmen aufgehoben; doch als die Infektionen wieder auftraten, konnte man nicht mehr sagen, dass die Krise ausgezeichnet gemeistert wurde, obwohl die Bewältig nach wie vor sehr gut ist. Doch die Idylle ist vorbei, und die Maßnahmen wurden politisiert, und jetzt ist der Nutzen für die Regierung aus der gut bewältigten ersten COVID19-Phase für die Wahlen gering."

Umfragen sagen nun ein knappes Rennen zwischen dem konservativen und dem sozialdemokratischen Wahlbündnis voraus. Die HDZ hat zwei Kleinparteien im „Gepäck“; das sozialdemokratische Bündnis, das unter dem Namen „Restart“ , zu Deutsch „Neustart“ antritt, besteht neben der SDP aus weiteren sechs Parteien. „Wähle und ändere“ – lautete die zentrale Botschaft der SDP, die für ein Land ohne Diskriminierung, Armut und Korruption wirbt, denn führende Regierungsmitglieder waren in diverse Affären verstrickt. Seine Kritik formulierte SDP-Vorsitzender Davor Bernadic so:

Bernardic Zašto SDP i zašto socijaldemokracija 15 jun 2020

4'07 - Recht und Ordnung - 4'37

"Das Leben der Bürger ist heute schwer. Ihre Kinder wandern aus, spüren die Ungerechtigkeit auf Schritt und Tritt, sehen, dass vor dem Gesetz nicht alle gleich sind. Die Reichen und Mächtigen entkommen dem Arm der Gerechtigkeit, während kleinste Vergehen geahndet werden. In einem derart ungerechten Umfeld verlieren die Menschen das Vertrauen in die Institutionen unseres Landes. Unsere zentrale Aufgabe besteht darin, Ordnung in Kroatien einzuführen, damit das Vertrauen in die Institutionen zurückkehrt."

Das Parlament zählt 151 Abgeordnete; die absolute Mehrheit liegt bei 76 Mandaten. Nach Umfragen können die beiden führenden Blöcke jeweils mit 55 bis 60 Sitzen rechnen, sind somit klar von der absoluten Mehrheit entfernt. Die Rolle des Königsmachers dürfte daher der Heimatbewegung von Miroslav Skoro zufallen, die an dritter Stelle liegt. Im Wahlkampf spielte der bekannte Sänger die nationalistische und populistische Karte; HDZ und SDP kritisierte er so:

SKORO Obraćanje predsjednika Domovinskog pokreta - 22. lipnja 2020

0'35 - Skoro zur Lage und gegen Plenkovic 1'33

"Die beiden politischen Parteien haben Kroatien auf den letzten Platz in der EU geführt. Kroatien ist verschuldet, wirtschaftlich vernichtet und entvölkert. Zehntausende Personen sind in der Amtszeit von Andrej Plenkovic ausgewandert. Vertrieben hat sie eine schreckliche Korruption, die als Sicherheit und Stabilität vermarktet wird. Daher darf Plenkovic nicht weiter Regierungschef bleiben. Der Unterschied zwischen uns beiden ist folgender: Plenkovic ist Globalist, ich bin Souveränist." (5’45)

Facebook:

Doch was bedeutet diese Unterscheidung für die Haltung der Heimatbewegung zur EU? Diese Frage beantwortete Miroslav Skoro bei einer Pressekonferenz in der Stadt Sisak so:

Sisak, Miroslav Skoro, na pitanje ORFa

0'18 - Haltung zur EU -

"Wir sind stolz darauf, dass Kroatien Mitglied der EU ist; das war der Wille der Bürger. Wir sehen die EU als Gemeinschaft souveräner Staaten, und unterstützen sehr stark eine gleichmäßige Entwicklung aller Mitgliedsländer. Doch gerade dabei verspätet sich die EU. Wir treten dafür ein dass die EU eine Gemeinschaft souveräner Staaten ist, in der man sicher lebt, und soweit es möglich ist auch mit gleichem Lebensstandard. Es soll nicht sein, dass ein guter Teil der neuen Mitglieder auf dem Niveau von 60 bis 70 Prozent der Einkünfte der EU befinden."  

Abgesehen von der Heimatbewegung, der HDZ und der SDP sollten noch die konservative Partei „Most“ und das linksgrüne Bündnis „Mozemo“ zu Deutsch „Wir können“ sicher die Fünf-Prozent-Hürde überspringen; sie gilt jeweils für alle zehn Wahlkreise in Kroatien; weitere zwei Parteien haben ebenfalls Chancen auf Mandate. Abhängen wird das Abschneiden der Parteien natürlich von der Wahlbeteiligung; dabei spiele die Corona-Krise eine Rolle, erläutert der Meinungsforscher Srdjan Dumicic:

14'35 - Wahlbeteiligung niedriger? - 16'00

"Unsere Umfragen zeigen, dass etwa sechs Prozent ernsthaft Angst haben, wegen des Corona-Virus zur Wahl zu gehen; weitere 18 Prozent haben deswegen Bedenken. Somit überlegen etwa 25 Prozent, ob sie wegen des Corona-Virus zur Wahl gehen sollen. Zweitens ist das ein Sommerwochenende; die Wahllokale sind nur bis 19 Uhr geöffnet. Das kann bei liberaleren Stimmbürgern dazu führen, dass sie nicht wählen gehen. Daher rechnen wir mit einer Wahlbeteiligung von etwa 50 Prozent.“

Eine niedrige Stimmbeteiligung begünstigt eher die konservative HDZ, deren Wähler disziplinierter sind; für die HDZ stimmt auch die große Mehrheit der Auslandskroaten, die drei Mandate vergeben. Eine schwierige Regierungsbildung erwartet die ehemalige kroatische Ministerpräsidentin Jadranka Kosor:

Jadranka Kosor 5'17 - Schwierige Regierungsbildung - 7'10

"Ich denke, dass das Bündnis "Restart" unter Führung der SDP mehr Stimmen als die HDZ bekommen wird. Doch die HDZ hat das größere Potential für die Regierungsbildung, weil Miroslav Skoro am Ende sicher mit der HDZ gehen wird. Das Potential des Restart-Bündnisses hängt davon ab, wie viele Mandate andere Bündnisse Links der Mitte bekommen werden. Denn mit der Liste von Miroslav Skoro kann die SDP nur schwer koalieren. Bereits in der Wahlnacht könnten Personen, die auf dem SDP-Bündnis gewählt wurden, bereit sein, die Seiten zu wechseln. Bisher überlebte die Regierung von Andrej Plenkovic, weil Personen von der Linken zu ihm übergelaufen sind."

Eine instabile Regierung in einer Corona-bedingten Wirtschaftskrise wäre keine gute Perspektive für Kroatien. Doch eine große Koalition haben HDZ und SDP auch dieses Mal ausgeschlossen.

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