Interview mit dem kroatischen Präsidenten Josipovic
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Berichte Kroatien
Knapp einen Monat ist der 53-jährige Ivo Josipovic nun Präsident Kroatiens. Seine erste Auslandsreise führte ihn fast zwangsläufig nach Brüssel. Fünf Jahre dauern die EU-Beitrittsverhandlungen bereits, die nun in die entscheidende Phase treten. Doch unter den Kroaten herrscht nur mäßige Begeisterung. Die Wirtschaftskrise ist massiv, die Arbeitslosigkeit steigt drastisch an. Trotzdem ist Ivo Josipovic überzeugt, dass eine klare Mehrheit für den EU-Beitritt stimmen wird:
„Wir Politiker haben den Bürgern zu erklären, dass die Reformen auf dem Weg zur EU der Gesellschaft nützen, und zwar ungeachtet der Mitgliedschaft in der EU. Das strategische Interesse Kroatiens ist es, der EU beizutreten.“
Im Parlament in Agram wird bereits über das Gesetz für die Volksabstimmung über den EU-Beitritt debattiert. Dabei geht es auch um die Frage des Stimmrechts der Auslands-Kroaten. Am meisten davon Gebrauch machen die bosnischen Kroaten, und bei Wahlen kam es immer wieder zu Unregelmäßigkeiten. Die Wählerlisten sind veraltet, und bisher war doppelte Stimmabgabe vielfach möglich weil viele bosnische Kroaten auch in Kroatien gemeldet sind. Zur Reform des Stimmrechts sagt Josipovic:
„Alle kroatischen Staatsbürger sollen weiter das Stimmrecht haben, doch es muss zu Änderungen kommen, die garantieren, dass die Wahlen regulär ablaufen. Außerdem muss der Einfluss der Kandidaten, die von der Diaspora gewählt wurden, dem tatsächlichen Einfluss entsprechen, den die Diaspora auf das tägliche Leben in Kroatien hat. Sicher ist, dass es derzeit keinen Konsens darüber gibt, das Wahlrecht der Diaspora völlig zu beseitigen.“
Noch nicht gänzlich beseitigt hat Kroatien Vorbehalte des Haager Tribunals. Die Suche nach sogenannten Artillerie-Tagebüchern ist noch nicht abgeschlossen; sie hat die Anklage in Den Haag für Prozesse gegen kroatische Generäle angefordert. Ein Teil dieser Dokumente könnte vernichtet worden sein, umfangreiche Untersuchungen sind im Laufen. Dazu sagt Josipovic:
„Ich bin sicher, dass die kroatische Regierung keine Dokumente versteckt. Nach der Auslieferung auch bedeutender Generäle wäre es wahrlich unlogisch, dass die Regierung wegen etwa 20 Dokumenten die europäische Zukunft aufs Spiel setzt. In diesem Fall hat Kroatien eine Arbeitsgruppe gebildet; erste Ergebnisse gibt es bereits, und ich bin sicher, dass die Artillerietagebücher schon bald kein Problem mehr darstellen werden.“
Viele Kroaten haben große Vorbehalte gegen das Haager Tribunal, weil der Krieg gegen Serbien allgemeinhin als Verteidigungskrieg betrachtet wird. Dagegen spaltet der Zweite Weltkrieg Kroatien nach wie vor. Das Konzentrationslager Jasenovac gilt als Symbol für die Greultaten des Ustasa-Regimes im Krieg, die Kärntner Gemeinde Bleiburg als Symbol für die Massenmorde der kommunistischen Partisanen unmittelbar danach. Dazu sagt Ivo Josipovic;
„Bildlich gesprochen ist in allen Köpfen der Zweite Weltkrieg leider noch immer nicht zu Ende gegangen. Das wird möglich, wenn man zwei Grundsätze akzeptiert: erstens ist jedes Verbrechen ein Verbrechen und ist zu verurteilen. Außerdem haben die Opfer ein Recht, dass ihre Gräber gekennzeichnet werden, damit die Verwandten den Opfern ihre Achtung erweisen können. Doch es gibt eine zweite Tatsache, die in der Verfassung festgeschrieben ist. Kroatien ist auf dem Bündnis der antifaschistischen Kräfte im Zweiten Weltkrieg geründet, und hier darf es kein Dilemma geben.“
Josipovic ist für die Exhumierung von Massengräbern auf kroatischem Boden. Darin sieht er einen Beitrag zur Aussöhnung in Kroatien. Die Befriedung des gesamten Balkan wird dagegen nur unter dem Dach der EU dauerhaft möglich sein; davon ist auch Ivo Josipovic überzeugt.