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Kroatien vor dem Referendum

Zeitung
Berliner Tagesspiegel
Berichte Kroatien
Wer dieser Tage durch die kroatische Hauptstadt Zagreb (Agram) schlendert oder auch andere Städte des Landes besucht, gewinnt nicht den Eindruck, dass Kroatien wenige Tage vor einer für das Land schicksalhaften Entscheidung steht. Denn im Stadtbild deutet praktisch nichts auf die am Sonntag stattfindende Volksabstimmung über den EU-Beitritt hin. Plakate gibt es nicht, und das überlebensgroße Plakat des Schistars Ivica Kostelic am Ban Jelasic-Platz bewirbt einen Mobilfunkanbieter aber nicht die EU. Sportler und Politiker werben allerdings in Radio und Fernsehen für ein Ja beim Referendum; doch die Werbespots wirken langweilig und banal und technisch unterdurchschnittlich - etwa wenn ein weltbekannter Handballspieler, dessen Gesicht vom EU-Sternenkranz umrahmt ist, folgende Botschaft verkündet:

„Ich bin Ivano Balic und unterstütze den Beitritt Kroatiens zur EU. Ich habe viele Jahre in Spanien gelebt und ganz Europa bereist, und ich denke, dass dort auch der Platz für Kroatien ist, und wenn wir beitreten, werden unsere einfachen Menschen besser leben als jetzt.“

Ob ein prominenter Handballer die unter einer tiefen sozialen und wirtschaftlichen Krise leidenden Kroaten überzeugen kann, dass sie in der ebenfalls krisengeschüttelten EU besser leben werden, bleibt offen. Sicher ist jedoch, dass die Kampagne für das EU-Referendum auch inhaltlich weit von Professionalität und Ausgewogenheit entfernt ist. Ein Grund dafür liegt in Parlamentswahl und Machtwechsel im Dezember. Die alte konservative Regierung unter Jadranka Kosor wusste bereits beim Abschluss der Beitrittsverhandlungen im Sommer um die unvermeidbare Niederlage. Eine ernsthafte Kampagne wurde bis Dezember nicht auf die Beine gestellt, während die neue Mitte-Links-Koalition nicht bereit war, das Referendum zu verschieben. Hinzu kommt, dass Regierung und Opposition einmütig für den Beitritt sind; organisierte, schlagkräftige EU-Gegner gibt es nicht, auch nicht im Parlament, in dem nur einige der 151 Abgeordneten gegen den Beitritt sind. Außerdem stellt die Regierung den Gegnern auch kein Geld für eine eigene Kampagne zur Verfügung.

Schmalhans dominiert auch bei der inhaltlichen Debatte. Eine Gegenüberstellung von Ausgangsposition und Verhandlungsergebnis fehlt, und die Information über die konkreten Umstellungen, die ein Beitritt mit sich bringen wird, erfolgt derzeit am ehesten noch bei den Bauern durch das Landwirtschaftsministerium. Im Gegensatz dazu zeigen Umfragen, dass um die 40 Prozent der Kroaten EU-Gegner oder EU-Skeptiker sind. Sie haben (noch) keine politische Vertretung, werden aber nach Ansicht von Meinungsforschern gerade durch die eindimensionale Kampagne eher mobilisiert, die auch Kroaten stört, die an sich nicht gegen den Beitritt sind. Den Zorn eines dieser Gegner bekam die neue, liberale Außenministerin Vesna Pusic bei einer Kundgebung in der Hafenstadt Rijeka zu spüren. Dem Aufruf von Pusics Koalitionspartner, den dominierenden Sozialdemokraten, folgten in Rijeka, das ebenfalls sozialdemokratisch regiert wird und 150.000 Einwohner zählt, etwa 150 vorwiegend ältere Personen. Ehe die 58-jährige Außenministerin mit ihrem Vortrag beginnen konnte, störte ein jugendlicher EU-Gegner die Veranstaltung:

„Jetzt führen Sie uns in die Währungs- und Fiskalunion, und den jungen Menschen haben Sie die Zukunft zerstört. Sie können sich was Schämen. Die EU das ist der Kerker und der Schmelztiegel für das kroatische Volk. Schämen Sie sich.“

Pusic blieb gelassen und bezeichnete den Ausfall auch als Beweis dafür, wie gering die Bereitschaft mancher sei, sich entsprechend zu informieren. Schließlich gehe es um den EU-Beitritt und nicht um den Beitritt zur Euro-Zone. Doch natürlich ist auch die Wirtschaft ein zentrales Argument für den Beitritt; bei einem Nein dürfte die Herabstufung Kroatiens durch die Rating-Agenturen auf Raschstatus praktisch unvermeidlich sein; anderseits kann Kroatien im Falle des Beitritts am 1. Juli 2013 bereits in den ersten sechs Monaten mit 630 Millionen Euro aus Brüssel rechnen, wenn seine Beamten und Bürger bis dahin in der Lage sein werden, Projekte den EU-Vorschriften entsprechend einzureichen. Doch Pusic sieht in der EU auch einen politischen Stabilitätsanker. Daher erinnert sie ihre Zuhörer in Riejka auch daran, daß der jüngst Krieg erst 15 Jahre zurückliegt. Ihre Tochter sei jedenfalls die fünfte Generation in ihrer Familie, die zwar in derselben Stadt geboren aber niemals noch im selben Staat geboren wie auch gestorben sei. Diese politische Instabilität gelte es zu überwinden, und dazu diene auch die EU. Während unter der jungen Bevölkerung die EU-Skepsis offenbar stärker ist, sehen vor allem viele ältere Kroaten im Beitritt eine Rückkehr nach Europa und die unwiderrufliche Abkehr von Jugoslawien. Diese Argumente dürften am Sonntag ebenfalls ziehen; daher ist es wahrscheinlich, dass Kroatien das 28. Mitglied der EU sein wird, obwohl das Ja auch für viele Befürworter keine Liebesheirat mehr ist, sondern der Erkenntnis entspringt, dass es für Kroatien zur EU keine vernünftige Alternative gibt.

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