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Kroatien und die Ukraine und UNO

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Berichte Kroatien

„Kroatisches Szenario“ ist ein geflügeltes Wort, wenn in Kiew über eine Reintegration des Kriegsgebiets in der Ostukraine diskutiert wird. Für die politischen Falken sind dabei die Offensiven „Gewitter“ und „Sturm“ das Vorbild, durch die Kroatien 1995 einen Großteil seines von serbischen Truppen und serbischen Aufständischen kontrolliertes Territorium zurückeroberte. Für die politischen Tauben in der Ukraine gilt dagegen die friedliche Reintegration Ostslawoniens durch die UNO-Mission UNTAES als Vorbild, die im Jänner 1998 endete. Teil dieses Prozesses waren der Vertrag von Erdut Ende 1995 zwischen Kroatien und Serbien sowie eine Amnestie für die serbischen Aufständischen sowie eine Flüchtlingsrückkehr. An der Vorbereitung dieser Mission beteiligt war der nunmehrige Professor für humanitäres Völkerrecht an der Universität Zagreb, Ivan Simonovic. Er war zwischen 2010 und 2016 Vertreter des UNO-Generalsekretärs für Menschenrechtsfragen in der Ukraine und besuchte in dieser Funktion auch die Rebellengebiete von Donezk. In Zagreb hat unser Balkan- und Ukraine-Korrespondent Christian Wehrschütz mit Ivan Simonovic darüber gesprochen, was die Ukraine aus dem kroatischen Beispiel lernen kann; hier sein Bericht:

Die erfolgreiche, friedliche Reintegration von Ostslawonien durch die UNO-Mission UNTAES hatte mehrere Väter: ein klares und zeitlich befristetes Mandat, das gemeinsame Interesse Kroatiens und Serbiens an einer friedlichen Lösung und die Tatsache, dass Kroatien durch die Militäraktionen „Gewitter“ und Sturm“ gezeigt hatte, dass es militärisch zum ebenbürtigen Gegner für Serbien geworden war. Als weitere Gründe für den Erfolg der UNO-Mission nennt in Agram Ivan Simonovic folgende Punkte:

„Für die friedliche Reintegration von Ostslawonien war es sehr wichtig, dass eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Kroatien und Serbien erreicht wurde. Gleichzeitig war es für die Annahme des UNO-Mandats und für dessen Erfolg wichtig, dass in diesen Prozess vollständig auch die lokalen Strukturen eingebunden waren. Man kann im UNO-Sicherheitsrat eine Friedensmission und ihr Mandat vereinbaren, wenn Ukraine und Russland eine gemeinsame Sprache finden; doch für den tatsächlichen Erfolg dieser Mission vor Ort, für Vertrauensbildung und neuerliches Zusammenleben, ist es außerordentlich wichtig, auch alle lokalen Interessensgruppen einzubinden."

Diese Aufzählung macht bereits die Herausforderungen deutlich, die es für eine UNO-Mission in der Ostukraine zu bewältigen gilt; so sind Kiew und Moskau weit von einer Normalisierung ihrer Beziehungen entfernt; verhandelt wird über eine UNO-Mission zwischen Russland und den USA, bisher noch ohne greifbares Ergebnis. Außerdem lehnt Kiew die prorussischen Kräfte in Donezk und Lugansk als Verhandlungspartner ab. Hinzu kommt das ungleiche militärische Kräfteverhältnis zwischen der Ukraine und Russland.

Dieser gravierenden Unterschiede zwischen der Lage in der Ukraine heute und in Kroatien damals ist sich Ivan Simonovic bewusst. Trotzdem sieht er auch Faktoren, die eine Reintegration in der Ukraine leichter machen würden:

"Natürlich gibt es viele zusätzliche Schwierigkeiten für eine Reintegration in der Ukraine, doch was in Kroatien damals schwieriger war als heute in der Ukraine, das waren der Hass und die Frage verübter Kriegsverbrechen. Derartige Verbrechen wurden in der Ukraine deutlich weniger verübt und weit geringer präsent war auch der Hass, der dadurch zum Ausdruck kam. Als ich in der Ukraine auf beiden Seiten der Frontlinie mit einfachen Menschen sprach, bemerkte ich keinen Hass gegenüber Menschen auf der jeweils anderen Seite. Es gab Zorn auf die Regierung oder die Führung der Aufständischen, aber nicht gegenüber einfachen Menschen. Darauf lässt sich eine bessere Zukunft aufbauen."

Trotzdem se eine kurzfristige Vereinbarung für eine UNO-Mission zur Reintegration der Ostukraine wohl nicht zu erwarten, betont Ivan Simonovic:

"Die Schlussfolgerung und die Bilanz sind sehr klar: ich denke, dass Russland viel verloren hat, dass die EU viel verloren hat, und dass die Ukraine am meisten verloren hat, und dort wiederum jene Gebiete auf beiden Seiten der Waffenstillstandslinie. Ich denke, dass langfristig eine Lösung gefunden werden kann, die Russland und der EU entspricht, in der die Ukraine die Rolle einer Brücke einnimmt zwischen der EU und Russland. Darin kann auch der Donbass mit verschiedenen Formen der Selbstverwaltung seinen Platz finden."

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