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Gespräch mit dem Philosophen Zarko Puhovski zu Kroatien und EU

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Seit knapp zwei Wochen ist nun Kroatien das 28. Mitglied der EU. Auf die offiziellen Beitrittsfeiern folgte nur einen Tag später ein Mega-Stau ein der kroatisch-serbischen Grenze, die nun die Außengrenze zur EU bildet. 15 Kilometer lang war die Kolonne der LKWs, weil das neue, EU-konforme kroatische Computersystem für die Abwicklung des Schwerverkehrs abstürzte. Abgesehen von diesen Kinderkrankheiten unmittelbar nach dem Beitritt stellt sich die Frage, wie sehr die Annäherung an und die Mitgliedschaft in der EU Kroatien verändert hat und noch verändern wird. Wichtig für den gesamten Balkan wird es auch sein, ob Kroatien eine Art Lokomotive für die anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawien spielen kann, die in etwa zehn Jahren der EU beitreten könnten. Darüber hat in Zagreb unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz mit dem kroatischen Philosophen Zarko Puhovski gesprochen. Puhovski, 1946 in Zagreb geboren, gehörte Anfang der 70iger Jahre im kommunistischen Jugoslawien der sogenannten Praxis-Gruppe an, die einen unorthodoxen und humanistischen Marxismus vertrat. Seit 1975 Professor für Politikwissenschaften an der Universität Zagreb gehörte Puhovski 1988 den Gründern der ersten unabhängigen politischen Organisation Jugoslawiens, der Vereinigung für eine jugoslawische demokratische Initiative. Von 2000 bis 2007 war er Präsident des kroatischen Helsinki-Komitees für Menschenrechte.

Sehr geehrter Herr Prof. Puhovski!

CW: Kroatien ist nun seit 1. Juli Mitglied der EU? Es gibt viele Zweifel, wie sehr Wirtschaft und Landwirtschaft dem Wettbewerbsdruck aus der EU werden standhalten können. Wie stark wird der Modernisierungsdruck noch sein, und was bedeutet er für die kroatische Gesellschaft?

ZP: Kroatien hat Vorteile und Nachteile, Vorteile sind meistens der kulturellen zivilisatorischen Natur, zum Beispiel: Kroatien mit 4, 5 Millionen Einwohner hat mehr Leute, die englisch korrekt sprechen können als Rumänien mit 24 Millionen und das bedeutet, die Kontakte sind einfacher, es gibt mehr Chancen. Wir haben mehr Leute die außerhalb des ehemaligen Jugoslawien gelebt haben. Das ist die Folge der Politik Titos seit Mitte der 60er Jahre, wo den sogenannten Gastarbeitern, oder auch den Intellektuellen die Reisen nach Westen ermöglicht wurden. Andererseits ist unsere Industrie praktisch kaputt, einerseits wegen des Krieges, andererseits vielmehr leider wegen der sozusagen „Gangster-Privatisierung“. Und in so einer Situation hat Kroatien jetzt eine Chance einen Markt von 500 Millionen zu nutzen, aber wir haben keine Produkte. Im Grunde könnte man das teilweise wie Churchill formulieren: „Es wird viel schlimmer sein, bevor es besser geht.“ Die Frage ist nur:

„Wie kann man diese 3 bis 5 Jahre der Anpassungsperiode überleben“? Und da sehe ich leider im Moment keine Antwort in Kroatien.

CW: Was bedeutet der EU-Beitritt Kroatiens für die übrigen Staaten des ehemaligen Jugoslawien, die noch nicht in der EU sind? Kann Kroatien die Rolle einer Art Lokomotive für die anderen Staaten spielen auf dem Weg zur Europäischen Union?

ZP: Im politischen Sinne kommen Kroaten jetzt als Europäer in die Region, die werden jetzt von oben agieren. Wir sagen, „na ja wir haben in Brüssel was entschieden und wir möchten Ihnen das beibringen, weil wir praktisch dieselbe Sprache sprechen. Aber „A“ die Frage ist inwieweit ist das für Kroatien wichtig, und ich werde sagen, nicht sehr wichtig und B, es gibt keine Region mehr, Kroatien gehört nicht zur Region, Kroatien ist raus, wie Slowenien früher, wir haben jetzt eine neue kleine Region wo Belgrad ein Zentrum ist. Die kroatischen Politiker haben sehr viel über die Region gesprochen in den vorigen Tagen aber die Tatsache ist, Serbien war nie in der Geschichte so unwichtig für Kroatien wie heute. Mit Ausnahme der Ökonomie, wenn es die Ambitionen im Binnenmarkt als Misserfolg der kroatischen Wirtschaft nötig macht, was leider zu erwarten ist.

CW: Gibt es in Kroatien überhaupt eine Vorstellung über die Zukunft der Europäischen Union, sozusagen, was aus der EU werden soll? So klein Kroatien ist, und mit weniger als einem Prozent der Bevölkerung ist natürlich der Einfluss beschränkt, aber trotzdem - immerhin ist man ein Mitglied von 28 im Klub.

ZP: Es gibt keine Vorstellung im streng philosophischen Sinne, es gibt ein Gefühl, und ein Gefühl ist, man glaubt wir kommen in die EU rechtzeitig zum Begräbnis. Also wir kommen zu spät. Und das stimmt, wenn man nur Bulgarien oder Rumänien betrachtet, geschweige den andere Staaten, aber zu spät nicht nur im Sinne von Konkurrenten in der Transitionslage, sondern im Sinne der Zukunft der EU. Unglaublich viele Leute erwarten nichts von der EU. Und das ist das einzig Gute heute, dass es keine Euphorie gibt. Was bedeutet, es wird keine Enttäuschung kommen. Aber das Negative, das dann folgt ist, dass man überhaupt keine Idee von der kroatischen Strategie in der EU hat, weil man in Kroatien jahrelang die EU als Paradies auf Erden interpretierte und dann in der letzten Jahren als etwas, wo man nichts zu erwarten hat, aber man durchführen muss, weil das alle machen.

CW: Nach Allen Umfragen sind etwa ein Drittel der Kroaten EU-skeptisch, ein Drittel indifferent und ein Drittel EU-Befürworter. Was wir eigentlich entscheidend dafür sein, ob die Zahl der Befürworter sinkt oder steigt? Wird das etwa die Frage sein, wie die wirtschaftliche und soziale Krise gelöst werden kann?

ZP: Im Moment ist die ökonomische Frage, die Wesentliche. Die kroatische Gesellschaft existiert im Moment in einer Situation, die man als Depression nennen könnte. Diese Depression bedeutet Apathie, also die Leute sind überhaupt nicht bereit zu handeln. Da gibt es nur eine Lösung, wenn es sich in 1 bis 2 Jahren eine eindeutige ökonomische Besserung zeigen kann, auch wenn das nicht direkt mit dem EU- Beitritt verbunden ist, wird man dann das als „Post hoc ergo, propter, hoc“ interpretieren. Das bedeutet, es geschah nach dem Eintritt, deswegen hat das mit der EU zu tun und deswegen ist EU eine gute Sache. Vor zehn Jahren war die EU die Frage der Rechtstaatlichkeit, der Menschenrechte usw. Im Moment ist das, leider, leider irrelevant.

CW: In Kroatien schrumpft seit mehr als fünf Jahren die Wirtschaft und mit mehr als 40 Prozent ist die Jugendarbeitslosigkeit die dritthöchste in der EU? Warum schaffen die politischen Eliten die Trendwende nicht?

ZP: Das ist der Grund der Depression. Wir haben in letzten 25 Jahren alles ausprobiert und es hat nichts geholfen. Beide der stärksten Parteien waren in der Position der Macht, die HDZ bis 2011, jetzt als schon 20 Monate die Sozialdemokraten mit der Koalition, und es hat sich nichts geändert. Und da kommen leider die objektiven Daten. Wir haben jetzt Tausende von jungen Leuten, die wahrscheinlich nie in ihrem Leben einen anständigen Job haben werden.Diese hoffnungslose Situation ist ein Problem und das ist ein Kennzeichen der Generation, die biologisch und sozial die Träger der Hoffnung sein sollten, die Generation zwischen 17 und 25 Jahren. Die EU bringt Vorteile, für Diejenigen, welche die Vorteile schon genießen, für junge Leute, junge Professionelle, junge Studenten, die 2, 3 Sprachen sprechen, die eine gute Bildung haben, die einen familiären Hintergrund haben, aber das sind die Leute, die sowieso Vorteile, auch innerhalb der kroatischen Gesellschaft haben können. Und wenn diese Leute jetzt Kroatien verlassen, wird Kroatien noch viel ärmer und wird noch weniger Chancen für die Entwicklung haben, weil die Besten gehen jetzt nicht in die EU, sondern in die Vereinigten Staaten. Meine Studenten glauben immer, die Besten reisen nach Amerika. die zweite Liga nach Deutschland, Österreich oder England, und die Anderen bleiben in Kroatien.

CW: Vor allem bei vielen konservativen Bevölkerungsschichten bestehen Ängste, man könnte in der EU seine kroatische Identität verlieren. Woher kommen diese Ängste? Die Kroaten sind auch in 70 Jahren Jugoslawien Kroaten geblieben, haben ihre Identität nicht verloren, obwohl sie de facto dieselbe Sprache sprechen wie die Serben? Woher kommen diese Ängste? Wie sehr bestehen hier Vorbehalte gegen die EU, weil man fürchtet – etwa durch Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - quasi durch die Hintertür Werte aufgeben zu müssen, die man nicht aufgeben will?

ZP: Einerseits war die kroatische Identität als eine Politische imstande, sich gegen politischen Druck im ersten oder zweiten Jugoslawien zu verteidigen. Die kroatische Identität als kulturelle ist objektiv nicht imstande, sich gegenüber einer raffinierten Art und Weise des Druckes in der EU zu verteidigen. Das heißt, gegenüber der neuen Kultur, der neuen Moral der postmodernen globalisierten Welt. Wir haben jetzt eine sehr starke Bewegung, die mit 750.000 Unterschriften eine Änderung der Verfassung erzielen möchte und das sind 750.000 von 3,5 Millionen in Kroatien, die ein Stimmrecht haben. Die wollen nämlich, dass man in der Verfassung verankert, dass die Ehe eine Gemeinschaft von Mann und Frau ist, d.h. keine Ehen der Homosexuellen nach der Verfassung legalisiert werden können. Das ist eine Verteidigungsstrategie. Denn sie erwarten, dass in einigen Jahren die EU praktisch mit großer Mehrheit, diese neue Art von Ehe Interpretation akzeptiert und dann wollte man für die Politiker in Kroatien es sehr schwer oder fast unmöglich machen, dass in Kroatien „durchzudrücken“. Da ist angeblich die kroatische Identität in Gefahr, und da kommen die Ängste und Proteste gegen die EU, die man auch in anderen Staaten finden kann, aber in Kroatien sind sie ein bisschen mehr mit der strengen katholischen Tradition verbunden.

CW: Wie sehr ist Kroatien eigentlich noch ein katholisches Land, wie groß ist der Einfluss der Katholischen Kirche? Wir haben seit 2003 in Kroatien ein Gesetz über gleichgeschlechtliche Partnerschaften, der Staatspräsident ist Agnostiker, sein, die Zahl der Ehen ohne Trauschein steigt?

ZP: Es steht in der „Wirtschaft und der Gesellschaft“ von Max Weber, dass Serben und Kroaten die einzigen zwei Nationen sind, die dieselbe Geschichte, dieselbe Ethnizität, dieselbe Sprache haben und die Differenz sei nur eine religiöse. Und deswegen ist religiöses Bewusstsein für die Identität Kroatiens viel wichtiger als in anderen Nationen, deswegen sind katholische Werte gleichzeitig als kroatische Werte für 3/4 der Einwohner im abstrakten moralischen Sinne zu interpretieren. Also hat man dass nicht als politische Position verstanden. Bis jetzt war es so, dass seit 1990 die katholische Kirche in Kroatien jeden Kampf gegen die Regierung verloren hat. Zum Beispiel, ob man am Sonntag arbeiten soll oder nicht? Die Frage der Abtreibung? Die Frage der medizinischen Befruchtung? Da waren sie sehr streng dagegen und haben alle drei verloren. Und 2 von diesen 3 gegenüber einer Christdemokratischen Regierung. In der Atmosphäre der pluralistischen Öffentlichkeit hat sich die Kirche als sehr, sehr schwach gezeigt. Also die Kirche war politisch impotent.

Herr Professor Puhovski! Wir danken für das Gespräch.

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