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Kroatien vor der Abwahl des Regierungschefs

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Berichte Kroatien
In Kroatien wurde vor knapp sechs Monaten eine neue Regierung gebildet. Fast ebenso lange dauert auch bereits die Krise dieser Koalition, die die nationalistische Partei HDZ und die konservative Partei MOST bildeten. Zum Regierungschef kürten beide den parteilosen Manager Tihomir Oreskovic. Sein politisches Ende dürfte heute im Parlament in ZAGREB kommen, denn die HDZ selbst hat gegen Oreskovic einen Mißtrauensantrag eingebracht, dem auch die oppositionellen Sozialdemokraten zustimmen wollen. Unklar ist, ob auf die voraussichtliche Abwahl des Ministerpräsidenten auch rasch vorgezogene Parlamentswahlen folgen werden. Aus Zagreb berichtet unser Korrespondent Christian Wehrschütz:

Dreiecksbeziehungen sind oft kompliziert und konfliktbeladen. Das galt von Beginn an für die kroatische Regierung, die die nationalistische HDZ unter Tomislav Karamarko und die konservative Partei MOST unter Boze Petrow mit dem parteilosen Ministerpräsidenten Tihomir Oreskovic bildeten. Da für MOST Karamarko als Regierungschef nicht akzeptabel war, wurde Oreskovic aus dem Hut gezaubert. Seine Stellvertreter wurden Karamarko und Petrow. Politisch geriet diese Dreiecksbeziehung sehr rasch in die Krise. Sie kumulierte als bekannt wurde, dass Karamarkos Frau eine Geschäftsbeziehung mit einem Lobbyisten des Energiekonzerns MOL hat. Gestern entschied die Kommission für Interessenskonflikte, daß ein derartiger Konflikt im Falle Karamarkos besteht, und der stellvertretende Regierungschef erklärte seinen Rücktritt. Diesen hatte Koalitionspartner MOST bereits gefordert. Die HDZ wiederum brachte im Parlament einen Mißtrauensantrag gegen Tihomir Oreskovic ein, der eine Erfindung von MOST ist. Sie ist die einzige Partei die heute nicht für seine Abwahl stimmen wird. Diesen Schachzug der HDZ kommentiert die ehemalige HDZ-Vorsitzende und frühere Ministerpräsidentin Jadranka Kosor so:

"Der parteilose Tihomir Oreskovic hatte keine demokratische Legitimität durch Wahlen, doch er wurde zum Retter Kroatiens und großen Experten hochstilisiert. Nur fünf Monate später spricht man jetzt davon, dass er nichts wert und der schlechteste sei und abtreten müsse. Das hat es in Kroatien noch nie gegeben und das hat die Politikverdrossenheit der Kroaten zusätzlich verstärkt. Mehr als 70 Prozent der Bürger sind für Neuwahlen, und das nach nur fünf Monaten Regierung."

Sollte Oreskovic fallen droht MOST damit, einen Neuwahlantrag zu unterstützen, den die oppositionellen Sozialdemokraten vorbereiten. Andererseits will die HDZ den parteilosen Finanzminister Zdravko Maric zum Regierungschef wählen lassen. Beide Konfliktparteien benötigen im Parlament mit seinen 151 Sitzen 76 Stimmen, um ihre entgegensetzten Ziele zu verwirklichen. Dazu sagt Jadranka Kosor:

"Sollte es der HDZ wie durch ein Wunder gelingen, diese Mehrheit zusammen zu bringen, etwa durch einen zusätzlichen Handel mit den Abgeordneten der nationalen Minderheiten, dann wir das eine Regierung, die außerordentlich schwer zu führen sein wird. Denn eine Regierung, die im Parlament nur 76 oder 78 Mandate hat, kann keine unpopulären Beschlüsse fassen. Dazu braucht es eine stabile Mehrheit. Daher gibt es aus meiner Sicht nur eine anständige Lösung, und das sind sofortige Neuwahlen."

Ob es dazu kommt ist fraglich; nach dem wahrscheinlichen Sturz von Oreskovic hat die HDZ 30 Tage Zeit, um die 76 Stimmen zusammenzubringen. Ihr Vorteil besteht darin, dass der Parlamentspräsident der HDZ angehört und die Abstimmung über einen Neuwahlantrag hinauszögern kann. Die politische Agonie in Kroatien dürfte somit noch einige Monate andauern.  

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