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Der serbische Faktor in Kroatien

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Berichte Kroatien
Am 9. Dezember werden Staatspräsident Ivo Josipovic und Jadranka Kosor in Brüssel den Beitrittsvertrag Kroatiens zur EU unterschreiben. Doch bis zum Beitritt selbst im Sommer 2013 steht Kroatien noch unter einer besonderen Beobachtung der EU. Das betrifft nicht nur den Kampf gegen die Korruption, sondern auch die Menschen- und Minderheitenrechte. Somit kommt der serbischen Minderheit und der Beachtung deren Rechte durch den kroatischen Staat große Bedeutung zu. Vor dem Krieg lebten in Kroatien offiziell knapp 600.000 Serben, bei der Volkszählung 2001 waren es nur mehr 200.000. Wichtigster Vertreter dieser Volksgruppe ist Milorad Pupovac, der Vorsitzende der stärksten Serben-Partei. Mit ihm hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz in ZAGREB gesprochen, hier sein Bericht:

Am Sonntag wird in Kroatien das Parlament neu gewählt; von den 151 Sitzen entfallen acht auf nationale Minderheiten, darunter drei auf die serbische Volksgruppe. Trotzdem war die Rolle der stärksten Serben-Partei SSDS in der Regierung der konservativen Partei HDZ weit größer als die Zahl der Serben in Kroatien; so stellte die SSDS einen stellvertretenden Ministerpräsidenten und konnte bei knappen Mehrheiten auch das Zünglein an der Waage spielen. Doch nun dürfte die HDZ die Wahlen verlieren; an die Macht kommen wird eine Koalition unter Führung der sozialdemokratischen SDP. Zu einer Regierungsbeteiligung sagt der Vorsitzende der SSDS, der kroatische Serbe Milorad Pupovac:

„Als der Konflikt begann, bekamen die Serben den Eindruck, von der SDP verlassen worden zu sein, und die serbischen Stimmen gingen woanders hin. Später fürchtete sich die SDP vor einer Koalition mit der Serben-Partei, um nicht einer Politik beschuldigt zu werden, die zu wenig patriotisch sei. Heute dürfte das weder für die Sozialdemokraten noch für die Serben eine verbotene Frucht sein, doch diese Einstellung gibt es noch immer im politischen Bewusstsein und Unterbewusstsein.“

Belastet wird das Verhältnis zwischen Kroatien und Serbien auch durch Klage und Gegenklage vor dem internationalen Gerichtshof wegen Völkermordes im Krieg. Daher ist der 65-jährige Milorad Pupovac dafür, dass beide Länder ihre Klage zurückziehen:

„Diese Klagen hindern die Menschen daran, die Ereignisse der 90iger Jahre zu erkennen und zu verstehen, wer die Verbrechen begangen hat, in welchem Umfang es Verbrechen gab, und wer sich dafür verantwortlich fühlen muss. Denn ein Durchschnittskroate oder Durchschnittsserbe wird sagen, das stimmt doch nicht, dass mein Volk Völkermord begangen hat. So vertiefen die Klagen ein negatives kollektives Bewusstsein, das die Menschen an einer rationalen Auseinandersetzung mit der Politik der 90iger Jahre hindert. Daher sollten diese Klagen zurückgezogen werden.“

Dazu ist Kroatien bisher nicht bereit; doch auf seinem Weg Richtung EU kam es zur Annäherung zwischen Agram und Belgrad und das wirkte sich auf positiv für die Volksgruppe aus. Zwar sei das Problem der Rückkehr bei weitem noch nicht gelöst, doch die Lage der Serben habe sich zweifellos verbessert, erläutert Pupovac:

„Wir haben eine Reihe schwieriger Fragen gelöst; dazu zählt die Erneuerung der im Krieg zerstörten Häuser, das Wohnrecht, das die Serben in den großen Städten verloren, als sie im Krieg flüchten mussten. Auch die Anklagen wegen Kriegsverbrechen, die in den 90iger Jahren in großer Zahl fabriziert wurden, konnten gelöst werden. Hinzu kommt die Frage der Stärkung der Gemeinden und ihrer Budgets, in die Serben zurückkehren oder leben.“

Trotz beachtlicher finanzielle Mittel, die Kroatien für die serbische Volksgruppe aufwendet, sind ihre Siedlungsgebiete besonders stark von der Wirtschaftskrise betroffen. Das hat nichts mit einer antiserbischen Politik sondern mit Rückständigkeit zu tun. Gleiches gilt aber nicht für die große ethnische Distanz, die durch ein getrenntes Schulwesen noch gefördert werde, kritisiert Pupovac:

„Serbische Kinder gehen in eine serbische Schule, um Serbisch zu lernen, und die kroatischen Kinder in eine kroatische Schule, um Kroatisch zu lernen. Das wäre so, als ob deutsche Kinder in eine deutsche Schule gehen müssten, um Deutsch zu lernen, und die österreichischen Kinder in eine österreichische, um österreichisches zu lernen. So ähnlich ist das bei uns, wenn wir den Unterschied in der Schrift weglassen. Das müssen wir überwinden.“

Doch das wird noch Zeit brauchen, zumal die Schüler auch kaum etwas über den Beitrag der kroatischen Serben zum kroatischen Geistesleben lernen. So war der Komponist der kroatischen Hymne eine kroatischer Serbe, und das größte Genie des Balkan, Nikola Tesla der Sohn eines Popen, wurde ebenfalls in Kroatien geboren.

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