Neue Demos in Agram gegen Haager Urteil

In der kroatischen Hauptstadt Agram beginnt in diesen Minuten eine Demonstration gegen das Haager Tribunal. Ein Haager Richter-Senat hat gestern zwei kroatische Generäle wegen der Vertreibung von Serben zu 24 und 18 Jahren Haft verurteilt. Nur der dritte Angeklagte wurde freigesprochen. Bereits gestern verfolgten etwa Eintausend Demonstranten die Verlesung des Urteils am Ban Jelasic Platz im Zentrum von Agram. Diese Demonstration verlief friedlich. Über die heutige Kundgebung berichtet aus Agram unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz

„Für die Heimat, Gemeinsam für ein besseres Kroatien“ lauten die Parolen auf der Bühne am Ban Jelasic Platz im Zentrum von Agram. Organisiert wird die Kundgebung von einer Veteranen-Organisation unter Zeljko Sacic. Er und weitere vier ehemalige Mitglieder einer Sondereinheit der Polizei sind in Kroatien wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Sacic und Co sollen nichts unternommen haben, um ein Verbrechen an serbischen Zivilisten zu verhindern oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Zeljko Sacic war im Krieg Stellvertreter von General Mladen Markac, der die Spezialpolizei führte. Markac wurde gestern vom Tribunal zu 18 Jahren Haft verurteilt, der Hauptangeklagte, General Ante Gotovina bekam 24 Jahre. Beide Generäle sollen unter Führung des Staatsgründers Franjo Tudjman geplant haben, im Sommer 1995 bei der Rückeroberung besetzter Gebiete auch die serbische Minderheit zu vertreiben. Das Urteil löste in Kroatien einen Sturm der Entrüstung aus. Die Staatsführung bezeichnete das Urteil als unannehmbar, weil dadurch der Verteidigungskrieg gegen den serbischen Aggressor in Frage gestellt werde. In den Medien ist der Haager Richterspruch heute ebenfalls das beherrschende Thema, wobei besonnene Kommentare rar sind. So zeigte die auflagenstärkste Boulevard-Zeitung 24 Sata auf der Titelseite Kroatien ans Kreuz genagelt und titelte „Sie verurteilten Kroatien“. Vecernji List schreibt von einem „Schändlichen Urteil“, Vjestnik von einem Skandal-Urteil und Jutarni List titelt: „Waren wirklich wir die Aggressoren?!“ Hinzuzufügen ist, dass fast alle der genannten Medien deutschen oder österreichischen Verlagen gehören und heute eigentlich nur die Grundstimmung widergeben, die in Kroatien besteht. Die große Hoffnung richtet sich in Kroatien nun auf das Berufungsverfahren, denn es ist klar dass Gotovina und Markac das Ersturteil anfechten werden. Ein Urteil zweiter Instanz ist erst für das kommende Jahr zu erwarten. Dagegen ist der freigesprochene General Ivan Cermak bereits gestern von Den Haag nach Kroatien zurückgekehrt, und zwar an Bord eines Flugzeugs der Regierung. Am Flughafen in Agram wurde er von Ministerpräsidentin Jadranka Kosor empfangen. Sie wird es nun noch schwerer haben, die Kroaten von dem Nutzen eines EU-Beitritts zu überzeugen. Denn viele Kroaten sehen im Haager Tribunal eine proserbische Verschwörung des Westens und wenige Monate vor dem Beitrittsreferendum könnte die EU-Skepsis in Kroatien nun weiter steigen.