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Kroatien vor der Wahl und der Stunde der Wahrheit

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Am 4. Dezember wird in Kroatien das Parlament neu gewählt. Mehr als 300 Listen und Kandidaten treten an, doch entscheidend ist der Kampf zwischen zwei Gruppen, der regierenden HDZ und einer Mitte-Links-Koalition unter Führung der Sozialdemokraten. Nach allen Umfragen muss die konservative Ministerpräsidentin Jadranka Kosor mit einer schweren Niederlage rechnen, obwohl Kosor die EU-Beitrittsverhandlungen im Sommer abgeschlossen hat. Doch die tiefe Wirtschaftskrise und massive Korruptionsvorwürfe gegen die HDZ und der Prozess gegen Kosors Vorgänger Ivo Sanader überdecken den EU-Erfolg. Voraussichtlicher Sieger wird eine Mehrparteienkoalition unter Führung der Sozialdemokraten sein. Welch schweres Erbe auf sie zukommt, welche Themen den Wahlkampf beherrschen und ob die Bevölkerung auf die schmerzlichen Maßnahmen vorbereitet wird, darüber hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschuetz den folgenden Beitrag für das kommende Europajournal gestaltet.

Am 9. Dezember werden Staatspräsident Ivo Josipovic und Ministerpräsidentin Jadranka Kosor in Brüssel den Beitrittsvertrag Kroatiens zur EU unterschreiben. Zu diesem Zeitpunkt dürfte Jadranka Kosor bereits abgewählt und ihre Partei HDZ eine schmerzliche Niederlage erlitten haben. Denn ebenso wie die EU steckt Kroatien in einer tiefen Krise. Knapp 300.000 der 4,4 Millionen Bürger sind arbeitslos, die wirtschaftliche Stagnation ist noch lange nicht überwunden, und selbst in den Straßen von Agram merkt der Besucher die wachsende Armut, etwa durch Bettler oder Kroaten, die in Mülltonnen nach Verwertbarem suchen. Dazu zählt der 54-jährige Vlada; klein von Wuchs, mit den Resten eines Tarnanzugs bekleidet und mit Rucksack und Eisenstange ausgestattet, durchsucht er die grünen Tonnen nach Flaschen, Schuhen oder Kleidung, die er dann am Flohmarkt verkauft; gar nicht scheu, erzählt Vlada:

„Ich habe gar nichts; ich bin beim Arbeitsamt gemeldet; dort bekomme ich 160 Euro im Monate aber nur bis zum kommenden Februar, und dann nichts mehr. Doch arbeitslos wurde ich im Ende Dezember 2010. Gearbeitet habe ich bei einer Baufirma als Wächter auf der Baustelle in der Nacht. Nach dem Gesetz darf ich drei Jahre befristet beschäftigt sein, und nach zwei Jahren, 10 Monaten und 28 Tagen wurde ich gekündigt, damit ich nicht angemeldet werden muss.“

Wie kritische die Lage ist, zeigt die Entwicklung der ausländischen Direktinvestitionen; sie beschreibt der österreichische Handelsdelegierte in Agram, Roman Rauch:

„Die Investitionen waren 2010 extrem schwach, das ist brutal eingebrochen. Heuer sind bis Mitte des Jahres ungefähr doppelt so viele Investitionen wie im letzten Jahr gekommen. Nur das sind immer Einzelereignisse, das heißt die Vipnet, die Tochter der A! Telekom Austria, hat eine Tochterfirma von B.net um 92 Millionen Euro übernommen. Allein das ist schon ein guter Teil der Investitionen von 400 Millionen, das heißt, einige wenige große Akquisitionen decken das zu; aber auf breiter Basis gehen die Investitionen derzeit eher nach Serbien, eher nach Albanien und in die Türkei sowieso.“

Dabei hat die konservative Regierung unter Ministerpräsidentin Jadranka Kosor im Kampf gegen Korruption und Bürokratie durchaus Erfolge erzielt. Prominentester Angeklagter ist denn auch Ivo Sanader Kosors Amtsvorgänger auch als Vorsitzender der Regierungspartei HDZ. Er steht wegen Korruption vor Gericht und sein Prozess erinnert die Kroaten jede Woche an die Verbindung von Korruption und HDZ, gegen die nun auch die Antikorruptionsstaatsanwalt wegen Schwarzgeldkonten ermittelt.

Umfragen sagen der HDZ jedenfalls den Verlust von bis zu einem Drittel ihrer Wähler und einen Absturz auf 20 bis 25 Prozent voraus. Daher plakatiert die HDZ auch: „Die Besten, wenn es am Schwersten ist! – Stimmt für den Kampf gegen die Korruption und für die Integration Kroatiens in die EU.“ Ob dieser Slogan zieht, ist fraglich, weil der Zeitpunkt der Wahl für die HDZ extrem ungünstig ist. Dazu sagt der Meinungsforscher Milan Bagic:

„Der größte strategische Fehler der HDZ liegt darin, dass sie die Wahlen verzögert hat und so in die Lage gekommen ist, dass andere Ereignisse die objektiven Erfolge von Jadranka Kosor überschatten. Hätte die HDZ die Wahlen Ende des Sommer organisiert, hätte es wahrscheinlich weder Sanader-Prozess noch Anklage gegeben, und die Erfolge – wie der Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen wären noch immer dominant oder frischer im Gedächtnis der Bürger.“

Diesen Befund ergänzt der Philosoph Zarko Puhovski um eine paradox klingende Tatsache:

„Jetzt wird Jadranka Kosor die Wahlen verlieren, nicht wegen der schlechten, sondern wegen der guten Dinge, die sie getan hat. Denn in unserem Wahlkampf kritisiert eigentlich niemand die Regierung, befasst sich niemand mit politischen, sondern mit moralischen Fragen. Die Opposition sagt nicht, wir sind die besseren Politiker, sondern wir haben nicht gestohlen. Doch dass die anderen gestohlen haben, weiß man zu einem guten Teil deswegen, weil es Jadranka Kosor ermöglicht hat, dass diese Dinge publik wurden.“

Doch so kämpft Jadranka Kosor gegen den politischen Absturz; ihr Ziel ist ein besseres Ergebnis als im Jahre 2000 nach dem Tod von Parteigründer Franjo Tudjman. Dann könnte sich die HDZ unter Kosors Führung konsolidieren. Ist das Ergebnis schlechter drohen Flügel – und Diadochenkämpfe, und politisch wird nach Jadranka Kosor wohl kein Hahn mehr krähen.

Der Hahnenschrei Kikeriki, heißt auf Kroatisch Kukuriku – und so heißt auch die Mitte-Links-Koalition, die aller Voraussicht nach die nächste Regierung in Kroatien stellen wird. Denn der Koalitionspakt wurde in einem Restaurant bei Rijeka geschlossen, das den Namen Kukuriku trägt, und so taufte ein Journalist das Vier-Parteien-Bündnis Kukuriku-Koalition. Geführt wird sie vom Sozialdemokraten und Juristen Zoran Milanovic, der insbesondere von der Schwäche der HDZ profitiert. Der 45-jährige Milanovic gilt als arrogant und wenig charismatisch; ihn charakterisiert Zarko Puhovski so:

„Sein Vorteil liegt darin, dass er nicht bestochen werden konnte. So wie einst Oscar Wilde gesagt hat: „Ich kann allem widerstehen außer der Versuchung.“ Wenn es keine Versuchung gibt, dann bleibt man unschuldig und anständig, weil man ja auch gar nicht in der Lage war, unanständig zu sein. Und so legitimieren sich Milanovic und Co. nicht durch ihre Fähigkeit, sondern durch ihren Anstand. Doch es wird sicher einige sehr gute Minister geben.“

Dazu wird zweifellos Vesna Pusic von der liberalen Volkspartei HNS zählen. Die 58-jährige soll Außenministerin werden; Pusic ist Universitätsprofessorin für Soziologie, verfügt über langjährige außenpolitische Erfahrung und leitete bisher den EU-Ausschuss im Parlament. Bewusst ist sich Vesna Pusic der enormen sozialen Probleme, die auf die neue Regierung zukommen, Vesna Pusic:

„Das Durchschnittsalter des Pensionisten ist derzeit 54 Jahre. Das ist eine wirtschaftliche aber auch eine außerordentliche soziale Frage, weil man Leute zwischen 30, 40 und 50 Jahren in die Pension gedrängt hat, obwohl sie noch vieles arbeiten können. … Hier müssen wir jedem die Chance geben, dass er einen Arbeitsplatz findet; denn derzeit haben wir nur etwas mehr als 50 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung auch tatsächlich im Erwerbsleben.“

Aber ohne einschneidende Maßnahmen ist eine Sozialreform unmöglich. Doch statt klarer Ansagen plakatiert die Koalition: „Besser eine blaue Adria als ein Blauer Brief“; und Spitzenkandidat Zoran Milanovic verkündet:

„Wenn ich etwa an die öffentlichen Finanzen denke, wenn man sparen muss, dann soll man nicht schmerzlich schneiden, in dem man etwa den Menschen die kleinen Pensionen wegnimmt – Nein, Nein, Nein. Sparen heißt, vernünftig zu sein, und so viel auszugeben, wie man hat; doch gleichzeitig darf man die Nachfrage nicht abwürgen, denn das führt weiter in die Rezession; das ist sehr kompliziert und dafür gibt es kein klares Rezept.“

Verzichtet wird auf schmerzliche Botschaften, um das Hauptziel, die absolute Mandatsmehrheit nicht zu gefährden; diese Strategie könnte der Mitte-Links-Koalition bald auf den Kopf fallen, weil es für die neue Regierung keine Schonfrist geben wird. Unmittelbar nach der Regierungsbildung gilt es den Beitrittsvertrag mit der EU im Parlament zu ratifizieren und das Referendum über den Beitritt zu organisieren, das im Februar stattfinden soll. Das sei noch die leichtere Übung, betont der österreichische Handelsdelegierte Roman Rauch:

„Erste Maßnahme der Regierung: unbedingt Vertrauen der internationalen Kapitalmärkte sicherstellen ganz starke Reformen des Staatssektors, staatliche Wirtschafts-, Pensionssystem, Gesundheitssystem, das sind 90 Prozent fast aller Ausgaben, schnellstens Maßnahmen für Investitionen setzen, Es geht darum zuerst einmal Krisenfeuerwehr zu spielen.“

Zoran Milanovic bezeichnete im Wahlkampf den Gang zum Internationalen Währungsfonds wörtlich als Kapitulation; sie könnte der einzige Weg werden, um eine weitere Herabstufung durch Ratingagenturen zu verhindern, die Kredite für Kroatien kaum mehr erschwinglich werden ließe.

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