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Kroatien vor einer Wahl als Totes Rennen?

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In Kroatien wird am Sonntag das Parlament neu gewählt. Umfragen sagen ein äußerst knappes Rennen zwischen dem regierenden Mitte-Links-Bündnis unter dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Zoran Milanovic und der nationalkonservativen Koalition unter dem Vorsitzenden der HDZ, Tomislav Karamarko voraus. Im Vergleich zum Jahresbeginn ist der Vorsprung der Opposition stetig geschrumpft und liegt nun unter einem Prozentpunkt. Beide Bündnisse können demnach mit 30 bis 30 Prozent der Stimmen rechnen. Im Parlament mit seinen 151 Abgeordneten wird jeder Block einen Koalitionspartner brauchen; gekämpft wird daher um die relative Mehrheit als bessere Ausgangsposition für Verhandlungen über die Regierungsbildung. Die große Unbekannte sind die vielen Kleinparteien, die nun zum ersten Mal zur Wahl antreten. Die meisten dieser Gruppen haben keine klare Präferenz für einen Koalitionspartner erkennen lassen. Fraglich ist, wie viele der Kleinparteien die Fünf-Prozent-Hürde für den Einzug ins Parlament überspringen werden. Diese Marke gilt für jeden der zehn Wahlkreise in Kroatien, in denen jeweils 14 Sitze vergeben werden. Hinzu kommen noch acht Abgeordnete für die nationalen Minderheiten und drei Mandate für die kroatische Diaspora. Geprägt war der Wahlkampf von vielen persönlichen Untergriffen im Duell zwischen Zoran Milanovic und Tomislav Karamarko. Verfolgt hat die Kampagne unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz, der den folgenden Beitrag „Kroatien vor der Wahl“ gestaltet hat:

Siegesgewissheit verbreitete das nationalkonservative Oppositionsbündnis um die Partei HDZ bis zuletzt bei ihren Kundgebungen. Bis vor wenigen Monaten konnte ihr Vorsitzender Tomislav Karamarko tatsächlich noch mit einer relativen Mehrheit rechnen; denn trotz eines leichten Wirtschaftswachstums nach mehr als sechs Jahren Rezession ist die Bilanz der Mitte-Links-Regierung alles andere als berauschend. Tomislav Karamarko spricht von einem Regierungs-Debakel und bringt als Beispiel die Abwanderung vieler Arbeitskräfte ins Ausland:

„100.000 Landeskinder haben Kroatien verlassen. Glauben Sie denn, dass wir friedlich zuschauen werden, wie die Kinder Kroatien verlassen? In Irlands Hauptstadt Dublin, spricht man mit einem Akzent aus der Stadt Osijek. 2.500 junge kroatische Familien sind in Dublin; die Katholische Kirche hat eine Mission in Dublin eröffnet. Wo sind die jungen, hochgebildeten Kroaten, in die Kroatien investiert hat. Diese Regierung braucht sie nicht.“

Zu den großen Problemen zählt auch die Staatsverschuldung, die heuer 90 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung erreichen dürfte. Die EU hat deswegen bereits ein Verfahren gegen Kroatien eingeleitet; Tomislav Karamarko rechnet vor:

„100 Milliarden Kuna neue Schulden haben sie in dreieinhalb Jahren gemacht. Dagegen haben alle Regierungen von 1991 bis 2011 212 Milliarden Schulden gemacht. Dazu zählt auch die Zeit des Krieges, des Wiederaufbaus aber sogar auch die Rückzahlung von Schulden aus dem uns verhassten früheren Staat Jugoslawien. Dem stehen ihre 100 Milliarden Kuna gegenüber, und da sprechen sie noch von einem Wirtschaftswachstum, das in Wahrheit völlig vernachlässigbar ist.“

Der günstigen Ausgangslage für die HDZ steht ihr Spitzenkandidat als Schwachpunkt gegenüber. Der großgewachsene Tomislav Karamarko, einst Geheimdienstchef und Innenminister, übernahm die HDZ nach der Wahlniederlage 2011, die auf Wirtschaftskrise und viele Skandale der Ära von Ivo Sanader zurückzuführen war, der weiter wegen Korruption im Gefängnis sitzt. Karamarko gelang zwar eine Konsolidierung der HDZ, doch im Wahlkampf leistete sich der 56-jährige mehrfach grobe Schnitzer. Bei einem Interview konnte er nicht die Kernpunkte seines Wirtschaftsprogramms aufzählen, und jüngst verkündete er, die Landwirtschaft brauche „Stand-up-Betriebe“, obwohl er eigentlich „Start-up-Betriebe“ meinte. Seine bestenfalls rudimentären Englisch-Kenntnisse zeigten sich auch beim Besuch bei Angela Merkel in Berlin, die dem konservativen Parteifreund Schützenhilfe leisten wollte. Wer HDZ wählt, wählt Karamarko, verkündet denn immer wieder der sozialdemokratische Ministerpräsident Zoran Milanovic; der 49-jährige ist zwar ebenfalls keine Lichtgestalt, doch er hat – wohl unter dem Einfluss seines amerikanischen Wahlkampfberaters - seinen persönlichen Stil geändert. Milanovic tritt volksnäher auf und macht der nationalkonservativen HDZ nun auch das Primat auf den kroatischen Patriotismus streitig. Milanovic führt einen klassischen Lager-Wahlkampf … . Gut gegen Böse, nationalistische Reaktion gegen modernes, weltoffenes Kroatien; Zoran Milanovic:

„Die Alternative ist das Böse. 500 Arbeitsplätze werden jede Woche geschaffen; ich sage nicht, dass ich oder wir sie schaffen, aber die Bedingungen, die wir geschaffen haben, tragen dazu bei, dass man heute in Kroatien leichter arbeitet. Wir werden die Arbeit steuerlich entlasten, sprich die Löhne jener, die von ihrer Arbeit leben. Wir werden die Steuern auf Gewinne senken, und den Gemeinden mehr Geld lassen. Doch niemals werden wir Dinge versprechen, die nicht machbar sind. So kann ich euch nicht in die Augen schauen und lügen, dass die Pensionen morgen 1.000 Euro betragen werden.

Den apokalyptischen Stil behält Milanovic auch bei, wenn es um den Umgang mit Flüchtlingen und Migranten geht:

„Wir fürchten uns nicht vor denen, die Kroatien in ein Land der Angst verwandeln wollen, die nicht verstehen, dass diese Zeit vorbei ist, dass sie die Menschen mit Abscheu zurückweisen werden. Dieses Kroatien zeigt, dass wir ein moderner und organisierter Staat sind, dass wir all diese Migranten, die Kroatien passieren, menschlich behandeln, während wir gleichzeitig unsere Menschen und Interessen verteidigen.“

Kroatien ist in dieser Krise nur Transitland und die Transporte betreffen die großen Städte bisher nur am Rande. Daher spielte diese Frage im Wahlkampf nur eine untergeordnete Rolle. Trotzdem nutze Milanovic die Massenwanderung, um sich als klarer Verfechter nationaler Interessen gegenüber Serbien und Slowenien zu präsentieren. Punkten konnte Milanovic auch mit dem Zwangsumtausch von Franken-Krediten in die kroatische Währung Kuna, weil viele Kroaten unter den Folgen der Kursverluste leiden. Betroffen waren auf der anderen Seite viel österreichische Banken, die diesen Eingriff der Politik nicht hinnehmen wollen. Worum es für die betroffenen Kroaten geht, erläutert der Wirtschaftsexperte Ivan Lovrinovic:

„Jeder von uns, der sich auf einen ähnlichen Kredit einlässt, hat eine Vorstellung vom Fremdwährungsrisiko, das für ihn akzeptabel ist. Die Betroffenen dachten an 10, 15 oder maximal 20 Prozent. Doch die kumulativen Kursverluste des Kuna betrugen 65 Prozent; das ist ein außerordentliches Ereignis, das für die Kunden nicht vorhersehbar war. Und in diesem Fall trägt das Risiko niemals und nirgends nur eine Seite, sondern die andere Seite muss den Großteil der Kosten tragen.“

Lovrinovic ist einer der beiden Spitzenkandidaten des Wahlbündnisses MOST, zu Deutsch Brücke, die nach Umfragen nun bereits mit sechs Prozent der Stimmen rechnen kann. Der Wahlkampfstil der Bewegung ist viel sachlicher als jener der beiden großen Blöcke. Das ist ein Grund für die wachsende Zustimmung. Zentrales Thema der Partei sind die Arbeitsplätze. Denn der Anteil der Beschäftigten an der arbeitsfähigen Bevölkerung liegt in Kroatien nur bei 49 Prozent; im EU-Durchschnitt sind es 64 Prozent. Dazu sagt Ivan Lovrinovic:

„Wir müssen die Kreditzinsen senken, die für Unternehmer zwei bis drei Mal so hoch sind wie in Deutschland oder Österreich. Das vernichtet die Konkurrenzfähigkeit. Zweitens werden wir die steuerfreien Einkommen von derzeit umgerechnet 340 Euro deutlich erhöhen; damit wollen wir den privaten Konsum ankurbeln und die Steuereinnahmen erhöhen. Drittens werden wir die Staatsausgaben bei den großen Investitionen nicht senken; das betrifft etwa den Bereich der Energie, wo wir die Ausgaben sogar erhöhen werden, weil der Ausbau der Wasserkraft völlig gerechtfertigt ist. Denn wir importieren Energie, und wir wollen die Importabhängigkeit verringern. Durch all diese Maßnahmen wollen wir – gemessen an der Größe Kroatiens – viele Menschen beschäftigen.“  

„Die Brücke“ und die vielen anderen Kleinparteien sind die größte Unbekannte der Wahl; einerseits fehlen klare Koalitionsaussagen, andererseits muss in Kroatien in jedem der zehn Wahlbezirke die Sperrklausel von Fünf-Prozent übersprungen werden, um im jeweiligen Wahlbezirk Mandate gewinnen zu können. Dazu sagt in Agram der Meinungsforscher Ante Salinovic:

„Viele Kleinparteien liegen um die Sperrklause in einer größeren Zahl an Wahlbezirken. Dazu zählen, Die Brücke, Walnuss, Lebende Mauer, die Partei des Zagreber Bürgermeisters Milan Bandic. Somit haben wir einen Pool von 10 bis 15 Mandaten, die diese Parteien bekommen können oder nicht. Das hängt natürlich vom Wahlkampf ab. Gelingt es den beiden großen Blöcken die Wahl auf die Wahl des Regierungschefs zu zuspitzen oder schaffen es die kleinen Parteien darzustellen, dass es um einen inhaltlichen Wandel geht, und daher für sie gestimmt werden müsse.“

Weitgehend sicher ist, dass nach der Wahl das große Feilschen beginnen wird, und zwar unabhängig davon, welches der beiden Lager die Nase vorne hat.

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