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Handke und der Balkan und sein Preis

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Morgen erhält Peter Handke in der schwedischen Hauptstadt Stockholm den Literaturnobelpreis. Die Zuerkennung des Preises an den Kärntner Schriftsteller war zwar kaum literarisch, dafür aber umso mehr politisch umstritten. Grund dafür ist Handkes Parteinahme für Serbien und den ehemaligen serbischen Autokraten Slobodan Milosevic, der im Jahre 2006 in einer Zelle des Haager Kriegsverbrechertribunals noch vor dem Ende des Prozesses starb. Dementsprechend widersprüchlich fiel am Balkan denn auch die Reaktion auf die Zuerkennung des Preises aus. Bosniaken und Albaner verurteilten sie scharf als Auszeichnung für einen Mann, der Völkermord gerechtfertigt habe; die Serben empfanden dagegen Genugtuung und wiesen die Kritik zurück. Seit etwa 20 Jahren verfolgt unser Balkan-Korrespondent in Belgrad, Christian Wehrschütz auf die Kontroverse um Peter Handke; hier sein Bericht:

Im Spätherbst 1995 reiste Peter Handke durch Serbien; 1996 veröffentlichte er sein 136 Seiten umfassendes Buch mit dem Titel „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien“. Bereits die Forderung nach Gerechtigkeit für Serbien war damals beinahe unerhört, denn im Westen wurde damals fast völlig negiert, dass Belgrad zwar die Hauptschuld aber nicht die Alleinschuld am blutigen Zerfall Jugoslawiens trug, und auch das serbische Volk viele Opfer zu verzeichnen hatte. Doch anstatt zur Mäßigung aufzurufen, fiel Handke ins andere Extrem und übernahm kritiklos Positionen serbischer Nationalisten. Das zeigte auch ein Interview, das er in Belgrad im Mai 1996 der damaligen ORF-Korrespondentin Veronika Seyr gab. Zu den Verbrechen serbische Verbände im Bosnien-Krieg äußerte sich Peter Handke unter Hinweis auf den Führer der Bosniaken, Alija Izetbegovic, so:

"Ich würde ganz gerne wissen, wie das alles war; ich müsste es wissen auch, ich muss das wissen; und ich bin zutiefst erschrocken über das, was - und ich sage noch einmal dem Anschein nach - die bosnischen Serben angerichtet haben, vor allem Anfang 1992 in Ostbosnien; und ich möchte das herauskriegen. Wie kann ein Mann wie Izetbegovic, da einen Staat erklären, wo 31 Prozent auf seinem zu errichtenden Staatsgebilde ganz und gar dagegen sind. Und es musste ihm klar sein, dass er einen Teil seines eigenen Volkes, der Muslime opfert, dass er die dem Tod ausliefert. Alija Izetbergovic ist selber schuld, wahrscheinlich mit dem serbischen Volk, an tausenden, tausenden Opfern in Bosnien."

So fragwürdig die Anerkennung dieses Staates durch EU und USA war, so klar ist, dass damit nicht Verbrechen wie das Massaker an fast 8.000 Bosniaken in Srebrenica im Sommer 1995 gerechtfertigt werden können. Hinzu kommt bei Handke eine Mischung aus berechtigter Kritik und mangelnder Faktenkenntnis. Das zeigt auch die im ORF-Interview 1996 geäußerte Kritik am Haager Tribunal; Peter Handke:

"Diese Katharsis wird sicher nicht vom internationalen Gerichtshof in Den Haag kommen, denn wenn dieser Gerichtshof schon anfängt, der erste, der angeklagt wird, das wird die Medien bestimmen, und das wird natürlich ein Serbe sein. Und wer danach kommt, ob eine Kroate oder Bosniake, der wird dann nicht von den Medien wahrgenommen. Diese Prozesse müssen simultan stattfinden, es darf nicht der erste Angeklagte ein Serbe sein. Das ist ein Medienskandal, finde ich."

Es stimmt, dass das Haager Tribunal aufgrund vieler Fehler mit dazu beitrug, dass es in Serbien zu keiner Selbstreinigung kam, doch die Prozessabfolge und die westlichen Medien spielen dabei keine Rolle. Im Oktober 2000 stürzte der serbische Autokrat Slobodan Milosevic, im Frühsommer 2001 wurde er an das Haager Tribunal ausgeliefert; dort besuchte ihn auch Peter Handke. Mitte März 2006 starb Milosevic an Herzinfarkt in einer Zelle des Tribunals. Beim Begräbnis in Milosevics Geburtsstadt Pozarevac trat auch Handke auf und sagte:

„Ich weiß, dass ich die Wahrheit nicht weiß. Aber ich schau, höre, fühle, erinnere mich. Daher bin ich heute hier, nahe bei Jugoslawien, bei Serbien, bei Slobodan Milosevic.“

Doch 2006 waren viele Wahrheiten über Slobodan Milosevic bekannt und konnten auch von einem Schriftsteller gewusst werden, der wie Peter Handke nur radebrechend serbisch spricht, und seine wenigen Sätze immer ablesen muss. Die Persönlichkeit des Kärntner Autors beschreibt in Agram der kroatische Philosoph Zarko Puhovski so:

"Bei Peter Handke ist das Problem sehr einfach. Handke ist ein 68iger, und sein Schreiben war inspiriert von den Haltungen der 68iger, das bedeutet - ich bin gegen die Mehrheit. Wenn die Mehrheit meines Landes, in Westeuropa und unter den Kapitalisten für Kroatien und Bosnien und Herzegowina ist, dann bin ich für die Serben; das kann man verstehen, bis zu dem Punkt, wo er den Völkermord in Srebrenica verteidigt. Das ist ein Punkt, den man nicht überschreiten darf. Doch man muss einfach einen großen Schriftsteller trennen von einem kleinen Menschen. Ein ausgezeichnetes Beispiel ist Martin Heidegger, der neben Wittgenstein einer der beiden größten Philosophen des 20. Jahrhunderts war. Dass Heidegger unter Anführungszeichen eine Schwäche für den Nazismus hatte, ist Teil seiner Biographie. Jean Paul Sartre war von Stalin begeistert auch nachdem man von den Lagern bereits wusste. Doch niemand kann mir sagen, dass Milosevic schlimmer als Stalin war. Man muss den Autor von seinem Werk trennen."

Eine weise Einstellung, die nicht nur für Peter Handke gelten sollte. In Belgrad befürwortete der serbische Schriftsteller Dragan Velikic die Verleihung des Nobelpreises an Peter Handke auch damit, dass der Preis auch vielen fragwürdigeren Schriftstellern zuerkannt worden sei. In ähnlichem Sinne kommentiert auch in Agram der Philosoph Zarko Puhovski den Nobelpreis an Peter Handke:

"Vor allem sendet diese Entscheidung allen ein Signal aus, dass man den Nobelpreis nicht zu ernst nehmen muss. Ihn haben wirklich einige große Schriftsteller und Wissenschaftler bekommen. Wenn sie aber nur sehen, wer etwa alles den Nobelpreis für den Frieden bekommen hat, wie Präsident Barak Obama oder der frühere US-Sicherheitsberater Henry Kissinger, oder wer den Nobelpreis für Literatur nicht bekommen hat, oder welche bedeutenden Chemiker und Physiker leer ausgingen, dann ist klar dass das eine Art Wette ist, bei der der eine gewinnt oder der andere verliert, doch die Kriterien nicht klar sein können. Da gibt es einige Dichter, die den Nobelpreis bekommen haben, an die sich niemand mehr erinnert."

Peter Handke ist in Serben wegen seiner politischen Einstellung viel populärer als als Schriftsteller. Mehrfach ausgezeichnet, verlieh ihm Milosevics ehemaliger Koalitionspartner, Tomislav Nikolic, im April 2013 als damaliger Präsident Serbiens eine Medaille. In seiner kurzen Dankesrede sagte Handke:

"Ich habe nie gelitten wegen meines Eintretens für Serbien; ich bin jedes Mal bereichert worden. Das jugoslawische und serbische Problem hat mich innerlich reich gemacht. Ich bin kein Opfer; das serbische Volk ist ein Opfer."

Doch das serbische Volk ist das einzige am Balkan, in dem die Opferrolle Teil des nationalen Mythos ist. Dass die Intellektuellen dieses Volkes sich bis heute nur in sehr geringem Ausmaß mit den katastrophalen Folgen auseinandersetzen, die Slobodan Milosevic gerade für das eigene Volk hatte - dazu trägt auch Peter Handke bei, der den Nationalisten bis heute als Rechtfertigung dient.

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