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Kroatien vor der Wahl

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In Kroatien finden am Sonntag Parlamentswahlen statt – und noch nie war der Ausgang der Wahl so ungewiss. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der konservativen Partei HDZ unter Ministerpräsident Ivo Sanader und den oppositionellen Sozialdemokraten voraus. Beide Parteien dürfen mit 30 Prozent der Stimmen rechnen. HDZ und SDP schließen eine große Koalition aus; daher wird das Abschneiden der Kleinparteien eine wesentliche Rolle spielen, die für die beiden „Großen“ als potentielle Koalitionspartner in Frage kommen. 52 Parteien treten an, doch nur 22 in allen 12 Wahlkreisen. Zu vergeben sind 140 Mandate, sowie acht Mandate, die für nationale Minderheiten vorgesehen sind. Hinzu kommen noch bis zu 10 Sitze für die Auslandskroaten. Wahlberechtigt sind knapp vier Millionen Bürger in Kroatien und 400.000 Kroaten im Ausland. Für Europa ist die Wahl von besonderem Interesse, weil die künftige kroatische Regierung das Land wohl endgültig in die EU führen wird. Die Beitrittsverhandlungen könnten bis 2009 abgeschlossen werden. Unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz hat den Wahlkampf in Kroatien beobachtet und den folgenden Beitrag gestaltet:

In Kroatien unterscheiden sich die Wahlkämpfe der Jahre 2003 und 2007 thematisch grundlegend voneinander. Damals regierte eine Koalition unter Führung der Sozialdemokraten, während die konservative HDZ in der Opposition war. Ihr haftete noch das Stigma des Nationalismus an. Die Frage, ob die HDZ Kroatien Richtung EU führen könne, spielte im Wahlkampf daher ebenso eine Rolle wie die Zusammenarbeit mit dem Haager Tribunal. Die Antworten fielen trotz des Sieges der HDZ positiv aus. Kroatien steckt mitten in den Beitrittsgesprächen, die EU ist kein Wahlkampfthema, denn es herrscht politischer Konsens. Kein Thema mehr ist auch Den Haag, weil der mutmaßliche Kriegsverbrecher, General Ante Gotovina, in Spanien gefasst und an das Tribunal ausgeliefert wurde; auch die Ereignisse während des Zweiten Weltkrieges und danach verlieren an Bedeutung:

„Zum ersten Mal in der Geschichte des demokratischen Kroatien haben wir die Wirtschaft als wichtiges Thema. Bisher konnten alle Themen des Wahlkampfs in vier Worten zusammengefasst werden – Konzentrationslager Jasenovac versus Auslieferung der Kroaten in Bleiburg, Ustascha oder Partizanen; das hat nie zu einem modernen politischen Leben geführt. Jetzt haben wir Themen, die normalen, entwickelten Demokratien ähnlich sind Jeder manipuliert mit den Aussagen der jeweils anderen Partei, doch das gleicht einer modernen Kampagne.“

… analysiert Zarko Puhovski, Professor für Philosophie an der Universität Agram. Möglich wurde diese Entwicklung weil Ministerpräsident Ivo Sanader seine HDZ in die Mitte geführt hat, ein Trend, dem praktisch alle Parlamentsparteien gefolgt sind. Diese Normalisierung schlägt sich in Wahlreden nieder, wie ein Auftritt von Ivo Sanader zeigt:

„Am 25 November wählt Kroatien zwischen zwei politischen Optionen: zwischen der HDZ, die weiß, was gut ist für Kroatien, die neue Arbeitsplätze schafft und Straßen baut, die das Problem unserer Pensionisten löst; die den Jungen eine Schule und die Möglichkeit bietet, ihre Ziele in Kroatien zu verwirklichen und einer Politik, die den Jungen Drogen bietet, die sagt, wir haben keine Schulden gegenüber den Pensionisten, die allen neue Steuern aufzwingen will. Wir sind gegen neue Steuern, wollen weniger und nicht mehr Steuern wie das die SDP will. Wir sagen dazu Nein.“

Sanader wirft den Sozialdemokraten ebenfalls vor, den Religionsunterricht abschaffen zu wollen; all das weist die SDP entrüstet zurück:

„Wir haben ein Konkordat mit dem Heiligen Stuhl, gegen das ich persönlich viele Einwände habe. Doch wir wollen das nicht in Frage stellen. Man versucht den Menschen damit Angst zu machen, dass die SDP den Religionsunterricht abschaffen und Drogen legalisieren will. In ganz Kroatien sind diese Lügen plakatiert, das ist unakzeptabel.“

… betont der Vorsitzende der SDP, Zoran Milanovic. Der 41-jährige Jurist ist seit dem Frühsommer Nachfolger des verstorbenen Parteichefs Ivica Racan. Milanovic brachte frischen Wind, und die Partei legte in Umfragen kräftig zu. Doch Milanovic ist nicht der Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten. Dieses Amt soll der parteilose Ökonom Ljubo Jurcic übernehmen. Der 53-jährige war bereits Wirtschaftsminister in der Regierung Racan. Die SDP präsentierte sich im Wahlkampf daher als Team. Damit sollte auch kaschiert werden, dass noch offen ist, welche Funktion Parteichef Milanovic künftig ausüben wird, eine Ungewissheit, die Ivo Sanader für seine HDZ zu nützen versuchte. Sanader wiederum wurde von der SDP beschuldigt, Strukturreformen verabsäumt zu haben. Ljubo Jurcic:

"Die Schiffswerften haben akkumulierte Verluste von mehr als einer Milliarde Euro; das ist eine enorme Belastung für die Wirtschaft. In den ersten sechs Monaten unserer Regierung müssen wir daher über die Sanierung der Werften entscheiden. Das zweite Problem ist das Gesundheitssystem, das jährlich ein Defizit von etwa 250 Millionen Euro aufweist; doch all das wird nur möglich, wenn wir die Hindernisse beseitigen, die einer Erhöhung der Produktion im Inland entgegen stehen."

Doch das sind nicht die einzigen Probleme. Justiz und Verwaltung sind nicht gerade effizient und das Außenhandelsdefizit ist hoch. Auch die SDP hat kleine klare Lösung für diese Fragen präsentiert; sie sind wohl auch gar nicht wahlentscheidend, wie der Meinungsforscher Milan Bagic erläutert:

„Die Schlüsselfrage, die für das Wahlverhalten entscheidend ist, ist die Frage, ob die Regierung Sanader effektiv war, ob sie korrupt war oder nicht, ob eine neue Garnitur unter Führung der SDP mehr Optimismus in dem Sinne wecken kann, dass sie effektiver und korrekter arbeitet und natürlich auch mit weniger Korruption und Skandalen. Weniger wichtig sind irgendwelche konkreten Themen.“

Auf das Thema Korruption setzte daher die SDP; massiv angegriffen wurde Ivo Sanader selbst, und zwar wegen seiner Vorliebe für teure Armbanduhren. Zoran Milanovic:

"300 Euro kostet meine Uhr; das kann ich mir mit meinen Einnahmen selbst leisten. Unser Regierungschef hat bereits seit 17 Jahren das Gehalt eines Staatsbeamten; als Unternehmer arbeitete er in Innsbruck zwei Jahre von 1988 bis 1990. Sanader hat ein enormes Vermögen, fünf teure Uhren, von denen jede so vielkostet wie ein VW-Passat. Doch die Rechnungen will er ebenso wenig vorlegen, wie die Frage beantwortet, wie er das Geld für die Uhren verdient hat."

Ob dieser direkte Angriff die erhoffte Wirkung zeigt, bezweifeln Meinungsforscher. Ivo Sanader ist noch immer populär und hat Erfolge vorzuweisen. Die Arbeitslosigkeit sinkt, die Wirtschaft wächst und die Tourismus-Saison war sehr gut. Sanaders größter Trumpf könnten aber die 400.000 wahlberechtigten Auslandskroaten sein. Sie sind eine sichere Bank für die HDZ, dieses Mal umso mehr, weil die SDP in dem Wahlkreis nicht antritt, in dem diese Mandate vergeben werden. Die SDP fordert, dass nur Bürger wählen dürfen, die in Kroatien leben, während Sanader intensiv um die Auslandskroaten wirbt:

"Wir fragen die SDP, wo ward ihr denn 1991 als die Kroaten aus Bosnien-Herzegowina, aus ganz Europa und der Welt kamen, um unseren Jungen bei der Verteidigung Kroatiens zu helfen und Schulter an Schulter in vorderster Front standen. Damals waren sie uns gut genug, und jetzt wollen sie ihnen das Wahlrecht verbieten."

Im Falle eines Kopf-an-Kopf-Rennes könnte die HDZ diesen Stimmen eine knappe relative Mehrheit verdanken. Ob Sanader weiter regieren kann, hängt auch vom Abschneiden der Kleinparteien ab. Ihr Preis wird umso höher sein, je knapper SDP und HDZ beisammen sind, und die Regierungsbildung könnte lange dauern. Außenpolitisch würde eine SDP-Regierung ein Referendum über den NATO-Beitritt bedeuten, das die HDZ ablehnt. Innenpolitisch dürften die Unterschiede zwischen einer SDP- und einer HDZ-geführten Regierung vielleicht noch geringer sein; dafür sorgt schon die EU, denn die Probleme, die es für den Beitritt zu lösen gilt, lassen kaum Spielraum.

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