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Zweite Weltkrieg und Kroatien Interview mit Slavko Goldstein

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Jasenovac versus Bleiburg so lautet schlagwortartig die Kontroverse in Kroatien über den Zweiten Weltkrieg. Das Konzentrationslage Jasenovac steht dabei für die Massenmorde der faschistischen Ustascha im Krieg; die Kärntner Gemeinde Bleiburg wiederum ist das Synonym für die Massenmorde der siegreichen Partisanen nach Kriegsende an den besiegten Gegnern. Durch die Öffnung eines Massengrabes in Slowenien im März hat diese Debatte auch in Kroatien neue Nahrung erhalten. In Kroatien soll es mehr als 800 Massengräber geben, doch sowohl bei Exhumierungen als auch bei der Aufarbeitung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs liegt Kroatien weit hinter Slowenien zurück. Darüber hat in Zagreb unser Balkan-Korrespondent Christian mit dem Publizisten und ehemaligen Partisanen Slavko Goldstein gesprochen, hier sein Bericht:

Slavko Goldstein ist sehr klein und spricht mit ruhiger, bedächtiger Stimme. Trotz seiner 81 Jahre arbeitet Goldstein nach wie vor als Verleger in Agram. Nach der Kapitulation Jugoslawiens im Jahre 1941 und der Bildung des faschistischen Ustascha-Staates in Kroatien kam Goldsteins Vater in ein Lager; die Mutter wurde zunächst verhaftet und die Familie aus ihrer Wohnung geworfen. Slavko und sein Bruder kamen in einem Dorf unter; 1942 gelang den beiden und der Mutter die Flucht. Dazu sagt Slavko Goldstein:

„Damals gab es für Juden nur zwei Möglichkeiten, wenn man Jasenovac und damit den wahrscheinlichen Tod nicht mitrechnet: die eine war Italien, die zweite waren die Partisanen. Wir wählten die Partisanen. Mehr als drei Jahre war ich bei den Partisanen; zunächst als Junge von 14 Jahren als Kurier und Wachposten und die letzen eineinhalb Jahre als Soldat. Nach dem Krieg habe ich die Schule fortgesetzt, wurde Journalist und Verleger. Das ist alles.“

Die Tito-Partisanen kämpften zunächst gegen die Besatzer; doch als ab 1943 die Niederlage Deutschlands absehbar war, trat der Kampf gegen die königstreuen Cetniks in Serbien und gegen die Domobranzen in Slowenien in den Vordergrund. Dieser Machtkampf gipfelte in den Massenmorden unmittelbar nach Kriegsende, denen allein in Slowenien etwa 100.000 Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. Seriöse Angaben für Kroatien fehlen noch. In diesen Verbrechen sieht Goldstein die große Sünde der Kommunisten. Sie endete aber nicht mit dem Bruch Titos mit Stalin im Jahre 1948, betont Goldstein:

„Diese kommunistische Sünde setzte sich fort, weil es verboten war, über diese stalinistische Periode und vor allem über die Verbrechen des Jahres 1945 zu sprechen. Die Familien durften nicht ein Mal Gräber haben; daher wuchs in diesen Familien, Unzufriedenheit, ja sogar Hass, der sich aufstaute. Die Zahl der Ustascha-Truppen, die ermordet wurden, betrug allein im Mai und Juni 1945 an die 45.000 Soldaten; inklusive ihrer Familien waren so mehrere Hunderttausend Personen betroffen, die schweigen mussten.“

Während die einen schwiegen, übertrieben die Sieger nicht nur ihre Heldentaten, sondern auch die Verbrechen, die die Besiegten begangen hatten. Gleiches taten kroatische und serbische Emigranten – nur mit umgekehrten Vorzeichen. Beides verurteilt Goldstein; zum KZ Jasenovac sagt er:

„In der kommunistischen Propaganda sprach man von mindestens 700.000 Toten in Jasenovac. Das ist unmöglich, und zwar einfach deshalb, weil die Gesamtzahl aller Serben, die auf dem Territorium des damaligen kroatischen Staates ermordet wurden etwa 400.000 beträgt. Viele davon wurden in ihren Dörfern und anderen Lagern ermordet. Was Jasenovac betrifft so sind es nicht 700.000 sondern nach bisherigen Untersuchungen zwischen 80.000 und 90.000 Opfer; das ist noch immer eine schreckliche Zahl. Namentlich sind in der Gedenkstätte Jasenovac 74.000 Opfer aufgelistet, wobei 20 Prozent noch nicht erfasst sein dürften.“

Das Eintreten für eine realistische Opferzahl trägt Goldstein aus Serbien regelmäßig den Vorwurf ein, ein kroatischer Faschist und Nationalist zu sein. Ungerührt davon kämpft Goldstein weiter für eine rationale Aufarbeitung der Geschichte – auch als Vorbeugung gegen den Nationalismus, der zum Zerfall Jugoslawiens beitrug. Daher ist Goldstein für die Exhumierung von Massengräbern der Partisanen-Opfern in Kroatien. Gleichzeitig müssten aber die wichtigsten der 3.000 Denkmäler für die Ustascha-Opfer erneuert werden, die in der Ära von Präsident Franjo Tudjman zwischen 1991 und 1999 zerstört wurden, fordert Goldstein.

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