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Wie EU-Reif ist Kroatien?

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Berichte Kroatien
Als Land für einen Traumurlaub, als Land der tausend Inseln und der mediterranen Schönheit wirbt Kroatien um Gäste aus aller Welt. Der Tourismus macht knapp ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsleistung aus, und als Urlaubsland ist Kroatien auch in den meisten Köpfen der Österreicher verankert. Sie werden ab erstem Juli an der Grenze nur mehr Personalausweis oder Pass vorzeigen müssen, weil die Zollkontrollen durch den EU-Beitritt wegfallen. In welchem Ausmaß durch die EU-Mitgliedschaft der Bekanntheitsgrad des Landes steigt und auch zu mehr Gästen führt, bleibt abzuwarten. Negative Folgen verspürte Kroatien bereits jetzt. So sank die Zahl der Touristen aus der Ukraine und Russland beträchtlich, weil Kroatien wegen des EU-Beitritts für diese Länder im Gegensatz zum Vorjahr keine Visa-Freiheit mehr gewähren konnte.

Dieses Beispiel hat für die Bewertung der Folgen der EU-Mitgliedschaft Kroatiens durchaus Symbolcharakter. Kurz- und mittelfristig dürften die Auswirkungen negativ, langfristig aber zweifellos positiv sein. Warum – ist einfach erklärt. Durch den Wegfall der Zollschranken muss sich die kroatische Wirtschaft dem Wettbewerbsdruck aus der EU ungeschützt stellen. Schätzungen besagen, dass jeder fünfte Industriebetrieb in Kroatien wird entweder zusperren oder umstrukturieren müssen. Unter Druck kommen wird auch die Landwirtschaft, denn viele der 100.000 Bauern bewirtschaften nur Flächen im Umfang von fünf bis sechs Hektar. Außerdem fehlt eine starke und kompetente Landwirtschaftskammer, die beim Ausfüllen von EU-Förderanträgen helfen könnte. Die große Ausnahme heißt Agrokor, der jüngst die slowenische Handelskette Merkator übernommen hat. Der Privatkonzern verarbeitet pro Jahr 350.000 Schweine, produziert 40 Millionen Liter Milch und bewirtschaftet 40.000 Hektar Fläche; der Konzern ist damit mehr als zehn Mal so groß wie der größte österreichische Agrarbetrieb. Agrokor wird sich im EU-Wettbewerb sicher behaupten können.

Auf die kroatische Wirtschaft kommt mit erstem Juli aber noch eine weitere Herausforderung zu. Denn es entstehen neue Zollschranken, weil Kroatien die Freihandelszone CEFTA verlassen und das EU-Zollregime übernehmen muss, das für Länder wie Serbien und Bosnien und Herzegowina gilt. Auf die CEFTA entfällt ein Fünftel der kroatischen Exporte. Viele große Firmen haben bereits Produktionsstandorte in diesen Ländern, andere werden folgen. Das wird den kroatischen Arbeitsmarkt weiter belastet; doch bereits jetzt ist jeder fünfte arbeitsfähige Kroate erwerbslos, und die Jugendarbeitslosigkeit ist mit etwa 40 Prozent die dritthöchste hinter Spanien und Griechenland. Hinzu kommt, dass die Regierung kaum Geld für Konjunkturprogramme hat, weil die Staatsverschuldung ohnehin schon 100 Prozent der Wirtschaftsleistung liegt.

Seit fünf Jahren schrumpft die Wirtschaft des Landes, ein wirklicher Aufschwung ist noch nicht in Sicht. Kroatien ist in der Krise, und das ist das eigentlich Einzigartige seines Beitritts; denn er erfolgt zu einem Zeitpunkt, zudem nicht nur die EU sondern auch Kroatien in einer tiefen Krise stecken. Investitionen, Exporte und Privatkonsum sind rückläufig. Entscheidend für die Wiederbelebung der Wirtschaft wird daher sein, in welchem Ausmaß Kroatien jene 12 Milliarden Euro abrufen kann, die durch EU-Fonds bereitgestellt werden. Doch das Geld fließt nur, wenn entsprechende Projekte vorgelegt werden. Das wird vor allem bei der Abfallbewirtschaftung entscheidend sein. Kroatien muss die meisten seiner Deponien sanieren, Müll trennen, wiederverwerten und Fristen einhalten, sonst drohen Strafzahlungen an Brüssel statt Geldsegen aus Brüssel. Dessen Nutzung gelang bislang nur mäßig. So konnte Kroatien nur ein Drittel der Mittel abrufen, die die EU in ihrem Vorbeitrittsfonds vorgesehen hatte. Zu gering ist die Zahl von Förderberatern, zu oberflächlich die Vorbereitung vieler Betriebe, denen die Politik lange suggerierte, dass es nach dem Beitritt relativ leicht sein werde, zu Geld zu kommen.

EU-Mittel erfolgreich für die Modernisierung nutzen konnte die Firma Gala in der Stadt Bjelovar, 80 Kilometer nordöstlich von Agram. Die Hennen von Gala legen 140.000 Eier pro Tag, die Firma ist einer der drei großen Produzenten in Kroatien. Doch die Käfige waren zu klein und entsprachen ebenso wenig EU-Standards wie die Lagerung des Stallmists. Ihm werden nun durch ein Tunnelsystem 80 Prozent der Feuchtigkeit entzogen; dadurch stinkt nichts und eine Belastung der Umwelt gibt es nicht. Verbessert wurde auch die Haltung der Hennen, durch größere Käfige, eine Stange zum Sitzen und ein Nest zum Eierlegen. Das von der EU mitfinanzierte Projekt dauerte vier Jahre. Bis zum Ende der Übergangsfrist am 1. Juli 2014 dürften bis zu 80 Prozent der Eierproduzenten diese EU-Standards erreicht haben; sie erfüllen heute noch nicht einmal alle Altmitglieder, obwohl die entsprechende EU-Vorschrift aus dem Jahre 1999 stammt und konventionelle Käfighaltung seit Jänner 2012 in der EU verboten ist. Italien und Griechenland hat die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt, weil sie dieses Verbot nicht umgesetzt haben.

Wie reif für die EU ist Kroatien. Das Beispiel der Eier zeigt, dass es darauf keine klare Antwort gibt. Zum einen erfüllen Teile der kroatischen Wirtschaft die Standards, anderseits sind selbst Altmitglieder in diesem Sinne nicht EU-reif. Den einzig gültigen Maßstab legte die EU 1993 beim Gipfel von Kopenhagen fest. Zu den drei Kriterien zählen stabile Institutionen, Rechtsstaat, Minderheitenrechte: hinzukommen eine funktionierende Marktwirtschaft, die dem Wettbewerb standhalten kann und die Fähigkeit der Verwaltung, den Rechtsbestand der EU umsetzen zu können. Kroatien ist das Land, das die schwierigsten Beitrittsverhandlungen aller Staaten hinter sich hat. Viel geleistet hat Kroatien beim Kampf gegen Korruption und bei der Justizreform. Der ehemalige Ministerpräsident Ivo Sanader wurde wegen Korruption vor einem Jahr zu zehn Jahren Haft verurteilt, die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten wurde objektiviert. Trotzdem klagen viele österreichische Firmen noch immer über viel zu lange Verfahrensdauern.

Andererseits ist Kroatien ein demokratischer Rechtsstaat mit freien Wahlen, obwohl etwa die Umsetzung von Rechten für die serbische Volksgruppe noch immer nur schleppend verläuft. Was die Wirtschaft betrifft, so ist das Finanzwesen stabil, die Banken sind ausreichend kapitalisiert, und die Regierung hat immerhin das Problem der Schiffswerften durch Privatisierung gelöst. Gut sind die Straßen, schlecht vorbereitet auf den Wettbewerb sind öffentliche Betriebe (E-Wirtschaft), teile der Privatwirtschaft (Süßwarenhersteller) und die Bürokratie. Die Kaufkraft Kroatiens liegt derzeit nur bei einem Viertel des österreichischen Kaufkraftniveaus aber deutlich über der Kaufkraft Rumäniens und Bulgariens, die vor sechs Jahren beigetreten sind. Kroatien tritt der EU aber nicht der Eurozone bei. Auch daher kann von einem neuen Griechenland keine Rede sein. Trotzdem wird Kroatien für lange versäumte Strukturreformen in der EU einen hohen Preis bezahlen müssen. Der schmerzlichste Anpassungsprozess steht dem Land erst noch bevor.

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