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Warum ist die EU-Skepsis in Kroatien so groß?

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Neben der Türkei ist Kroatien derzeit das einzige Land, mit dem die Europäische Union über einen Beitritt verhandelt. Die Gespräche begannen mit beiden Staaten gleichzeitig im Herbst 2005, doch verlaufen die Verhandlungen mit der Regierung in Zagreb weit zügiger. Trotzdem hat auch Kroatien erst zwei der insgesamt 35 Kapitel abgeschlossen, die es zu bewältigen gilt. Über drei Kapitel wird derzeit konkret verhandelt, während Brüssel bei sieben Kapiteln Auflagen gemacht hat, die Kroatien erfüllen muss, ehe die Gespräche beginnen können. Trotzdem ist der von der Regierung in Zagreb angestrebte Abschluss der Verhandlungen bis zum Jahre 2009 noch nicht völlig unrealistisch. Doch je näher der Beitritt rückt, desto größer wird offensichtlich die EU-Skepsis. Betrug die Zustimmung zur EU vor drei Jahren noch etwa 70 Prozent, sind nach jüngsten Umfragen nur mehr knapp 40 Prozent der Kroaten für den Beitritt, der durch eine Volksabstimmung abgesegnet werden muss. In Zagreb ist unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz der Frage nachgegangen, warum die Bevölkerung so große Vorbehalte gegen die EU hat, hier sein Bericht:

Die Beitrittsgespräche zwischen Zagreb und Brüssel kamen erst nach massivem politischen Tauziehen innerhalb der EU zustande. Grund dafür war das Haager Tribunal, das Kroatien nicht die volle Zusammenarbeit bescheinigen wollte. Grund dafür wiederum war der Fall Ante Gotovina. Der General, der beim Sieg über Serbien im Jahre 1995 eine wichtige Rolle spielte, war seit Jahren auf der Flucht. Den Haag warf Zagreb vor, nichts zu tun, um Gotovina zu finden; daher begannen die EU-Verhandlungen nicht schon im März, sondern erst im Oktober 2005; denn schließlich lag grünes Licht aus Den Haag vor, und mehrere EU-Staaten unter Führung Österreichs überwanden den Widerstand, den vor allem Großbritannien leistete. Ende 2005 wurde Gotovina in Spanien verhaftet, und Kroatien konnte das Kapitel Haager Tribunal weitgehend schließen. Dagegen sind bei den 35 Verhandlungskapiteln zwischen Zagreb und Brüssel noch viele Fragen offen, erläutert in Zagreb der Leiter der EU-Kommission Vincent Degert:

„Bei einem Drittel der Kapitel können wir erst zu verhandeln beginnen, wenn Kroatien einige Bedingungen erfüllt hat. Das betrifft etwa die Grenzkontrollen, öffentliche Ausschreibungen oder Wettbewerbspolitik. Bei diesen Kapiteln ist der Unterschied zum EU-Rechtsbestand zu groß, oder die Verwaltung ist noch nicht ausreichend in der Lage, die Anforderungen umzusetzen. Doch es gibt auch Bestimmungen aus dem Stabilisierungsabkommen, die Kroatien noch nicht erfüllt hat. Bei all diesen Kapiteln muss Kroatien klare Vorschläge unterbreiten.“

Doch mit Vorschlägen allein ist es nicht getan, wie etwa das Kapitel Sicherheit zeigt. Vincent Degert:

„Kroatien hat 189 Grenzübergänge; wir müssen zunächst wissen, welche Grenzübergänge werden international sein und welche werden nur dem kleinen Grenzverkehr dienen. Dann müssen wir entscheiden, wie diese Übergänge effizient gestaltet werden können. So müssen die internationalen Übergänge etwa mit Geräten ausgestattet werden, die Nummerntafeln und die Pässe lesen können. Zwei Übergänge wurden bereits mit Lesegeräten ausgestattet, doch noch dreißig gilt es auszustatten. Doch das braucht natürlich Zeit.“

Viel Zeit brauchen auch der Kampf gegen Korruption, die Reform der Landwirtschaft, der Justiz oder die Restrukturierung der Schiffswerften und Eisenbahnen. Um Kroatien zu helfen, stellt die EU pro Jahr 150 Millionen Euro zur Verfügung. Doch die Kroaten sind kaum über die Wohltaten aus Brüssel informiert; weit verbreitet ist dagegen die Angst vor einem Ausverkauf des Landes. Sie hat eine reale Grundlage, die der Vertreter der nationalistischen Partei HSP, Tonci Tadic, durch Beispiele belegt:

„Mehr als 90 Prozent der Banken sind im ausländischen Besitz; Ausländer kontrollieren die Energiepolitik über den ungarischen Ölkonzern MOL, der die INA kontrolliert, wobei die MOL wiederum der russischen Lukoil gehört. Auch die Telekommunikation kontrollieren ausländische internationale Firmen; gleiches wird der Eisenbahn demnächst widerfahren und der Hafen von Split gehört bereits einem russischen Eigentümer.“

90 Prozent des Warenverkehrs zwischen der EU und Kroatien sind bereits liberalisiert. Doch der Rest gibt Anlass zur Klage, wie Tadic betont:

„Für10 Prozent der Produktion, wo Kroatien konkurrenzfähiger ist als die EU, wurden Exportquoten aufgezwungen. Zu Beispiel können Eisenrohre ohne Schweißnaht nur mit einem Antidumping-Zoll von 25 Prozent in die EU eingeführt werden. Für Fische bestehen sehr niedrige Quoten, gleiches gilt für Milch und Milchprodukte, Öl und Wein.“

Diese Quoten haben EU-Staaten in Brüssel durchgesetzt; doch politischer Druck gegenüber Kroatien beschränkt sich nicht nur auf Quoten; seine Folgen erläutert in Zagreb der Meinungsforscher Milan Bagic:

„Mitglieder der EU nutzen die Europäische Union als Köder, um die Politik in Kroatien zu beeinflussen. Gerade das hat bei den Wählern zu einer negativen Haltung zum Beitritt geführt. Hinzu kommt, dass die EU nicht mehr als exklusiver Klub wahrgenommen wird. Oft kann man hören, dass es nicht akzeptabel ist, dass Rumänien und Bulgarien aufgenommen wurden; denn die Mehrheit der Kroaten betrachten diese beiden Länder als viel weniger entwickelt als Kroatien, was Wirtschaft, Gesellschaft und Infrastruktur betrifft.“

Der Eindruck, besser zu sein, aber von der EU schlechter behandelt zu werden, wird noch durch weitere Argumente genährt, die der Philosoph Zarko Puhovski so formuliert:

„Tatsache ist, dass die Slowakei EU-Mitglied ist, obwohl ihr soziales und wirtschaftliches Niveau weiter unter dem von Kroatien liegt; Tatsache ist, dass die baltischen Staaten aufgenommen wurden, deren Minderheitenpolitik gegenüber den Russen schlechter ist als die der Kroaten gegenüber den Serben. Mit anderen Worten, die Wertegemeinschaft als Ordnungsprinzip der EU, hat sich nicht verwirklicht. Das hat jene Linken und Liberalen, in den vergangenen Jahren bitter enttäuscht, die die EU unterstützt haben.“

Hinzu kommt, dass Kroatien gerade mit den EU-Staaten Italien und Slowenien die größten Probleme hat. Bei Italien geht es um Fischfang und Ansprüche von Italienern, die nach 1945 vertrieben wurden. Mit Slowenien sind die Grenzen ebenso ungeklärt wie die Ansprüche kroatischer Sparer gegenüber der Ljublanska Banka. In beiden Fällen benutzt Slowenien seine EU-Mitgliedschaft als Druckmittel, und das wirkt sich natürlich auf die Beziehungen zu Zagreb aus. Dazu sagt der Philosoph Zarko Puhovski:

„Es ist paradox, dass Kroatien heute mit Serbien viel besser zusammenarbeitet als mit Slowenien. Kroatien hat heute mehr offene politische Fragen wegen 3,5 Quadratkilometer Seegrenze mit Slowenien, mit dem Kroatien verbündet war als mit Serbien, mit dem es noch vor nicht langer Zeit Krieg geführt hat.“

Doch gerade Serbien und die übrigen Staaten des ehemaligen Jugoslawien könnten das entscheidende Argument für die EU sein. Denn der Wunsch, sich vom Balkan zu lösen, ist unter den Kroaten sehr stark; außerdem fehlt eine brauchbare Alternative zum EU-Beitritt, wie Tonci Tadic, von der nationalistischen Partei HSP einräumt:

„Unsere Position ist „Ja Aber“, weil Kroatien hat nicht viele Alternativen zum Beitritt; denn das hieße am Westbalkan als einem Experimentierfeld zu verbleiben, wo Kroatien gerade ein Protektorat der Europäischen Union wäre. Das ist keine Position, die ich Kroatien je wünschen kann.“

Daher könnte schließlich doch eine Mehrheit für die EU stimmen, wenn die Regierung entsprechende Aufklärungsarbeit leistet, und wenn Kroatien vor Serbien beitreten kann; diesen Faktor erläutert der Philosoph Zarko Puhovski so:

„Vom Standpunkt kroatischer Nationalisten aus wäre nur tragisch, wenn Kroatien gemeinsam mit Serbien in die EU aufgenommen würde. Dann fehlte die Befriedigung, dass einige Jahre eine EU-Außengrenze zwischen Kroatien und Serien besteht, die Kroaten scharf bewachen und behaupten können, dass sie die EU schützen, wie sie ja stets behauptet haben, ein Schutzwall der Christenheit zu sein. So machen das jetzt die Slowenen an ihrer Grenze 25 Kilometer von Zagreb entfernt. Wenn sie es für nötig halten, führen sie Schikanen bei den Kontrollen ein und behaupten, sie schützen die EU.“

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