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Interview mit Präsident Ivo Josipovic

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Berichte Kroatien


In Kroatien haben die Milchbauern zwei Wochen lang um höhere Abnahmepreise für ihre Milch gestreikt. Trotz Straßenblockaden durch Traktoren gab die neue Mitte-Links-Regierung aber nicht nach, und war zu keinen weiteren Subventionen bereit. Eigentlich ist die Regierung politische und finanziell auch kaum in er Lage, Sonderinteressen zu bedienen, denn die Kassen sind leer und die Kroaten spüren eine massive Teuerungswelle. Seit heute ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 23 auf 25 Prozent in Kraft, Strom, Gas, Wasser wurden bereits teurer, und Benzin und Diesel kosten in Kroatien etwa so viel wie in Österreich, obwohl der monatliche Durchschnittslohn bei unter 800 Euro liegt. In Kroatien ist heute auch Bundespräsident Heinz Fischer. Bei Gesprächen mit Präsident Ivo Josipovic geht es auch um die Ratifizierung des Beitrittsvertrages mit der EU. Über die Lage in Kroatien hat mit Ivo Josipovic auch unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz gesprochen, hier sein Bericht:

Der Beitritt Kroatiens zur EU erfolgt unter ganz besonderen Umständen. Denn nicht nur die EU, sondern auch Kroatien ist in einer tiefen Krise. 2011 verzeichnete das Land ein Wirtschaftswachstum von gerade 0‘2 Prozent, die Arbeitslosigkeit ist hoch, und die Kroaten stöhnen unter einer Teuerungswelle. Die neue Mitte-Linksregierung trat daher ihr Amt Ende Dezember unter äußerst schwierigen Bedingungen an. Mit ihren bisherigen Maßnahmen zeigt sich der kroatische Staatspräsident Ivo Josipovic jedenfalls zufrieden:

"Die Regierung hat die Wahlen mit einem Programm gewonnen, das Einschnitte und Maßnahmen vorsieht, um Arbeitsplätze zu schaffen und neue Investitionen ins Land zu bringen, damit Kroatien die Rezession überwinden kann. Gesenkt hat die Regierung bereits die Budgetausgaben, in dem sie etwa 400 Millionen Euro weniger ausgibt als im Vorjahr. Sicher ist, dass wir am Beginn des Mandats der neuen Regierung einen Optimismus auch bei der Bevölkerung feststellen, dass die Krise überwunden werden kann."

Josipovic betont, dass Regierung und Wirtschaft das verbleibende Jahr bis zum EU-Beitritt nutzen müssten, um die Konkurrenzfähigkeit Kroatiens zu erhöhen. Notwendig sei aber auch eine Änderung der Mentalität der Bürger, unterstreicht Josipovic:

"Wir müssen vor allem die Einstellung zur Arbeit ändern. Jeder, vom Präsidenten bis zum Beschäftigten in der Privatwirtschaft muss sich mit Hingabe seiner Arbeit widmen. Zweitens müssen die, die arbeiten, auch eine gesellschaftliche Anerkennung dafür erfahren, die sich nicht nur in einem anständigen Lohn ausdrückt. Da geht es auch um die Haltung zur Arbeit als Wert. Hier haben wir noch eine Erblast aus der Vergangenheit, dass Arbeit nicht immer so gewürdigt und gesehen wird, wie das nötig wäre."

Mit viel Anstrengung hat Kroatien jedenfalls als zweites Land des ehemaligen Jugoslawien den Beitritt zur EU geschafft. Die Kriterien aus Brüssel waren dabei weit strenger als bei früheren Erweiterungsrunden. Kroatien sei daher bereit, die anderen Beitrittswerber politisch und praktisch durch Experten zu unterstützen, betont der Präsident. Klar begrüßt Josipovic die Entscheidung der EU, Serbien und dem Kosovo die weitere Annäherung zu ermöglichen:

"Mit dem Status eines Beitrittskandidaten für Serbien und dem Beginn einer Machbarkeitsstudie für den Kosovo hat die EU gezeigt, dass sie bereit ist, ganz Südosteuropa aufzunehmen. Das ist besonders wichtig, weil es daran immer wieder Zweifel gegeben hat. Doch auch für Kandidatenstatus und Machbarkeitsstudie mussten Bedingungen erfüllt und Kompromisse geschlossen werden. Das betraf das Grenzregime zwischen Serbien und dem Kosovo und dessen Vertretung bei regionalen Treffen, und das ist ein erstes gutes Zeichen, dass beide Seiten kompromissbereit sind und eine europäische Zukunft wünschen. Das ist ein guter Beginn."

Während Serbien und der Kosovo bei Normalisierung und Aussöhnung noch am Anfang stehen, haben die Beziehungen zwischen Kroatien und Serbien bereits ein ganz anderes Niveau erreicht. Dazu sagt Josipovic:

"Betrachten wir die Entwicklung vom Kriegsende bis heute, dann hat es große Fortschritte gegeben, so dass einstige Kriegsgegner heute sogar ein Abkommen über militärische Zusammenarbeit haben. Hinzu kommen die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz und der Kampf gegen die Organisierte Kriminalität. Doch richtig ist, dass noch viele offene Fragen nicht gelöst sind, von der Grenze über die Vermissten über geraubte Kulturgüter bis hin zu Eigentumsfragen. Ich glaube, dass unser Weg in die EU und Serbiens Weg dorthin und die neuen politischen Verhältnisse in Kroatien nach den Wahlen einige rasche Schritte nach vorn möglich machen können. Wenn wir uns eben über die Grenze an der Donau nicht einigen können, dann soll das durch ein Schiedsgerichtsverfahren gelöst werden. Wir müssen jedenfalls diese praktischen bilateralen Fragen lösen; aber Kroatien wird seine Position als EU-Mitglied jedenfalls nicht mißbrauchen, um Beitrittswerbern Lösungen aufzuzwingen."

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