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Kroatien sechs Monate in der EU

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Am ersten Juli 2103 trat Kroatien als 28. Land der Europäischen Union bei. Seit dem sind knapp sechs Monate vergangen; das ist nicht zuletzt auch wegen der Urlaubszeit an sich eine kurze Zeitspanne; trotzdem werden erste Folgen des Beitritts für dieses Land des ehemaligen Jugoslawien bereits sichtbar. Diese Folgen sind wie erwartet überwiegend negativ, weil sich Kroatien in einer Art Sandwich-Position befindet. Einerseits sind seine Betriebe nun dem ungeschützten Wettbewerb aus der EU ausgesetzt; andererseits musste Kroatien die Freihandelszone CEFTA verlassen und das Zollregime der EU übernehmen, das weit höhere Zollsätze vorsieht. Der CEFTA gehören mit Serbien sowie Bosnien und Herzegowina auch zwei der wichtigsten Handelspartner Kroatiens an. Hinzu kommt, dass das Land nach wie vor in einer tiefen Wirtschaftskrise steckt und der ohnehin hohe Reformdruck durch die EU-Mitgliedschaft noch verstärkt wird. Trotz aller Probleme ist aber auch in Kroatien nicht alles negativ, denn es gibt durchaus Betriebe, die dem Wettbewerb aus der EU standhalten können. Über die Lage in Kroatien sechs Monate nach Beitritt hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz den nun folgenden Beitrag gestaltet:

Diese Geräusche stammen von Küken, die gerade einen Tag alt sind. Produziert werden sie in hochmodernen Brutkästen der Firma Valipile in der Ortschaft Sesvete, 20 Kilometer von Agram entfernt. Die Firma beschäftigt 110 Mitarbeiter und ist mit 10 Prozent Marktanteil der drittgrößte Anbieter von Küken, die für die Eier- Fleischproduktion verwendet werden. Nach dem EU-Beitritt hatte auch Valipile einen Ansturm von Geflügelproduzenten vor allem aus Italien, Polen und Ungarn zu überstehen. Warum sich die Firma behaupten konnte, erläutert der Qualitätsmanager von Valipile, Andrej Alilovic:

„Nach einigen Monaten wurde offensichtlich, dass ihre Qualität nicht zufriedenstellend war; wir mussten die Preise nach ihrem Markteintritt zwar etwas anpassen, doch wir haben unsre Qualitätsstandards gehalten, und jetzt haben wir diesen ersten Versuch des Markteintritts erfolgreich abgewehrt. Hätten wir das Niveau unseres Fleisches auf ihr Qualitätsniveau gesenkt, hätte sie überhaupt keinen Erfolg gehabt, weil wir dann unsere Produktionskosten beträchtlich hätten senken und konkurrieren können. Doch wir konnten uns auch behaupten, ohne unsere Qualität zu senken.“

Valipile will expandieren; nächstes Jahr soll eine weitere Fabrik mit eigenem Schlachthaus gebaut werden. In der EU sind zunächst Slowenien und Österreich das Ziel, weil diese Märkte nicht zu groß sind. Geplant sei zunächst der Markteintritt über Handelsketten in Kroatien, die Valipile bereits beliefert, betont Andrej Alilovic:

„Für kroatische Firmen besteht das größte Problem im Marketing auf diesen neuen Märkten; das erfordert sehr viel Geld. Doch durch Eigenmarken von Handelsketten besteht die Möglichkeit auf einen Durchbruch bei viel geringeren Kosten.“

Auch deutsche und österreichische Handelsketten haben in Kroatien den Wegfall der Zollschranken genutzt, um verstärkt Lebensmittel zu importieren. Durch die EU ist vor allem die kroatische Lebensmittelindustrie gleich doppelt unter Druck gekommen. Einerseits gingen jedenfalls vorläufig Märkte in Serbien und Bosnien und Herzegowina verloren, weil Kroatien aus der Freihandelszone CEFTA ausscheiden und das höhere EU-Zollregime übernehmen musste; andererseits erhöhte sich nach Angaben der Vereinigung kroatischer Viehbauern der Import von Milch- und Milchprodukten um mehr als 80 Prozent. Dazu sagt in Agram der Generaldirektor der Handelskette SPAR, Helmut Fenzl:

„Bei der Butter ist es so, dass sie definitiv günstiger ist als die lokale hergestellte Butter oder die kroatischen Lebensmittelmarken; daher haben wir auch unsere Eigenmarken ins Land geholt. Bei der Milch ist es vor allem die österreichische Herkunft und vor allem das Vertrauen auf das Bio-Gütesiegel. Bio-Milch gab es bisher in Kroatien nicht, diese Lücke haben wir auch geschlossen und dasselbe gilt für laktosefreie Milch.“

So kostet Ein-Viertel-SPAR-Butter umgerechnet weniger als zwei Euro, während ein Viertel kroatische Butter zwei Euro und dreißig Cent kostet. Praktisch alle Handelsketten warben bereits ab dem Frühling mit niedrigeren Preisen nach dem EU-Beitritt, denn der Wettbewerb werde immer härter, betont Helmut Fenzl:

„Der Markt ist sehr kompetitiv geworden; das bringt alleine schon das sechste Jahr der Krise mit sich. Wir haben steigende Aktionsanteile, die Leute greifen mehr und mehr zu Eigenmarken; das sehen wir an unseren eigenen Zahlen, und dieser steigenden Aktionsanteile und sinkenden Aktionspreise sind Ausdruck eines immer größeren Wettbewerbs.“

Während österreichische Lebensmittelerzeuger zu den Gewinnern des kroatischen EU-Beitritts zählen, trifft der neue Ansturm auch bäuerliche Familienbetriebe, die bereits ohne EU mit Existenzproblemen zu kämpfen hatten. Bei Milch ist Kroatien kein Selbstversorger mehr; die Produktion sinkt ständig und dürfte 2013 um 100 Millionen Liter auf 500 Millionen zurückgehen, weil immer mehr Bauern ihre Milchkühe schlachten. Die Gründe erklärt der Milchbauer Zlatko Musinic:

„Bei uns sind die Kosten für Verbrauchsgüter wie Samen oder Dieselöl um 30 Prozent höher als in Österreich, wo es eine Ordnung gibt zwischen Produktionskosten und Milchpreis. Uns hat man dem Markt überlassen, und der Staat kontrolliert nicht, dass der Markt funktioniert. Man kann nicht die gesamte Kette vom Produzenten bis zum Händler liberalisieren; da muss jeder etwas verdienen können, wobei der Staat dieses Verhältnis durch Steuern regulieren kann, wenn er nicht bei Preisen für Samen oder Dieselöl intervenieren will.“

Zlatko Musinic hat 400 Stück Vieh, darunter 140 Kühe; jede gibt pro Jahr 7.800 Liter Milch, während der kroatische Durchschnitt bei 5000 bis 6000 Litern liegt. Außerdem bewirtschaften er, seine Frau und seine vier Kinder noch 100 Hektar Ackerland; im Gegensatz zu vielen anderen Bauern ist sein Betrieb nicht durch Kredite belastet; trotzdem sieht Zlatko Musinic der Zukunft mit gemischten Gefühlen entgegen:

„Wir überleben, weil wir auch Stiere haben und Jungrinder züchten; mit diesen Einnahmen gleichen wir die Milchproduktion aus und bilanzieren mit einer Null. Meinen Kindern gefällt das nicht. Sie haben mir gesagt, der Staat muss etwas unternehmen, damit wir etwas verdienen und normal leben können, denn wir sind nicht bereit, so wie Du den ganzen Tag zu arbeiten, und dann haben wir nur genug für Essen und Kleidung.“

Mitentscheidend für das Überleben der Landwirte wird sein, wie sehr sie die Mittel nutzen können, die nun über EU-Fonds zur Verfügung stehen. Knapp 100.000 Bauern haben sich bisher bei der Zahlstelle in Agram registriert, die für die Abwicklung der Förderungen zuständig ist. Der Informationsstand der Bauern werde jedenfalls besser, sagt der österreichische Landwirtschaftsattaché in Kroatien, Christian Brawenz:

„Es hat in den größeren Städten von der Zahlstelle, von der Landwirtschaftsagentur und vom Beratungsdienst Informationsveranstaltungen gegeben; etwa 25 Prozent der Bauern verfügt auch über einen Internetanschluss, die können bereits von sich zu Hause aus die Anträge stellen bei der Zahlstelle; und der Rest wird über die regionalen Büros der Zahlstelle, der Landwirtschaftsagentur und Beratungsdienst bedient, und sind jedenfalls in der ersten Phase relativ gut auf das Fördersystem vorbereitet.“

Kaum eine zusätzliche Einnahmequelle biete derzeit der Urlaub auf dem Bauernhof, betont Brawenz:

„Wenn man durchfährt in Slawonien oder in der Umgebung von Agram, dann werden Sie feststellen, dass die Höfe teilweise in einem Zustand sind, wie in Österreich vor 150 Jahren. Da ist ein Lehmboden, da laufen romantischerweise Gänse und Hühner durch den Hof; die Häuser sind nicht verputzt; es gibt für Touristen praktisch keine Infrastruktur, meistens auch kein Gasthaus. Der Gast ist heute anspruchsvoll; sie heute auf einen Bauernhof irgend ein kleines Zimmer mit einer Toilette hinter dem Stall nicht mehr verkaufen, außer für ganz ausgeflippte Robinson-Touristen, die eher in einem Dschungelcamp unterzubringen sind.“

Die Nutzung von EU-Mitteln für die regionale Entwicklung ist daher von entscheidender Bedeutung; aus Struktur- und Kohäsionsfonds werden Kroatien in den kommenden Jahren acht Milliarden Euro zur Verfügung stehen; sie können nur genutzt werden, wenn Projekte vorliegen. Optimistisch ist der kroatische Minister für EU-Fonds und Regionalentwicklung Branko Grcic:

„Uns ist es gelungen, die Nutzung der Vorbeitrittsfonds zu erhöhen, und zwar von 37 auf 85 Prozent. Jetzt kommen wir in eine entscheidende Phase, wo sich die jährlich abrufbaren Mittel verachtfachen werden. Derzeit haben wir Projekte im Ausmaß von bis zu 700 Millionen Euro vorbereitet, die nächstes Jahr sofort umgesetzt werden sollen. Für einige sind bereits die Ausschreibungen erfolgt; das betrifft etwa Eisenbahnlinien, wobei allein eines dieser Projekte 220 Millionen Euro wert ist. Für zwei Gemeinden sind Kläranlagen projektiert. Hinzu kommen Projekte für die bessere Ausstattung von Forschungslaboratorien. Auf lokaler Ebene helfen wir finanziell, um Projekte vorzubereiten.“

Der Nachholbedarf Kroatiens ist enorm; ans Kanalnetz angeschlossen sind nur 40 Prozent der Bevölkerung; davon haben 60 Prozent keine geordnete Abwasserreinigung. Rückständig sei auch die Abfallbewirtschaftung, erläutert in Agram die frühere Umweltministerin Mirella Holy:

„In Kroatien besteht noch kein Zentrum zur Abfallbewirtschaftung. Das heißt, derzeit wird der Abfall in Haushalten und Betrieben nur sammelt, und zwar vor allem ungetrennt. Dann wird der Müll auf mehr oder weniger geordnete Deponien gebracht. Bis 2018 müssen wir alle Deponien sanieren oder schließen und die integrierte Abfallbewirtschaftung einführen. Das sind große Herausforderungen, und es ist fraglich, ob sie Kroatien meistern wird.“

Fraglich ist, ob Kroatien auch die tiefe soziale Krise meistern wird. Die Wirtschaft schrumpft weiter; fast 17 Prozent der Bürger sind arbeitslos, wobei der EU-Beitritt den Druck auf den Arbeitsmarkt noch erhöht hat. Betroffen davon sind auch Spediteure. Dazu sagt Martin Kuen, Direktor der Firma Schenker in Kroatien:

"Es sieht so aus, dass kleine und mittelständische Unternehmen einfach nicht mehr die finanzielle Kraft hatten, um diese massiven Verluste, bedingt durch den Wegfall des Zollgeschäftes zu kompensieren. Die Anzahl der Firmen ist mir nicht bekannt, allerdings sprechen wir hier von rund 10.000 Arbeitsplätzen, die direkt durch den EU-Beitritt Kroatiens - resultierend aus dem Zollgeschäft - verloren gegangen sind."

Dieser Verlust an Arbeitsplätzen konnte nicht durch ausländische Investoren kompensiert werden, die um Kroatien eher einen Bogen machen, weil der Markt klein und das Image des Landes schlecht ist. Denn beim Kampf gegen Korruption und Bürokratie herrscht eher Stagnation; ein Beispiel für die Probleme schildert die stellvertretende österreichische Handelsdelegierte Katharina Hasslauer:

„Rechtssicherheit und Rechtsdurchsetzung in vernünftiger Zeit ist noch immer nicht gegeben. Wir haben Verfahrensdauern im Zivilrecht bis zu fünf Jahren; da kann man einem Unternehmen nicht vorschlagen, den normalen Rechtsweg zu gehen, weil das einfach zu lange dauert. Wir schlagen immer vor, Schiedsklauseln in die Verträge aufzunehmen, weil man sich da viel Zeit erspart. Ein guter Punkt, den die EU gebracht hat, ist die Vollstreckbarkeit von Urteilen: Urteile, die in Österreich gefällt worden sind, sind jetzt in Kroatien viel leichter anzuerkennen und können dann leichter vollstreckt werden, vorausgesetzt, dass der kroatische Beklagte dann über die Mittel verfügt.“

Alle Probleme sind in Kroatien seit Jahren bekannt; doch mit ihren Reformvorschlägen haben Wirtschaftsexperten oft nur tauben Ohren gepredigt. Kroatien ist erst sechs Monate Mitglied der EU, doch schon droht ein Defizitverfahren aus Brüssel, weil die Regierung Staatsschuld und Budgetdefizit nicht in den Griff bekommt. Die Gründe dafür nennt der Chefvolkswirt der Splitksa Banka, Zdeslav Santic

„Die Regierung hat sich fast nur darauf konzentriert, die Einnahmen zu erhöhen, und zwar durch eine Anhebung der Steuermoral und durch höhere Steuerbelastung. Langfristig kann eine Budgetkonsolidierung nur erfolgreich sein, wenn man die Ausgaben kürzt. Die EU wird zu Beginn des kommenden Jahres die Lage in Kroatien analysieren; die Regierung wird wohl versuchen gewisse Privilegien bei Pensionen abzuschaffen, die Mehrwertsteuer auf gewisse Produkte von 10 auf 13 Prozent zu erhöhen, um den negativen Trend zu stoppen. Wenn das nicht zu bedeutenden Verbesserungen führt, werden noch drastischere Einschnitte nötig sein wie etwa Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst.“

Während die Mitte-Links-Regierung vor einer umfassenden Reform von Verwaltung und Staatsbetrieben bisher zurückschreckt, ist eine Reform des Arbeitsrechts geplant. Kündigen sollen erleichtert, die Zahl möglicher Überstunden erhöht und die Arbeitszeiten flexibler werden. Massiven Widerstand haben bereits die Gewerkschaften angekündigt; ihre Einwände formuliert Kresimir Sever, Vorsitzender der Unabhängigen Kroatischen Gewerkschaften:

„Wenn man den kroatischen Arbeitsmarkt in der EU konkurrenzfähig machen will, in dem man die Arbeit billiger macht und den Arbeiter entrechtet, wird man derartige Investoren anziehen, die kommen, weil die Arbeitskraft billig ist. Das führt zu schlecht bezahlten Arbeitsplätzen mit geringer Wertschöpfung und einfacher Technologie. Doch sobald es für diesen Investor woanders billiger wird, wird er hier sein Werk schließen. Wir brauchen Investoren, die hoch ausgebildete Arbeitskräfte brauchen und Jobs mit hoher Wertschöpfung schaffen und in Kroatien bleiben.“

Diese Kritik hat durchaus etwas für sich; doch im Vergleich etwa mit Serbien ist Kroatien mit einem Monatsgehalt von mehr als 700 Euro netto im Durchschnitt kein Billiglohnland; und Investoren mit hoher Wertschöpfung müssen erst gefunden werden. Zu erwarten ist, dass die Arbeitslosenrate konstant auf hohem Niveau bleibt. Eine umfassende erste Bilanz der Folgen des EU-Beitritts wird wohl erst in sechs Monaten möglich sein; doch die Lage dürfte kurzfristig eher noch schlechter werden, ehe es mittel- bis langfristig auch durch den Reformdruck aus der EU in Kroatien wirklich besser werden wird.

Abmod:

Doch Investoren mit hoher Wertschöpfung werden nur kommen, wenn die Regierung dazu die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft; viel Zeit bleibt nicht mehr, denn in zwei Jahren wird in Kroatien bereits wieder das Parlament neu gewählt. Der Reformdruck ist jedenfalls groß, nicht zuletzt auch deshalb, weil durch die EU nicht nur verstärkter Wettbewerb, sondern auch die Budgetkontrolle durch Brüssel in Kroatien Einzug gehalten haben. Bekannt ist der Reformstau jedenfalls seit Jahren; viele öffentliche Unternehmen wie etwa der E-Wirtschaft aber auch Kroatien insgesamt beginnen in der EU den Preis dafür zu bezahlen, dass in den fetten Jahren vor der Krise die Strukturreformen unterblieben, die nun viel noch schmerzlicher sein werden.

Links:

Kroatische Nationalbank http://www.hnb.hr (Kroatisch / Englisch) Kroatisches Statistisches Zentralamt http://www.dzs.hr (Kroatisch // Englisch)

Firma Valipile www.valipile.hr

Kroatisches Ministerium für regionale Entwicklung und EU-Fonds www.mrrfeu.hr (Kroatisch // Englisch) Unabhängige kroatische Gewerkschaften http://www.nhs.hr (Kroatisch) Wirtschaftskammer, Außenstelle Kroatien http://wko.at/aussenwirtschaft/hr

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