× Logo Mobil

Kroatien fünf Jahre Mitglied der EU

Radio
Europajournal
Berichte Kroatien

Fünf Jahre ist Kroatien nun Mitglied der EU; das genaue Beitrittsdatum war der 13. Juni 2013. Kroatien schaffte diesen Beitritt quasi im letzten Abdruck, denn nach internationaler Finanzkrise und der Euro- und Griechenlandkrise war die Erweiterungsmüdigkeit in der EU damals bereits deutlich spürbar. Kroatien war daher sicher auch für mindestens zehn Jahre das bisher letzte Land des ehemaligen Jugoslawien, das die EU aufgenommen hat. Doch wie hat sich Kroatien in diesen fünf Jahren entwickelt. Positiv sind sinkende Arbeitslosigkeit und größere Finanzdisziplin der Regierungen. Auch die Exporte in andere EU-Staaten haben spürbar zugenommen, gleiches gilt aber auch für die Abwanderung; Experten schätzen, dass seit dem Jahre 2014 mehr als 100.000 Bürger ausgewandert sind; Grund dafür sind nicht nur höhere Löhne im Ausland, sondern die politische Instabilität; seit dem EU-Beitritt vor fünf Jahren amtiert in Kroatien bereits die dritte Regierung; das wirkte sich negativ auch auf die Nutzung von EU-Förderungen aus. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz war jüngst wieder in Kroatien und hat den folgenden Beitrag über die Entwicklung dieses Landes in den ersten fünf Jahren seiner EU-Mitgliedschaft gestaltet:    

„Du fühlst Dich leer – was tust Du? Komm nach Kroatien und lade Deine Batterien auf!“ So lautet die erste Zeile eines Videos, mit dem Kroatien heuer um Touristen aus aller Herren Länder wirbt. „Kroatien – voll des Lebens“ lautet der Titel des Videos; tatsächlich hat das touristische Leben in den vergangenen fünf Jahren stark zugenommen – von 12,2 Millionen Touristen im Jahre 2013 auf 17,5 Millionen im Jahre 2017. Doch auch der Tourismus zeigt, wie weit Kroatien durch Krieg und mangelnde Reformen trotz EU-Beitritts und günstigem internationalen Umfeld zurückliegt; denn der Rekord an Nächtigungen ausländischer Touristen aus dem Jahre 1987 konnte erst 2014 und damit nach 27 Jahren übertroffen werden.

Kroatien ist bestrebt, nicht nur den Tourismus an der Küste, sondern auch in anderen Landesteilen zu entwickeln, wo der Werbeslogan „Voll des Lebens“ nicht mehr gilt. Zu diesen Gebieten zählen Slawonien aber auch das Grenzgebiet zu Bosnien und Herzegowina. Dort liegt, keine 100 Kilometer von Agram entfernt, die Gemeinde Dvor. Bereits 2011 waren 40 Prozent der Bewohner von Dvor älter als 65 Jahre; der Ort zählte damals 5600 Bewohner. Nach dem EU-Beitritt setzte 2014 eine Auswanderungswelle ein; mehr als 1000 Bürger verließen den Ort; durch EU-Projekte versucht die Gemeinde die Infrastruktur zu verbessern; insgesamt zählt Kroatien derzeit zu den Schlusslichtern, was die Nutzung von Förderungen betriff; dazu sagt der Bürgermeister von Dvor, Nikola Arbutina:

"Das Problem liegt in den schwierigen und langen Verfahren. Wir haben Förderungen für die Erneuerung der Straßen, der Wasserleitung und des Kindergartens bekommen. Doch erst jetzt sind wir bei der Ausschreibung und erst im Herbst werden die Arbeiten beginnen. Förderungen für die ländliche Entwicklung haben auch unsere Bauern bekommen. Doch wir als Gemeinde sind auf diese schwierigen und langwierigen Verfahren nicht vorbereitet."

Nur spärlich genutzt wird der Waldreichtum; nur zwei Sägewerke gibt es, die zusammen etwa 50 Mitarbeiter zählen. Das Holz wird zugeschnitten und exportiert aber nicht weiterverarbeitet. Das Holz ist eine Chance von Dvor; andere schildert Nikola Arbutina:

"Die Zukunft von Dvor liegt in der Landwirtschaft; wir haben hier fast 10.000 Schafe und Ziegen; sehr viele Menschen arbeiten in bäuerlichen Familienbetrieben und auch als Imker. Eine zweite Perspektive liegt im Tourismus, weil Natur und Fluß Una schön sind. In Dvor ist nicht alles schwarz; das Problem liegt darin, dass die Menschen kein Licht am Ende des Tunnels und damit keine Perspektive sehen; die Menschen sagen sich, wenn wir es schon nicht erreicht haben, so wollen wir doch eine besseres Zukunft für unsere Kinder."

Kroatien leidet unter einem enormen regionalen Entwicklungsgefälle. Vier von fünf Gespannschaften in Slawonien zählen zu den unterentwickeltsten Regionen in der EU überhaupt. Gemessen am Durchschnitt der kroatischen Wirtschaftsleistung pro Kopf liegt der Osten Kroatiens bei nur 39 Prozent. In diese Regionen will die Regierung daher massiv investieren, und zwar Mittel aus Fonds der EU. Licht am Ende des Tunnels der nur geringen Nutzung von EU-Förderungen sieht denn auch, Gabrijela Zalac die Ministerin für regionale Entwicklung:

"Für das Projekt Slawonien haben wir 2,5 Milliarden Euro aus drei EU-Programmen bereitgestellt; vereinbart haben wir derzeit Projekte von 800 Millionen Euro. Zu den Projekten zählen die Elektrifizierung von Eisenbahnstrecken, die Verbesserung der Wasserwirtschaft wie etwa auch der künstlichen Bewässerung in der Landwirtschaft, Anreize für Start-ups, wobei wir erst am Beginn der Vereinbarung derartiger Projekte stehen. Wir arbeiten sehr intensiv mit den lokalen Behörden bei derartigen Projekten zusammen." Insgesamt hat uns die EU bis 2020 10,7 Milliarden Euro an Mittel eingeräumt. Davon haben wir bisher mehr als 40 Prozent vereinbart; bis Jahresende sollen es 60 Prozent sein. Im Vergleich zu den vergangenen drei Jahren haben wir die Verwendung dieser Mittel massiv gesteigert. Nicht zufrieden bin ich mit dem Ausmaß der von der EU bereits ausbezahlten Mittel; da liegen wir erst bei etwas mehr als sieben Prozent."

Einen Grund für diesen Rückstand sieht Gabrijela Zalac in der politischen Instabilität der vergangenen Jahre:

„Wir hatten praktisch zwei Jahre mit Wahlen, das waren die Jahre 2015 und 2016. Da kamen Vorbereitung und Durchführung von Projekten zum Stillstand wegen der großen politischen Instabilität. Wir sind wirklich drei Jahre zu spät dran; erst im Juli 2017 haben wir alle Vorbedingungen für die Nutzung von EU-Fonds erfüllt, um überhaupt mit Ausschreibungen beginnen zu können."

Doch auch die Regierung des konservativen Ministerpräsidenten Andrej Plenkovic verfügt im Parlament nur über eine sehr knappe Mehrheit. Ob damit die nötigen Reformen durchgeführt und dem negativen demographischen Trend gegengesteuert werden kann, ist fraglich. Kroatien hat derzeit noch 4,2 Millionen Einwohner; ein Viertel davon lebt im Großraum Agram; 2011 waren es noch 4,4 Millionen. Probleme habe Kroatien auch mit der Überalterung seiner Bevölkerung, erläutert in Agram der Direktor des Statistisches Zentralamts, Marko Kristof:

"Die Zahl der Pensionisten ist seit 1991 drastisch angestiegen; damals zählte Kroatien etwa 720.000 Pensionisten, heute sind es 1,2 Millionen. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Beitragszahler, der Pensionsversicherten, verringert; damals waren es mehr als 1,7 Millionen, heute sind es 1,4 Millionen. Somit stieg die Zahl der Pensionisten um etwa 500.000, während die Zahl der Beitragszahler und Beschäftigten um mehr als 300.000 Personen verringert hat."

Durch Auswanderung, Wirtschaftswachstum und steigende Exporte ist zwar die Arbeitslosigkeit binnen fünf Jahren von mehr als 17 auf 11 Prozent gesunken. Doch die Folgen der Auswanderung spüre mittlerweile die gesamte kroatische Wirtschaft, betont der Chefvolkswirt der Splitska Banka, Zdeslav Santic:

"Als die wirtschaftliche Erholung vor zwei, drei Jahren einsetzte, spürte dieses Problem zuerst die Bauwirtschaft, dann der Tourismus und heute ist der Arbeitskräftemangel fast in allen Wirtschaftszweigen sichtbar. Allfällige größere ausländische Investitionen wie etwa für die Automobilindustrie, wären in Kroatien nur sehr schwer umsetzbar, weil die Arbeitskräfte fehlen. Dieses Problem betrifft nun sogar auch Klein- und Mittelbetriebe; in einigen Bereichen kam es deswegen bereits zum Aufschub von Investitionen.“

Besorgt ist Zdeslav Santic über die langfristigen Folgen der Migration:

"Arbeitskräftemangel bedeutet ein geringeres Wirtschaftswachstum in der Zukunft, einen höheren Lohndruck und ein rascheres Ansteigen der Löhne als der Produktivität; das wirkt sich dann wieder negativ auf die Konkurrenzfähigkeit der kroatischen Wirtschaft aus. Hinzu kommt, dass die Auswanderung junger Menschen auch dazu führt, dass die Einnahmen aus Steuern und Beiträgen geringer werden; das wiederum bedroht ganz klar die Haltbarkeit des Gesundheits- und des Pensionssystems."

Trotz aller Herausforderungen hat Kroatien von seinem EU-Beitritt zweifellos profitiert, politisch und wirtschaftlich. Politisch, weil Kroatien gleichsam im letzten Abdruck noch den Beitritt zur EU geschafft hat, während für die restlichen sechs Staaten des Westbalkan eine zeitlich klar abschätzbare Beitrittsperspektive nicht besteht. Wirtschafts- und finanzpolitisch profitierte Kroatien, weil sich der Druck der EU bezahlt machte, und die Regierung gezwungen war und ist, Budgetdefizit und Staatsschulden abzubauen, die in den Jahren des Wirtschaftsrückgangs zwischen 2009 und 2014 massiv angestiegen sind. 2014 lag die Staatsverschuldung bei 84 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung, Ende des Vorjahres nur mehr bei 78 Prozent; 2017 wies das Budget auch zum ersten Mal einen Überschuss aus. Um 50 Prozent gestiegen sind die kroatischen Exporte; doch der Wirtschaftsexperte Zdeslav Santic hat Zweifel an der Langfristigkeit dieser Zunahme:

"Wenn wir uns die vorangegangenen beider Erweiterungsrunden anschauen, dann sieht man, dass sich der positive Effekt des Beitritts über drei vier Jahre durch ein ziemlich starkes zweistelliges Wachstum der Ausfuhren gezeigt hat. Das geschah auch in Kroatien, doch zeigen die jüngsten Zahlen, dass das ein Einmaleffekt war und wir sehen eine Verlangsamung der Exportzuwächse."

Kroatien hat durchaus Hochtechnologie-Betriebe, die am Weltmarkt führend sind, doch es sind insgesamt zu wenige. Dazu zählt die Firma INETEC, das Institut für nukleare Technologie; es produziert Geräte und Robotersystem zur Überprüfung der Sicherheit von Atomkraftwerken und führt diese Sicherheitsüberprüfungen auch selbst durch. Entwickelt werden von den Ingenieuren etwa spezielle Sonden, die so viel kosten wie ein moderner Kleinwagen. INETEC ist ein Familienbetrieb. Die Besonderheiten von INETEC beschreibt in Agram Firmengründer Dusko Corak so:

"Atomkraftwerke werden heute vor allem im Fernen Osten und im Nahen Osten gebaut. In einer derartigen Lage fehlen vielen Firmen ausreichende Aufträge und diese Firmen investieren auch nicht ausreichend in eine derartige Forschung, weil das für große Firmen zu teuer ist. Daher nutzen große Firmen wie General Electric oder Westinghouse Institute wie das unsere, das heute eines der weltweit führenden Institute für derartige Untersuchungen ist. Denn wir prüfen die atomare Sicherheit sowohl bei Reaktoren sowjetischer oder russischer aber auch westlicher Bauart."

Der EU-Beitritt Kroatiens hat INETEC vor allem den Transport der Geräte in EU-Staaten erleichtert, die Atomkraftwerke betreiben, weil Sondergenehmigungen für Grenzübertritte entfallen sind. Unzufrieden ist Dusko Corak mit dem weiterhin langsamen Tempo, mit dem die kroatische Justiz arbeitet:

"Kroatien hat zwar die EU-Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums übernommen, doch in der praktischen Anwendung ist bei derartigen Gerichtsverfahren Schnelligkeit gefragt. Doch leider führen wir einen Prozess gegen frühere Mitarbeiter bereits 13 Jahre, die auf unerlaubte Weise in den Besitz unserer Technologie gelangt sind und diese nutzen. Doch ohne entsprechenden Schutz des geistigen Eigentums wird es schwierig sein, dass die IT-Industrie und Hochtechnologiefirmen nach Kroatien kommen. Das fachliche Potential für Hochtechnologie ist jedenfalls vorhanden."

Die Justiz aber auch die Reform von Bürokratie und Staatbetrieben zählen zu den Hausaufgaben, die Kroatien noch nicht erledigt. Was die EU betrifft, so möchte die Regierung das Land in den kommenden sechs Jahren in die Eurozone führen. Das zweite große Ziel ist der Beitritt zum Schengen-Raum; ein politischer Beschluss auf EU-Ebene könnte im kommenden Jahr fallen, wenn Slowenien mitspielt. Denn der Grenzstreit um die Bucht von Piran ist noch immer nicht beigelegt und Slowenien droht mit einem Veto gegen den Schengen-Beitritt Kroatiens. Dieser Grenzstreit blockierte im Jahre 2009 bereits die Beitrittsverhandlungen Kroatiens mit der EU ein ganzes Jahr lang. Entschärfen konnte ihn die damalige Ministerpräsidentin Jadranka Kosor, die im Jahre 2011 auch den Beitrittsvertrag Kroatiens zur EU unterzeichnete. Kosor vereinbarte mit dem damaligen slowenischen Ministerpräsidenten Borut Pahor ein Schiedsgerichtsverfahren; sein im Vorjahr gefälltes Urteil erkennt Kroatien nicht an, weil Slowenien versuchte, die Richter zu beeinflussen. Kosor hofft nun auf zwischenstaatliche Verhandlungen, um dieses Problem endlich aus der Welt zu schaffen. Den EU-Beitritt Kroatiens sieht Kosor als einen wichtigen Schritt auch für Frieden und Stabilität im ehemaligen Jugoslawien. Trotzdem mischt sich auch Sorge in diese positive Bewertung; sie formuliert Jadranka Kosor so:

"Ich bin besorgt, dass wir uns weiter am Ende der Rangliste der EU-Staaten in unmittelbarer Gesellschaft von Rumänien und Bulgarien befinden, was die Wirtschaftsleistung, Reichtum oder Armut der Bevölkerung betrifft. Kurz gesagt: von den Regierungen, die nach mir kamen, bis zur amtierenden habe ich viel mehr Ambitionen und Dynamik erwartet, was die Positionierung Kroatiens in der EU betrifft."

Mit Sorge erfüllt Kosor auch die Entwicklung der EU selbst; einerseits würden die tatsächlichen Folgen des Brexit wohl erst wirklich klar sein, sobald der Austritt Großbritanniens vollzogen sei. Anderseits würden viel zu viele Politiker der EU-Staaten viel zu oft die Grundwerte außer Acht lassen, die zur Gründung dieser Gemeinschaft geführt hätten. Gerade diese Grundwerte seien für Südosteuropa besonders wichtig, betont Jadranka Kosor:

"Man sollte sich immer daran erinnern, warum die EU nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde, um Stabilität und Frieden zu sichern. Ich denke, dass gerade wir in Südosteuropa Verfechter dieser Werte sein müssten, auf die hin und wieder vergessen wird, das sind Stabilität und Frieden; denn wir hatten hier vor etwas mehr als nur 20 Jahren leider Krieg, und dessen Folgen spüren wir noch immer. Zu diesen Grundideen muss man zurückkehren, sie sind außerordentlich wichtig. Dazu kommt auch die Herrschaft des Rechts als eine der Grundlagen der EU."

Facebook Facebook