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Stand der Reformen in Kroatien

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Berichte Kroatien
Mitte März hat die EU die Beitrittsverhandlungen mit Kroatien verschoben, weil der Fall des mutmaßlichen Kriegsverbrechers General Ante Gotovina noch nicht gelöst ist. Seither hat sich Kroatien sehr bemüht, das Haager Tribunal und die EU zu überzeugen, dass es auch bei diesem letzten noch offenen Fall voll mit dem Tribunal zusammenarbeitet. Ob dieses Bemühen noch im Juni durch die Aufnahme von Beitrittsgesprächen belohnt wird, ist offen. Sicher ist jedoch, dass die Regierung in Zagreb noch viele und auch weit schwierigere innenpolitische Reformenaufgaben zu lösen hat, um Kroatien EU-reif zu machen. Über diese Aufgaben hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz mit kroatischen Fachleuten gesprochen und folgenden Bericht gestaltet:

Die Reform der Justiz, der öffentlichen Verwaltung, der Sozialpolitik und die Stärkung des privaten Sektors sind die wichtigsten Herausforderungen, die Kroatien auf dem Weg Richtung EU zu bewältigen hat. So sind etwa 1,6 Millionen offene Fälle bei den Gerichten anhängig, deren Ruf durch Langsamkeit und Korruptionsvorwürfe ebenfalls belastet ist. Zu verbessern gilt es auch die Bereitschaft der Richter zur Fortbildung sowie die Ausstattung der Gerichte, wie Ivo Josipovic, Professor an der Juristischen Fakultät in Zagreb erläutert:

„Es gibt zu viele Gerichte, wo die Richter keine entsprechenden Räumlichkeiten geschweige denn Computer haben. Schließlich müssen diese Leute auch an den Computern ausgebildet werden, daher ist es mit dem Kauf allein nicht getan, sondern das ist auch eine Frage der geistigen Einstellung zur Arbeit mit dieser Technologie.“

Technische Fortschritte hat das Gerichtswesen mit der Einführung des elektronischen Grundbuches erzielt, mit der in Kroatien nun begonnen wurde. Verbessert werden damit Rechtssicherheit und Effizienz der öffentlichen Verwaltung, die ein weiteres großes Problem darstellt. Sieben Prozent der 4,4 Millionen Kroaten sind im öffentlichen Sektor tätig. Für sie muss der Staat 17 Prozent seiner Wirtschaftsleistung aufwenden, in der EU sind es im Durchschnitt nur acht Prozent. Zu kämpfen hat Kroatien aber auch damit, dass insgesamt 1,4 Millionen Erwerbstätige bereits 1,1 Millionen Pensionisten gegenüberstehen. Dazu sagt die Chefökonomistin der Weltbank in Zagreb, Sanja Madzarevic-Sujster:

„Bereits jetzt werden die Pensionen hauptsächlich aus den allgemeinen Steuereinnahmen und nicht mehr aus den Beiträgen zur Pensionsversicherung finanziert, die nur mehr 60 Prozent der Gesamtausgaben für Pensionen decken. Das Problem liegt daher in der enormen Zahl der Pensionisten und darin, dass viele sehr jung sind.“

Mit Fachwissen und mit 1,5 Milliarden US-Dollar wird die Weltbank in den kommenden vier Jahren die Reformen in Kroatien unterstützen. Dazu zählt etwa die Umstrukturierung von Staatsbetrieben, wie der Eisenbahn, die binnen drei Jahren abgeschlossen sein soll. Doch schon im nächsten Jahr, werden in Kroatien auf der Schiene private Anbieter der Staatsbahn Konkurrenz machen können, die dafür noch schlecht gerüstet ist. Sanja Madzarevic-Sujster:

„Die Eisenbahn hat mit allen Nebengesellschaften etwa 22.000 Mitarbeiter. Doch auch das wäre nicht das Problem, wäre nicht die Produktivität der Eisenbahn die niedrigste in der Region. Bei einem Vergleich ist deren Produktivität sogar niedriger als die der Staatsbahnen in Armenien. Denn die Bahn verlor zu Beginn der 90-iger Jahre massiv am Verkehr, fand keine neuen Nischen und begann zu spät mit den Reformen.“

Zu kämpfen hat Kroatien auch damit dass viele offizielle Daten, etwa zur Arbeitslosigkeit, fragwürdig sind. Warum das so ist erläutert Sanja Madzarevic-Sujster von der Weltbank in Zagreb so:

„Die Schattenwirtschaft beträgt zwischen 20 und 30 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in Kroatien. Das stellt in Wirklichkeit alle anderen Daten in Frage; daher muss Kroatien sich dazu entschließen, sein Bruttoinlandsprodukt um die geschätzte Schattenwirtschaft zu korrigieren. Im Gegensatz dazu haben das die neuen EU-Mitglieder bereits getan.“

Zu den Vorteilen Kroatiens zählen der blühende Fremdenverkehr und gut ausgebildete technische Fachkräfte. Außerdem hat die Regierung die Gründung von Firmen durch eine Institution erleichtert, bei der alle bürokratischen Hürden praktisch auf ein Mal genommen werden können. Statt mehrerer Monate sollen Firmengründungen nun nur mehr 15 Tage dauern. Die Zeit drängt jedenfalls, denn im Standortwettbewerb wird für Kroatien die Konkurrenz nicht nur durch die neuen EU-Mitglieder immer größer, wie Sanja Madzarevic-Sujster betont:

„In Kroatien bestehen Fortschritte bei der Verbesserung des Investitionsklimas, doch die anderen Länder, sogar in Südosteuropa wandeln sich sehr schnell und diese Fortschritte sind viel schneller. Deshalb muss Kroatien über das Reformtempo und darüber besorgt sein, ob es nicht mittelfristig zusätzlich an Konkurrenzfähigkeit gegenüber Südosteuropa verliert.“

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