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Reformstau aus der Sicht der Nationalbank

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Berichte Kroatien
Die Regierungen kommen, die Regierungen gehen, die meisten grundlegenden Probleme bleiben; das gilt auch für Kroatien, das seit heute Abend eine neue Regierung hat. Neuer Ministerpräsident ist der ehemalige Manager in der Pharmaindustrie, Tihomir Oreskovic; er hat fast sein ganzes Leben in Kanada verbracht, und war der breiten kroatischen Öffentlichkeit bis vor wenigen Wochen völlig unbekannt. Doch die Pattsituation zwischen dem sozialdemokratischen und dem konservativen Wahlbündnis nach der Wahl machte die drittstärkste Kraft im Parlament, die Partei Most, zum Königsmacher. Sie forderte einen parteilosen Regierungschef als Preis für die Koalition mit der konservativen HDZ, die nach vier Jahren Opposition wieder an die Macht zurückkehrt. Das Kabinett zählt 20 Minister, verfügt im Parlament aber nur eine knappe absolute Mehrheit. Ob all die Reformen nun umgesetzt werden, die Kroatien braucht und auch die Nationalbank in Zagreb einfordert, werden die kommenden Monate zeigen. Über den Reformstau hat in Zagreb unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz mit Nationalbankpräsident Boris Vujcic gesprochen; hier sein Bericht:

In Kroatien ist die Nationalbank ein ruhiger aber stetiger Mahner der Reformen. Dabei hat die neue Regierung den Reformstau geerbt, den ihre Vorgänger hinterlassen haben; als Beispiele für diese Dauerbrenner nennt Nationalbankpräsident Boris Vujcic folgende Themen:

„Wir haben Klein- und Mittelbetriebe befragt, was Ihnen die Arbeit am stärksten erschwert. Mehr als 90 Prozent nannten folgende Probleme: die Überregulierung, die große Zahl an Vorschriften, ihre Widersprüchlichkeit und ihre häufige Änderung. Somit geht es um eine effizientere Staatsverwaltung, um die Beseitigung unnötiger Vorschriften, um das Wirtschaftsklima durch schnellere Verfahren, durch raschere Baugenehmigungen, zu verbessern. Diese Probleme bestehen seit Jahren; daran zeigt sich auch ein Grundproblem der kroatischen Wirtschaft – das ist das relativ niedrige Wachstum der Arbeitsproduktivität, die von 2002 bis 2013 weniger stark gewachsen ist als in anderen Staaten Südosteuropas.“

Grund für den zarten Wirtschaftsaufschwung des Vorjahres waren auch gute internationale Rahmenbedingungen; sie seien aber kein Ruhekissen, betont Vujcic:

„Wegen der politischen Lage in der Umgebung erwarten wir wieder eine sehr gute Tourismussaison; der Ölpreis sinkt weiter. Außerdem können wir weiter mit einer extensiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und der kroatischen Nationalbank rechnen, wodurch die Zinsen niedrig bleiben werden. All das dauert nicht ewig, daher muss man diese günstige Lage nutzen, um das Wachstum zu erhöhen, damit es nicht wieder zu einem Schock für die Wirtschaft kommt, sollten sich diese Rahmenbedingungen ändern.“

Daher hat die neue Regierung keine Zeit zu verlieren; das gelte auch für den Schuldendienst, erläutert der 52-jährige Nationalbankpräsident:

„Heuer müssen 8,3 Milliarden Euro Schulden beglichen werden, die Zinsen nicht eingerechnet. Davon betreffen nur 12 Prozent Staatsschulden, auf die Banken entfallen 20 Prozent, während die Hälfte vor allem Betriebe begleichen müssen. 2016 ist somit ein Jahr wo der Staat einen Handelsspielraum für budgetäre Anpassungen hat, damit der Staat 2017 und 2018 die Schulden leichter begleichen kann, die in diesen beiden Jahren deutlich höher sind.“

Damit es rascher aufwärts geht, will die Nationalbank die schwache Kreditnachfrage ankurbeln; Boris Vujcic:

„Klein- und Mittelbetriebe haben Probleme, sich zusätzlich zu verschulden, weil sie nicht genügend Kapital haben, während der Wert ihrer Sicherheiten gefallen ist. Dafür muss man einen Ersatz finden; dabei können EU-Strukturfonds eine gute Rolle spielen, die man für Garantien für einen Teil der Verluste von Kleinbetrieben nutzen kann. Wenn das gelingt, wird die Kreditvergabe in diesem Sektor stark steigen, der einen Schlüssel für die Wiederbelebung der Wirtschaft und für neue Arbeitsplätze bildet. Dieses Ziel können wir gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank erreichen, und das werden wir in den kommenden drei Monaten versuchen.“

Einen Beitritt Kroatiens zur Eurozone hält der Nationalbankpräsident aber frühestens zu Beginn der 20iger Jahres dieses Jahrhunderts für möglich. Doch auch dieser Zeithorizont sei nur realistisch, wenn die neue Regierung konsequent Reformen umsetze. Wichtig sei die Einführung des Euro für Kroatien, weil ein Großteil der Kredite und Schulden in Euro gehalten und die sogenannte Euroisierung Kroatiens somit sehr stark sei, betont Boris Vujcic  

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