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Kroatiens Wirtschaft zwischen Balkan und EU

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Berichte Kroatien


Ende Juni jubelte die politische Führung in Kroatien über den Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit der EU. Formell sind nun alle nötigen Institutionen gebildet und Gesetze beschlossen, die Brüssel eingefordert hat. Doch auf den rauen Wettbewerb, der nach dem formellen Beitritt im Sommer 2013, wehen wird, ist die Wirtschaft bisher wenig vorbereitet. Die Industrie ist unterentwickelt, international, und Kroatien ist das einzige Land in Mitteleuropa, das noch immer nicht aus der Krise herauskommt. Eine große Last sind die Schulden. Das Budgetdefizit lag 2010 bei 4,7 Prozent, und die gesamte Außenverschuldung, die inklusive der Unternehmen bereits 100 Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht hat. Zu kämpfen hat Kroatien mit seinen 4,4 Millionen Einwohnern aber auch mit massiven demographischen und damit sozialen Problemen. Auf einen arbeitenden Kroaten kommt bereits fast auch ein Pensionist, und mit knapp 1,4 Millionen arbeitenden Menschen ist die Zahl der im Erwerbsleben stehenden Kroaten ebenfalls gering. Gestiegen ist in den Krisenjahren seit 2009 die Arbeitslosigkeit und zwar auf 300.000 Bürger, das sind mehr als 17 Prozent. Umso mehr hofft Kroatien denn auch auf eine gute Tourismussaison, um endlich aus der Krise herauszukommen. Über die kroatische Wirtschaft auf dem Weg vom Balkan Richtung EU berichtet unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz

Mit großem Aufwand wirbt Kroatien dieses Jahr um Gäste aus aller Herren Länder. Gepriesen werden der mediterrane Reiz, der viel zu kurz für eine Werbung aber gerade richtig für einen Urlaub sei. Eigentlich müsste 2011 eine gute Saison werden. Von der Krise in Nordafrika und von Vorbehalten gegenüber Griechenland sollte Kroatien eigentlich profitieren, und das Land braucht diese Finanzspritze dringend. Denn 2009 und 2010 sanken die Tourismuseinnahmen drastisch. Heuer hofft man wieder auf mehr als sieben Milliarden Euro, das entspricht etwa 15 Prozent der Wirtschaftsleistung Kroatiens. Doch auch der Fremdenverkehr kämpft mit Strukturproblemen; das ist umso schwerwiegender weil jeder fünfte Arbeitsplatz mit dem Tourismus zusammenhängt. Es gibt zu wenig Hotels der Spitzenklasse, Ausbildung und Angebot sind vielfach nicht auf dem letzten Stand und das Prei-Leistungsverhältnis stimmt nicht überall. Gering ist auch die Umweg-Rentabilität, erläutert in Agram der Tourismus-Experte Miroslav Dragicevic:

„Betrachtet man, was sich in der Steiermark, der Toskana oder der Provence tut, dann sieht man, dass der Tourismus ein Mittel ist, um die eigenen landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu bewerben, die auch Ausdruck der Identität eines Landes sind. Hier steht Kroatien noch eine große Herausforderung bevor.“

Teil dieser Herausforderung sind die volkswirtschaftlichen Schattenseiten, die mit dem Tourismus verbunden sein können. Warum der Fremdenverkehr für Kroatien ein zweitschneidiges Schwert ist, erklärt Vladimir Gligorov vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche:

"Der Tourismus bringt ziemlich viel an Exporten hervor, denn das ist eine Ausführ von Dienstleistungen. Andererseits: wenn damit nicht die Entwicklung der heimischen Industrie und der eigenen Landwirtschaft angeregt wird, dann bringt der Tourismus auch viele Importe mit sich. Denn die Gäste müssen all das nutzen, was das Land selbst nicht produziert. Wenn das so ist, dann bringt der Tourismus zwar fremdes Geld aber auch viele Importe ins Land und wirkt negativ auf die Entwicklung anderer Sektoren der Wirtschaft. Abgesehen von Istrien, entwickelt sich daher auch das Hinterland nicht; das gilt für Dalmatien aber auch für Slawonien."

Schwach entwickelt ist jedenfalls auch die Landwirtschaft in Kroatien. Der Urlaub am Bauernhof steckt in den Kinderschuhen, die Abwanderung ist groß, international bekannte Lebensmittelmarken gibt es kaum, und bei der Mehrheit der Agrarprodukte ist das Land kein Selbstversorger. Zwar gewährte die EU beim Kapitel Landwirtschaft mehrjährige Übergangsfristen; doch dieser Zeitgewinn müsste genutzt werden, um aus Kleibauern lebensfähige Betriebe zu formen. Der Landwirtschaftsattache an der österreichischen Botschaft in Agram, Christian Brawenz, erwartet daher ein beträchtliches Bauernsterben:

„Da ist zu befürchten, dass von den jetzt 100.000 jetzt überhaupt relevanten Bauern, die für den Markt produzieren, doch eine erhebliche Anzahl in den nächsten Jahren den Betrieb wird einstellen müssen. Wir können ungefähr davon ausgehen, dass 300 Betriebe, das sind die, mit denen wir jetzt als Österreicher schon in sehr aktivem Geschäftskontakt stehen, dass die wachsen werden, da werden noch einige Tausend dazu kommen, die werden größer werden, Durchschnittsgröße zwei Hektar, das muss man immer ins Gedächtnis rufen, damit ist kein Staat zu machen; dann wird es ungefähr 30.000 geben, die werden aufhören müssen, 30.000 werden sich entwickeln, und bei 30.000 wird man schauen, wie sich die arrangieren können.“

Die EU-Reife der Landwirtschaft beschränke sich daher vorwiegend auf die Institutionen, die Kroatien habe bilden müssen, um das Landwirtschaftskapitel abzuschließen, betont Brawenz:

„Für die Kontrolle und die Verwaltung der Förderungen kommt modernste Technik zum Einsatz. Es wird über Computer und Landkartensysteme jeder einzelne Bauer erfasst; es wird hier eine Fernkontrolle über Satellit möglich sein, es wird die Verwaltung über elektronische Medien möglich sein, es gibt Identifizierungssysteme; also hier ist glaube ich dafür gesorgt, dass von der Förderungsabwicklung das Land EU-reif ist.“

Die Schwäche der Landwirtschaft zeigt auch die Lebensmittelindustrie. So verarbeitet die Firma Gavrilovic in Petrinje, 60 Kilometer südöstlich von Agram, etwa 10.000 Tonnen Fleisch pro Jahr. Mehr als 80 Prozent davon werden importiert, weil in Kroatien ausreichende Mengen der geforderten Qualität nicht vorhanden sind. 1690 gegründet ist Gavrilovic der älteste Familienbetrieb Kroatiens und vor allem für seine Wintersalami bekannt. Beschäftigt werden in der Wurstfabrik 600 Mitarbeiter, im gesamten Konzern sind es etwa 3.000. Vom EU-Beitritt erwartet sich Gavrilovic vor allem den Wegfall von Stehzeiten an den Grenzen und den Zugang zum europäischen Markt; er steht bisher nur für Konserven offen, weil Rohwaren nicht in die EU exportiert werden dürfen. Zum bevorstehenden Wegfall der Zölle zeichnet Werksleiter Michael Brucker ein gemischtes Bild:

„Nach unseren Erfahrungen müsste Schweinefleisch günstiger werden, Rindfleisch eher teurer, weil wir im Moment zu anderen Konditionen von Drittländern importieren können wie etwa die EU. Wir haben für Drittland-Importe weniger Zölle als die EU. Beim EU-Beitritt unterliegt dann Kroatien der Zollgebung der EU, und das heißt, dieser Rohstoff wird für uns teurer werden.“

Keine Probleme bereitet der Firma die Erfüllung der EU-Standards. Dazu sagt die Ehefrau des Eigentümers, die gebürtige Wienerin Grete Gavrilovic:

„Wir haben jedes Jahr die EU-Kommission da, die Veterinäre aus der EU, die unseren Betrieb beurteilen, und wir sind da immer recht gut davon gekommen, als keine Beanstandungen oder nur sehr geringe.“

Die Firma Gavrilovic besitzt auch landwirtschaftliche Betriebe in denen Rinder und Schweine gezüchtet werden. Hinzu kommen drei Hektar mit Tomaten. Um Förderungen zu bekommen, beschäftigt die Firma besonders geschulte Mitarbeiter, die in der Lage sind, die Anträge richtig zu formulieren und die Formulare auszufüllen. Auf diese neuen bürokratischen Herausforderungen der EU ist jedoch nur eine Minderheit der Betriebe bereits vorbereitet, betont in Agram der österreichische Handelsdelegierte Roman Rauch:

„Die Wirtschaft selbst, hat sich nach meinem Dafürhalten, noch nicht besonders gut darauf vorbereitet; das Erfüllen von EU-Vorschriften, die EU-Qualitätsanforderungen, Aufzeichnungsvorschriften, statistische Vorschriften, absolut noch nicht gewöhnt und müssen in den ca. zwei Jahren bis zum Beitritt das alles noch auf Schiene bekommen, und die Zeit wird schon sehr; sehr kurz dafür.“

Doch Zeitmangel ist nicht das größte wirtschaftliche Problem Kroatiens; 98 Prozent der 88.000 Unternehmen sind Klein- und Mittelbetriebe; produziert wird vorwiegend für den Heimmarkt; die Arbeitskosten sind – gemessen an der Produktivität – die höchsten in der Region. Durch die Krise gingen die ausländischen Direktinvestitionen drastisch zurück, und zwar von 2,1 Milliarden Euro im Jahre 2009 auf 440 Millionen Euro im Vorjahr. Die Krise zeige nun die Folgen einer jahrelang verfehlte Wirtschaftspolitik, betont Roman Rauch:

„Die industriellen Leitbetriebe fehlen eigentlich. Das kroatische Geschäftsmodell in den vergangenen 15 Jahren seit Kriegsende war aufgebaut auf Kredit, auf Dienstleistung, Tourismus und Infrastruktur. Man hat die produzierende Industrie und das Gewerbe eigentlich total vernachlässigt – und jetzt zahlt man den Preis dafür, weil der Wirtschaftsaufschwung nur sehr langsam kommt, und man von der guten Situation in Österreich und in Deutschland nur sehr am Rande profitieren kann.“

So verzeichnete Kroatien im Ersten Quartal 2011 noch einen Rückgang der Wirtschaft und liegt damit klar hinter den EU-Ländern Mitteleuropas zurück. Tatsächlich machen kroatische Exporte nur etwa 20 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung aus. Diese Schwäche hat historische Wurzeln, ist aber auch hausgemacht, betont der Balkan-Kenner Vladimir Gligorov:

„Im Wesentlichen ist Kroatien de-industrialisiert wie der gesamte Balkan; Industrie und Landwirtschaft erholen sich nicht, vor allem weil der Wechselkurs so fixiert ist, wie er dem Dienstleistungssektor entspricht. Das war in den vergangenen zehn Jahren durchführbar, weil das Geld fast unbegrenzt bereit war, aus dem Ausland hereinzuströmen. Daher war die Verschuldung kein Problem. Die Nationalbank beschränkt zwar bereits seit einigen Jahren den Zustrom an Geld, weil sie dieses Problem erkannt hat. Doch solange der Kurs fixiert ist, lässt sich die Konkurrenzfähigkeit nicht leicht verbessern, weil die einzige Möglichkeit dazu darin besteht, die Lohn- und Arbeitskosten zu senken, und das ist in Kroatien praktisch undurchführbar."

Als die Regierung vor etwa einem Jahr eine zaghafte Reform des Arbeitsrechts in Angriff nahm, sammelten die Gewerkschaften eine Million Unterschriften gegen die Gesetzesnovelle, die damit gestorben war. Zwar hat Kroatien zum Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen sehr viele Reformen durchgeführt; doch sie betreffen weit stärker Institutionen und Gesetze als die reale Wirtschaft. Im Vergleich mit den anderen Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien hat Kroatien seine Position aus eigener Kraft daher kaum verbessern können, analysiert Vladimir Gligorov, Wirtschaftsexperte und Sohn des ersten Präsidenten des unabhängigen Mazedonien:

„Im ehemaligen Jugoslawien war in Slowenien die Wirtschaftsleistung pro Kopf etwa doppelt so hoch wie in Serbien, heute ist sie vier Mal so hoch. Was Kroatien betrifft, so lag es bei etwa 60 Prozent der slowenischen Wirtschaftsleistung pro Kopf, jetzt sind es etwa 50 Prozent. Andererseits lag damals Kroatien zehn bis zwanzig Prozent vor Serbien – heute ist das Verhältnis praktisch Zwei zu Eins zugunsten Kroatiens. Zwar ist der Fortschritt Kroatiens gemessen an der Ausgangslage relativ gering, doch abgesehen von Slowenien ist es allen anderen Nachfolgestaaten viel schlechter ergangen.“

Natürlich darf nicht vergessen werden, dass auch Kroatien unter den vier Kriegsjahren beträchtlich gelitten hat. Jugoslawien ist ein negativ besetzter Begriff; in Werbespots, die Ängste vor dem EU-Beitritt zerstreuen sollen, wird daher betont, dass die EU zu keiner Neuauflage des alten Jugoslawien führen werde. Für die konservative Regierung unter Ministerpräsidentin Jadranka Kosor ist der EU-Beitritt der einzig wirklich vorzeigbare politische Erfolg. Für Strukturreformen fehlt im Wahljahr der politische Wille, für Konjunkturprogramme fehlt das Geld.

Die Krise spürt auch ein Ziegelwerk im Raum Varazdin, das einem österreichischen Investor gehört und 50 Mitarbeiter beschäftigt. Die Bauwirtschaft ist um 25 Prozent zurückgegangen, und aus Mangel an Liquidität ist der Tauschhandel im Vormarsch. Im Raum Varazdin ist jede Fünfte arbeitslos; das schlägt sich in vielen Anfragen nieder, erzählt der Assistent der Geschäftsführung Ludwig Kocsis (Kotschisch):

„Auf Grund der hohen Arbeitslosenzahl bewerben sich sehr, sehr viele Akademiker, sehr, sehr viele Diplomingenieure, um eine Arbeit im Betrieb, weil sie einfach hier keinen Job finden; das ist für uns zwar von Vorteil, aber ich denke, generell wird sich das Land etwas überlegen müssen, um diese qualifizierten Arbeitskräfte auch am Markt unter zu bringen.“

Das Ziegelwerk produziert vorwiegend für den kroatischen Markt; nur etwa zehn Prozent werden nach Slowenien exportiert. Vom EU-Beitritt erhoffe sich die Firma auch einen faireren Wettbewerb, sagt Kocsis

„Als wir hier dieses Ziegelwerk gekauft haben, hat sich über Nacht – obwohl Alles gleich geblieben ist, der Gaspreis um zehn Prozent erhöht. Und wir dadurch auch in der heutigen Zeit noch an einem Wettbewerbsnachteil gegenüber unseren anderen Konkurrenten leiden.“

Hinzu kommt die Hoffnung auf weniger Korruption, auch durch eine Marktbereinigung nach dem EU-Beitritt, und auf weniger Bürokratie, denn Genehmigungen dauern oft mehr als ein Jahr. Fast sechs Jahre verhandelte Kroatien mit der EU; doch am 30. Juni konnte die Ministerpräsidentin Jadranka Kosor bei einem Empfang in Agram endlich den Abschluss der Gespräche verkünden:

„Heute ist ein Augenblick zum Feiern, um ein Glas Champagner zu trinken; doch bereits morgen müssen wir viel, entschlossen und mit Hingebung arbeiten.“

Das ist nur zu wahr; will man die Vorteile der EU nützen und im europäischen Wettbewerb bestehen können, haben viele Sektoren der kroatischen Wirtschaft noch einen harten Weg vor sich.

Abmoderation:

Formell hat Kroatien noch ganze zwei Jahre Zeit, um sich auf den tatsächlichen Beitritt zur EU vorzubereiten. Doch de facto wird wohl kaum mehr als ein Jahr zur Verfügung stehen. Denn bis spätestens im März muss das Parlament neu gewählt werden, und Wahlzeiten sind nirgendwo auf der Welt ein guter Zeitpunkt für umfassende Reformen. Abgeschwächt wird diese Zeitknappheit etwas durch die Übergangsfristen, die Brüssel gewährt hat, doch ihre mangelnde Konkurrenzfähigkeit wir Kroatiens Wirtschaft sofort nach dem Beitritt zu spüren bekommen.

Vier Links:

1)Internationaler Währungsfond, Länderbericht Kroatien, Juni 2011

http://www.imf.org/external/pubs/ft/scr/2011/cr11159.pdf

2)Weltbank, Büro in Kroatien

http://www.worldbank.hr/WBSITE/EXTERNAL/COUNTRIES/ECAEXT/CROATIAEXTN/0,,menuPK:301250~pagePK:141159~piPK:141110~theSitePK:301245,00.html

3)Kroatisches Wirtschaftsinstitut

http://www.eizg.hr/Default.aspx?lang=2

4)Kroatische Nationalbank

http://www.hnb.hr/eindex.htm

5)Wirtschaftskammer in Kroatien

http://wko.at/awo/hr

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