Die EU als Herausforderung für Kroatien
Fernsehen
ECO
Berichte Kroatien
Am 1. Juli tritt Kroatien als 28. Mitglied der Europäischen Union bei. Der Beitritt erfolgt zu einem offensichtlich ungünstigen Zeitpunkt. Nicht nur die EU, auch Kroatien selbst steckt in einer tiefen Krise stecken. Die kroatische Wirtschaft schrumpft seit 5 Jahren, in dieser Zeit ist die Arbeitslosenrate auf heute knapp 22 Prozent gestiegen ist. Rein formell hat Kroatien viele Voraussetzungen für den Beitritt erfüllt, wahrscheinlich ist jedoch, dass viele Sektoren der Wirtschaft dem massiven Wettbewerbsdruck aus der EU standhalten können. Was sind nun die wirtschaftlichen Stärken und Schwächen Kroatiens? Wie gut sind die Industrie-Unternehmen gerüstet? Wie steht es um Lohnkosten und Staatsverschuldung? Ein Bericht von unserem Balkan-Korrespondenten Christian Wehrschütz.
Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Kroatien
Insert1: Miroslav Dragicevic, kroatischer Tourismusexperte
Insert2: Ludwig Kocsis, Firma Leier, Varazdin
Insert3: Jakov Coric, Direktor der Firma Gala in Bjelovar
Insert4: Ljerka Puljic, Vizepräsidentin von Agrokor
Insert5: Ljerka Puljic, Vizepräsidentin von Agrokor
Insert6: Zdeslav Santic, Chefvolkswirt der Splitska Banka,
Gesamtlänge: 9,00
Das Land für einen Traumurlaub, das Land der tausend Inseln. Mit zeitloser mediterraner Schönheit wirbt Kroatien um Gäste aus aller Welt. Als Ferienland ist Kroatien auch in den Köpfen der Österreicher verankert. Sie werden ab erstem Juli an der Grenze eine eigene Fahrspur für EU-Bürger nutzen können und nur mehr Pass oder Personalausweis vorzeigen müssen: Die Zollkontrollen fallen durch den EU-Beitritt weg. Der Tourismus macht knapp ein Fünftel der gesamten kroatischen Wirtschaftsleistung aus. Doch so wichtig er ist, so groß sind seine Schwächen:
„Beim Gesamtangebot machen Hotels nicht mehr als 30 Prozent aus; mehr als 50 Prozent sind kleine Pensionen mit Gästezimmern und Campingplätze. Diese Bettenstruktur hat sich in den vergangenen 20 Jahren kaum geändert. Kroatien ist unfähig gewesen, neue Produkte anzubieten, damit jemand auch außerhalb der Haupt-Bade-Saison kommt, die zwei, drei Monate dauert. Der EU-Beitritt kann hier eine positive Veränderung bewirken - und zwar durch EU-Fonds, zu denen Kroatien nun Zugang hat.“
Kroatien kann aus der EU bis 2020 mit einem Geldregen von 20 Milliarden Euro rechnen, doch nur, wenn entsprechende Projekte vorgelegt werden. Die waren bisher Mangelware. Kroatien konnte nur ein Drittel der Mittel nutzen, die Brüssel für die Vorbereitung auf den Betritt bereitgestellt hatte.
Schwäche Nummer eins also: die Vorbereitung auf die EU: Versäumt hat es die Regierung, ausreichend EU-Experten in der heimischen Verwaltung auszubilden, die komplexe Projekte abwickeln können. Und dazu kommen weitere Schwächen:
(Graphik 1) Schwächen Kroatiens
Ineffiziente Justiz und Verwaltung
Geringe Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe
Hohe Lohnkosten, hohe Steuern
Extrem hoher Pensionisten-Anteil
Was für Kroatien als Wirtschaftsland spricht: Da wäre einmal das gute Straßennetz. Und noch weitere Stärken:
(Graphik 2) Stärken
Tourismus als Wirtschaftsmotor
Stabiles Finanzsystem
Stabile Währung, der Kuna.
Ausgebildete Arbeitskräfte
Das aktuell größte Problem ist jedoch die Wirtschaftskrise. Seit fünf Jahren schrumpft die Wirtschaft. Jeder fünfte Kroate ist arbeitslos. Die Kaufkraft ist zwar höher als in den EU-Staaten Bulgarien und Rumänien, erreicht aber nur knapp ein Viertel des Niveaus in Österreich. Die Staatsverschuldung ist zwar leicht rückläufig; mit 45 Milliarden Euro liegt sie aber bei mehr als hundert Prozent der Wirtschaftsleistung
Die schon lange andauernde Krise spüren auch österreichische Firmen in Kroatien. Dumpingpreise der Konkurrenz, das Ausbleiben öffentlicher Aufträge und die geringe private Nachfrage trugen dazu bei, dass dieses Ziegelwerk der burgenländischen Firma Leier in Varazdin im Vorjahr fünf Monate stillgestanden hat. Und wer gekauft hat, hat schleppend gezahlt. Die Zahlungsmoral macht den Betrieben echte Sorgen.
„Die ist hier in Kroatien ganz schlecht. 30 Tage hält sowieso niemand ein; wir haben Zahlungsziele von drei Monaten, sechs Monaten und das größte Problem ist, dass wir Geld bekommen, weil ein Großteil der Geschäfte werden kompensiert, das stellt für die Firmen generell ein sehr großes Problem dar.“
Für den EU-Beitritt gerüstet ist dieses Unternehmen. Die Hennen von Gala legen täglich 140.000 Eier, und die Firma zählt zu den drei größten Produzenten in Kroatien. Vor wenigen Jahren waren die Käfige zu klein und entsprachen nicht den EU-Standards. Mit Geld aus Brüssel wurden die Stallungen der Hennen verbessert, durch größere Käfige, eine Stange zum Sitzen und ein Nest zum Eierlegen. Angepasst wurden auch die Umweltstandards:
„Wir mussten ein großes Gebäude für die Lagerung von Stallmist errichten, inklusive von Tunneln, um den Mist zu trocknen. Ihm entziehen wir so mehr als 80 Prozent Feuchtigkeit. Dadurch stinkt nichts und es gibt keine Belastungen der Umwelt. Wir haben die EU-Standards erfüllt.“
Exportchancen sieht der Firmenchef kaum; dazu sei der Betrieb im europäischen Maßstab zu klein. Das gilt auch für die Landwirtschaft generell. Mit fünf bis sechs Hektar im Durchschnitt sind die Betriebe zu klein. Und eine starke Landwirtschaftskammer fehlt, die den 100.000 Bauern beim Ausfüllen von EU-Förderanträgen zur Hand gehen könnte…
Die große Ausnahme heißt Agrokor. Der im Privatbesitz befindliche Agrar-Konzern verarbeitet 350.000 Schweine pro Jahr und bewirtschaftet 40.000 Hektar Fläche. Agrokor ist damit mehr als 10 Mal so groß wie der größte Agrar-Betrieb in Österreich. Auch die Handelskette Konzum gehört zum Konzern, der nicht nur am gesamten Balkan, sondern bereits auch in der EU präsent ist:
„Global gesehen liegt unser Export bei etwa drei Prozent, wobei wir unser Mineralwasser Jana in mehr als 20 Länder exportieren. Das mag ein symbolischer Wert sein, doch wir rechnen mit einem Wachstumspotential. Während in Südosteuropa die Krise lange dauert, haben Tschechien, die Slowakei und Polen sehr rasch wieder Wirtschaftswachstum erreicht, und sind noch keine gesättigten Märkte. In diese Märkte investieren wir.“
Agrokor ist nach Ansicht der Managerin EU-reif, nicht aber die gesamte kroatische Wirtschaft:
„Der Anpassungsschock wird nicht über Nacht kommen; doch binnen Jahresfrist wird ein Teil der Produzenten der neuen Konkurrenz nicht standhalten können. Einige Firmen werden verschwinden, andere werden sich zusammenschließen müssen, einige werden ihre Rettung im Osten suchen. Man schätzt, dass 20 Prozent zusperren oder sich umstrukturieren müssen – vor allem in der Industrie.“
Zusammengefasst die Risiken, die der EU-Beitritt mit sich bringt..:
(Grafik 3) Risiken
Massiver Wettbewerbsdruck
Noch höhere Arbeitslosigkeit
Exportprobleme durch Euro-Krise
Also viele Erschwernisse durch den Beitritt. Dazu kommen neue Zollschranken mit Serbien und Bosnien, weil Kroatien die Freihandelszone CEFTA verlassen muss. Doch auf sie entfällt derzeit ein Fünftel der kroatischen Exporte. Große Unternehmen haben schon reagiert, sie sind bereits mit eigenen Betrieben in den CFETA-Ländern präsent. Andere verlagern gerade die Produktion. Ein Rettungsversuch für die Betriebe, aber eine kleine Katastrophe für den kroatischen Arbeitsmarkt. Arbeitsplätze gehen verloren. Generell droht ein Verlust an Umsätzen in Bosnien und Serbien, der durch den Zugang zum großen EU-Markt nicht leicht wettzumachen sein wird:
„Die Nachfrage auf den europäischen Märkten ist weiter ziemlich schwach, und in der Euro-Zone wird die Arbeitslosigkeit heuer und nächstes Jahr wahrscheinlich weiter steigen. Damit wird es für kroatische Produzenten sehr schwer sein, neue Märkte zu finden. Konkret sind bei uns die Produktionskosten deutlich stärker gewachsen als bei unseren wichtigen Handelspartnern. Das wird dazu führen, dass wir mit unseren relativ hohen Preisen schwer verkaufen werden können, wenn der Kurs unserer Währung stabil bleibt.“
Kroatien ist neues EU-Mitglied. Doch ist Kroatiens Wirtschaft reif für die EU? Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Jedenfalls stehen den wenigen Stärken viele Schwächen gegenüber. Doch Kroatien tröstet sich: Selbst langjährige Mitgliedsländer erfüllen nicht alle Standards, und so reif wie Bulgarien, Rumänien und Griechenland hält sich Kroatien allemal. Doch schöne Autobahnen reichen nicht aus. Für die lange versäumten Strukturreformen wird Kroatien einen hohen Preis bezahlen müssen. Dem Land steht ein schmerzlicher Anpassungsprozess bevor.