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Kroatien zwischen Krise und EU

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In Kroatien hielten die Piloten der Croatia Airlines gestern einen Warnstreik ab. Die Hälfte aller Flüge fiel aus. Grund für den Streik sind Kollektivvertragsverhandlungen, die bisher ergebnislos blieben. Außerdem werfen die Piloten dem Management vor, die Fluglinie in den Ruin zu fliegen. Die täglichen Verluste werden auf bis zu 150.000 Euro beziffert. Doch nicht nur Piloten streiken, sondern auch die Mitarbeiter vieler Firmen, deren Existenz bedroht ist. Gleichzeitig stöhnt die Bevölkerung unter einer Teuerungswelle. Strom und Gas wurden teurer und Anfang März trat auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer um zwei Prozent auf 25 Prozent in Kraft. Hoch ist mit fast 20 Prozent auch die Arbeitslosigkeit, wobei auch jeder Vierte Jugendliche ohne Job ist. 341.000 Kroaten sind erwerbslos, das ist die höchste Zahl an Arbeitslosen seit dem Jahre 2003, während der Durchschnittslohn bei unter 800 Euro im Monat liegt. Die neue Mitte-Links-Regierung hat zwar die Budgetausgaben für heuer um knapp 400 Millionen Euro gesenkt, doch Wirtschaftsexperten mahnen umfassende Strukturreformen ein, damit das Land dem neuen Konkurrenzdruck durch EU-Beitritt im kommenden Juli einigermaßen standhalten kann. Über die Lage in Kroatien und die Herausforderungen für die neue Mitte-Linksregierung und über die Folgen des EU-Beitritts für die kroatische Wirtschaft hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz den folgenden Beitrag für Saldo gestaltet:

In Kroatien protestierten die Milchbauern zwei Wochen lang für höhere Abnahmepreise. Die Existenzangst ist groß, denn ihre Zahl sank binnen acht Jahren um Zwei-Drittel. Die Demonstrationen endeten vor einer Woche ergebnislos. Die Regierung blieb hart und war zu keinen weiteren Subventionen bereit, denn es herrscht das Diktat der leeren Kassen. Die Folge ist auch eine Teuerungswelle. In Agram stiegen die Preise für Fahrkarten um 30 bis 80 Prozent. Für eine Monatskarte zahlen Pensionisten und Studenten nun etwas weniger als 20 Euro. Treibsoff kostet gleich viel wie in Österreich. Aus Österreich importiert Kroatien auch viele Lebensmittel, weil das Land kein Selbstversorger ist. Frischgemüse und Obst kaufen viele Zagreber aber am Bauernmarkt im Zentrum der Hauptstadt. Die Reaktionen auf die Teuerungswelle fallen dort unterschiedlich aus. So klagt etwa eine Marktfrau:

„Die Teuerung trifft mich und meine Kinder. Wir haben viele Ausgaben, denn wir kommen aus Dalmatien hierher. Auch zu Hause ist alles teuer, arm sind wir.“

Eine ältere Dame hilft sich dagegen mit genauen Preisvergleichen:

„Hier habe ich eine Rübe um einen Euro gekauft, woanders kostet sie fast drei Euro. So muss man jemanden finden, wo der Preis günstig und die Ware frisch ist.“

Frisch und noch keine hundert Tage alt, ist auch die Mitte-Linksregierung, die vom Sozialdemokraten Zoran Milanovic geführt wird. Das Referendum zum EU-Beitritt im Jänner war eine leichte Übung im Vergleich zur Krise, die zu bewältigen ist, droht doch eine weitere Herabstufung durch Ratingagenturen beinahe schon auf Ramschstatus. Um dieser zusätzlichen Belastung zu entgehen, verabschiedete die Vier-Parteien-Koalition Ende Februar das Budget für das laufende Jahr, das eine umfassende Konsolidierung einleiten soll. Vorgesehen sind Anreize für Arbeitgeber, die Jugendliche und ältere Arbeitnehmer einstellen, eine Senkung der Lohnnebenkosten, Subventionskürzungen bei Gesundheit, Landwirtschaft und den Staatsbahnen sowie Einsparungen bei den Beamten aber kein Personalabbau; diese Entscheidung begründet Finanzminister Zlavko Linic so:

„Das hat die Regierung getan, weil es ausreicht, besondere Zulagen zu beschneiden, die Einzelne gehabt haben, dass man die Überstunden und die Zahl der befristet Beschäftigten und die Zahl der Werkverträge bescheidet. Allein dadurch haben wir bereits mehr als 250 Millionen Euro eingespart. Das ist derzeit ausreichend, und im Jahre 2012 werden wir die Verhandlungen mit den Gewerkschaften und den Sozialpartnern nutzen, um die Kollektivverträge zu ändern. Ich bin überzeugt, dass uns das gelingen wird.“

Um die Wirtschaft anzukurbeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen setzt die Regierung auch auf ein staatliches Investitionsprogramm vor allem durch öffentliche Unternehmen von der Eisenbahn über die E-Wirtschaft bis hin zu Gemeinden, die in Kanalisation und Abfallbeseitigung investieren soll. Generell sieht das Budget Einnahmen von umgerechnet 15 Milliarden Euro und Ausgaben von etwas mehr als 16 Milliarden Euro vor. Das Defizit wird mit 2,8 Prozent der gesamten kroatischen Wirtschaftsleistung veranschlagt. Diese Annahme hat jedoch einen Pferdefuß, und das ist das prognostizierte Wirtschaftswachstum von 0,8 Prozent für 2012. Dazu sagt die Wirtschaftsexpertin Maruska Vizek:

„Die Annahme eines Wachstums der Wirtschaft um 0,8 Prozent beruht auf der Annahme, dass in diesem Jahr Investitionen realisiert werden, die die Regierung plant. Doch wir wissen, dass dieses Land bei der Umsetzung großer Investitionen langsam ist; daher lässt sich nicht erwarten, dass dieses Wachstumsziel heuer erreicht wird, vor allem auch deshalb nicht, weil vorläufige Daten für das erste Quartal in Richtung eines Schrumpfens des Bruttoinlandsprodukts weisen; das hieße, dass wir neuerlich eine Rezession haben, und dieser Rückgang könnte größer ausfallen als wir das derzeit erwarten.“

Von der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise des Jahres 2008 wurde auch Kroatien schwer getroffen. Die Wirtschaft brach ein, ausländische Investitionen gingen drastisch zurück und das Land glitt in die Rezession. Doch auch in den guten Zeiten davor erreichte Kroatien nie besonders hohe Wachstumsraten wie etwa einige Staaten Ostmitteleuropas. Doch warum war das so, und warum tut sich das Land so schwer, aus der Krise herauszukommen? Ein Grund dafür ist die weitverbreitete Korruption, die großen Schaden angerichtet hat. Wie groß erläutert Zorislav Petrovic, der Leiter der kroatischen Sektion von Transparency International:

„Wir bei Transparency International Kroatien schätzen, dass die Folgen der Korruption seit der Unabhängigkeit Kroatiens das Land weit mehr gekostet haben als die Kriegsschäden, und die schätzt man auf mehr 20 Milliarden US-Dollar.“

Im Zuge der EU-Annäherung wurde die Korruption in Kroatien durchaus bekämpft, und mit Ivo Sanader muss sich auch ein ehemaliger Ministerpräsident nun vor Gericht verantworten. Parteien- und Wahlkampffinanzierung wurden reformiert, sind klarer geregelt als in Österreich, und auch die Bestellung von Richtern und Staatsanwälten erfolgt nun transparent. Doch die Umsetzung der Justizreform braucht Zeit, und nach wie vor bringen Politiker wie jüngst Bundespräsident Heinz Fischer bei seinem Besuch in Agram auch Klagen von Investoren vor. Die Reaktion von Präsident Ivo Josipovic darauf fiel erfrischend ehrlich aus:

„Unsere österreichischen Freunde haben uns etwas gesagt, was wir auch selber wissen, dass das Investitionsklima in Kroatien nicht das beste ist. Ich habe auch das gehört, worüber ich selbst oft spreche – dass Verfahren lange dauern, dass Rechtssicherheit fehlt, und dass auch Fälle gibt, die an Korruption erinnern. Ich habe meine starke Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass Regierung und Parlament entschlossen sind, das Investitionsklima in Kroatien zu ändern.“

Doch die neue Regierung in Kroatien hat auch noch mit anderen Strukturproblemen zu kämpfen. So ist Kroatien mit seinen 4,4 Millionen Bürgern ein kleiner Markt aber kein Billig-Lohn-Land. So beträgt der monatliche Bruttolohn in Kroatien 1040 Euro, in den viel größeren Ländern Rumänien und Bulgarien sind es aber nur 400 beziehungsweise 200 Euro. Zwar ist Kroatien nicht überschuldet, trotzdem ist das Aushandelsbilanzdefizit groß, weil die Konkurrenzfähigkeit der eigenen Wirtschaft niedrig ist. Das hat mit der Entindustrialisierung zu tun, die noch immer nicht gestoppt sei, wie die Wirtschaftsexpertin Maruska Vizek betont:

„In Kroatien sind ausländische Direktinvestitionen in die Produktion weitgehend ausgeblieben, in denen neue Technologien und neues Know how zur Anwendung kommen, wobei es natürlich gewisse Ausnahmen gibt. So besteht in Kroatien ein unguter Trend, dass jener Anteil an der Industrie wächst, der arm an neuen Technologien ist. Das sind die lebensmittel- und holzverarbeitende Industrie, die Leder- und Tabakindustrie. Das sind Industrien mit einer niedrigen Marge, die auch am Markt im Grunde nichts Neues anbieten können.“

Als Industrieland ist Kroatien international jedenfalls kaum bekannt, dafür aber als Land von Sonne, Strand, Inseln und Meer. Und als idyllisches Urlaubsparadies wirbt Kroatien intensiv um ausländische Gäste. Mit 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ist der Tourismus ein zentraler Wirtschaftszweig, zumal die Industrieproduktion pro Jahr nicht viel mehr erwirtschaftet als der Fremdenverkehr. Neue Impulse erhofft sich Kroatien nun durch die Fördermillionen, die nach dem EU-Beitritt im Sommer kommenden Jahres reichlich ins Land fließen sollen. Doch auch dabei gibt es einen Pferdefuß, und das ist die Vorbereitung von Wirtschaft und Bürokratie, die Fördermittel auch EU-konform abrufen müssen. Dazu sagt der österreichische Handelsdelegierte in Agram, Roman Rauch

„Man bekommt jetzt einigermaßen viel Information, was ich alles ein Mal werde beantragen können, aber es gibt viel zu wenige Experten, die dann die Firmen, die ab dem EU-Beitritt auch Beihilfen lukrieren werden können, operativ beraten und begleiten, und dann wirklich die Anträge ausfüllen, die hunderten Seiten an Formularen, die dafür nötig sind. Da mangeld es ganz besonders, und die auszubilden und ins Land zu bringen, das wird die Hauptaufgabe sein. Nur dann, kann man auch die Versprechung, die hohen Fördermittel, die Kroatien bekommen kann, auch in Anspruch nehmen. Kroatien wird bei vielen Projekten zwischen 75 und 85 Prozent der Fördermittel bekommen. Das heißt, in dieser Höhe macht die EU-Förderung den Unterschied aus, zwischen ein Projekt findet statt, und findet nicht statt.“

Doch nicht nur einen Geldregen wird die EU bringen, sondern auch härteren Wettbewerb und massive Umstellungen. Mit dem Wegfall aller Zollschranken und dem freien Warenverkehr brechen für so manchen Wirtschaftszweig harte Zeiten an. Das betrifft etwa Speditions- und Logistikfirmen. Sie wickeln für ihre Kunden auch alle Zollformalitäten ab, die nach dem EU-Beitritt natürlich viel geringer werden. Was das für die Branche bedeutet, erläutert Martin Erich Kuen, der Geschäftsführer des Logistik-Konzerns DB-Schenker in Kroatien

„Wir sprechen hier in Kroatien von in Summe 60.000 Mitarbeitern, die im direkten Logistikbereich beschäftigt sind. Mit dem EU-Beitritt Kroatiens wird durch die nicht mehr in dem Ausmaße notwendigen Zollformalitäten es zu einer Reduktion der Arbeitsplätze von knapp 50 Prozent, sprich 30.000 Mitarbeitern, kommen.“

Aber nicht nur der freie Warenverkehr mit der EU wird der Wirtschaft zu schaffen machen. Gegenüber Serbien und anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawien werden neue Zollschranken entstehen. Diese Länder sowie Albanien und Moldawien bilden derzeit mit Kroatien die Freihandelszone CEFTA; nach dem EU-Beitritt muss Kroatien jedoch das Zollregime der EU gegenüber diesen Drittstaaten anwenden. Sicher ist, dass der Ausstieg aus der CEFTA viele Bereiche der Wirtschaft trifft, denn fast ein Fünftel aller Ausfuhren entfällt auf die Freihandelszone. Von zwei Seiten unter Druck kommen werden Keks- und Schokoladeproduzenten, die in Kroatien 4.700 Mitarbeiter beschäftigen. Einerseits fallen die Schutzzölle gegenüber der EU, anderseits drohen neue Zollbarrieren gegenüber der CEFTA, auf die zwei Drittel der Exporte entfallen. Negativ zu Buche schlägt auch die mangelnde Produktivität, betont der Vertreter des Konditorenverbandes Stipan Bilic

„Im Durchschnitt liegt die Produktivität eines Arbeiters in der Konditoreiindustrie bei 50.000 bis 60.000 Euro; in Westeuropa sind es etwa 240.000 Euro, das heißt, bei uns arbeiten viel mehr Menschen. Das ist ein Erbe, das wir in den vergangenen 20 Jahren nicht lösen konnten und daher auch nicht in den nächsten eineinhalb Jahren bis zum EU-Beitritt lösen werden. Wenn man das mit den Methoden des freien Marktes löst, dann sind die sozialen Kosten viel höher als die wirtschaftliche Effizienz, die man bei den Produzenten erzielt hat.“

Keine Schwierigkeiten mit Produktivität, Konnkurenz und EU hat die Atlantic-Gruppe unter ihrem Generaldirektor Emil Tedeschi. Neun von zehn Kaffes, die in Südosteuropa getrunken werden, produziert die Atlantic-Gruppe, Sie ist der drittgrößte Getränkehersteller in Südosteuropa und beschäftigt mehr als 4.700 Mitarbeiter in 11 Ländern. Durch Produktionsstandorte in Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina wird die Drittstaatenklausel der EU keine negativen Folgen haben, und durch Betriebe in Slowenien und Deutschland ist die Atlantic-Gruppe auch bereits in der EU präsent. Der Beitritt Kroatiens wird ausdrücklich begrüßt; Emil Tedeschi:

„Alles was in Kroatien produziert wird, kann dann vermarktet werden als „Hergestellt in der EU“; und das ist gerade für Konsumgüter bei der Wahrnehmung von Verbrauchern in den Ländern der alten EU sehr wichtig. Denn es ist nicht dasselbe, ob auf Produkten steht: „Hergestellt in Bulgarien, Kroatien oder Ungarn“, oder wenn geschrieben steht, „Hergestellt in der EU“. Ich denke, die EU ist in den Augen der Konsumenten eine Art positiver Regenschirm für Produkte, die in den Ländern des neuen Europa hergestellt wurden.“

Für Kroatien selbst sei die EU aber auch eine große Herausforderung. Ein großes Problem sieht Tedeschi etwa in der mangelnden Attraktivität Kroatiens für hochqualifizierte Arbeitskräfte:

„Was passiert: unsere besten Studenten wandern nach Westeuropa oder Amerika ab. Diese Durchlässigkeit des Arbeitsmarktes wird mit dem Beitritt zur EU noch größer werden, und so besteht das große Risiko, das Kroatien in die Ausbildung investiert, doch die besten Experten, junge Ingenieure und Ärzte auswandern und nicht mehr zurückkehren. Das ist ein enormes Problem.“

Die Zweigniederlassung des Grazer Unternehmens AVL List zeigt, wie groß das Potential ist. Der weltgrößte private Betrieb für die Entwicklung, Simulation und Prüftechnik von Antriebssystemen beschäftigt in Agram einhundert Ingenieure, und auch zwei Großkonzerne haben ihre regionalen Zentren für junge Talente in Kroatien. Doch bisher fehlt die kritische Masse, um das Land zu einem modernen, wettbewerbsfähigen Industriestaat zu machen; daher steht Kroatien zusätzliche zur Krisenbewältigung mit dem EU-Beitritt wohl auch noch ein äußerst schmerzlicher Anpassungsprozess bevor.

ABMOD:

Der EU-Beitritt Kroatiens ist für den 1. Juli 2013 geplant. Bis dahin überwacht die EU-Kommission in Brüssel auch die weitere Umsetzung der Maßnahmen gegen Korruption und zur Stärkung des Rechtsstaates. Bis zum Beitritt bleiben Kroatien nun noch etwa 16 Monate, und die wird das Land vor allem nutzen müssen, um Bürokratie und Wirtschaft fit für gemeinsame Projekte zu machen, damit die Fördermillionen auch fließen können. Nach Kroatien wird am Balkan bis zur nächsten Erweiterung wohl eine Pause von fünf bis 10 Jahren eintreten; frühere werden es Länder wie Montenegro oder Serben nicht schaffen, wobei Kroatien für diese Länder das Musterbeispiel für Beitrittsverhandlungen sein wird.

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