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Kroatiens Wirtschaft auf dem Weg Richtung EU

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Berichte Kroatien


Ende Juni jubelte die politische Führung in Kroatien. Denn nach fast sechs Jahren kam aus Brüssel die erlösende Nachricht, dass die Beitrittsverhandlungen mit der EU nunmehr abgeschlossen sind. Zu den größten Stolpersteinen zählten die Kapitel, die staatliche Subventionen, den Wettbewerb, den Kampf gegen Korruption und die Reform der Justiz betroffen hatte. Formell hat nun Kroatien alle nötigen Institutionen gebildet und Gesetze beschlossen, die Brüssel eingefordert hat. Doch auf den rauen Wettbewerb, der nach dem formellen Beitritt im Sommer 2013, wehen wird, ist die kroatische Wirtschaft bisher kaum vorbereitet. Die Industrie ist unterentwickelt, international bekannte Marken gibt es kaum, und 98 Prozent der 88.000 Betriebe sind Klein- und Mittelbetriebe, die noch immer unter der massiven Wirtschaftskrise leiden. Hinzu kam im Vorjahr ein Budgetdefizit von 4,7 Prozent. Umso mehr hofft Kroatien denn auch auf eine gute Tourismussaison, um endlich aus der Krise herauszukommen.

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz

Kamera: Vjekoslav Pavelka Ton: Davor Zrilic

Schnitt: Mica Vasiljevic

Inserts:

Miroslav Dragicevic, Tourismus-Experte in Zagreb

Christian Brawenz, Österreichischer Landwirtschaftsattaché

Grete Gavrilovic, Unternehmerin in Kroatien

Roman Rauch, Handelsdelegierter in Kroatien

Roman Rauch, Handelsdelegierter in Kroatien

Jadranka Kosor, Ministerpräsidentin Kroatien

Ludwig Kocsis, Geschäftsführer

Gesamtlänge:

Mit großem Aufwand wirbt Kroatien dieses Jahr um Gäste aus aller Herren Länder. „So schon, so nah“ – steht auf diesem Plakat, mit dem sogar auch in Serbien um einen Besuch Dubrovniks geworben wird. Eigentlich müsste 2011 eine gute Saison werden. Von der Krise in Nordafrika und von Vorbehalten gegenüber Griechenland könnten Kroatien und sein Arbeitsmarkt profitieren. Jeder fünfte Arbeitsplatz hängt am Tourismus,

Graphik Arbeitslosigkeit (höhere Zahl)

und die Arbeitslosigkeit zählt zu den großen Problemen Kroatiens. Nach einem ständigen Rückgang stieg sie durch die Krise wieder stark an; Ende 2010 waren etwa 300.000 Kroaten erwerbslos, und eine gute Saison soll zur Entspannung am Arbeitsmarkt beitragen.

Während die Tourismuseinnahmen 2009 und 2010 drastisch sanken, rechnet man heuer wieder mit mehr als sieben Milliarden Euro Einnahmen, das entspricht etwa 15 Prozent der Wirtschaftsleistung Kroatiens. Doch auch der Tourismus kämpft mit Strukturproblemen; es gibt zu wenige Hotels der Spitzenklasse, Ausbildung und Angebot sind vielfach nicht auf dem letzten Stand, und auch die Umweg-Rentabilität ist gering:

17’13 (20)

„Betrachtet man, was sich in der Steiermark, der Toskana oder der Provence tut, dann sieht man, dass der Tourismus ein Mittel ist, um die eigenen landwirtschaftlichen Erzeugnisse zu bewerben, die auch Ausdruck der Identität eines Landes sind. Hier steht Kroatien noch eine große Herausforderung bevor.“

Denn das Bild des prächtig sortierten Marktplatzes täuscht. International bekannte Marken gibt es so gut wie nicht, und bei der Mehrheit der Agrarprodukte ist Kroatien kein Selbstversorger. Zwar gewährte die EU gerade beim Kapitel Landwirtschaft Kroatien mehrjährige Übergangsfristen, doch dieser Zeitgewinn müsste auch genutzt werden, um aus Kleibauern lebensfähige Betriebe zu formen. Von den etwa 100.000 relevanten bäuerlichen Betrieben dürfte jedenfalls ein guter Teil nicht überleben:

11’37 (36)

„Wir können ungefähr davon ausgehen, dass 300 Betriebe, das sind die, mit denen wir jetzt als Österreicher schon in sehr aktivem Geschäftskontakt stehen, dass die wachsen werden, da werden noch einige Tausend dazu kommen, die werden größer werden, Durchschnittsgröße zwei Hektar, das muss man immer ins Gedächtnis rufen, damit ist kein Staat zu machen; dann wird es ungefähr 30.000 geben, die werden aufhören müssen, 30.000 werden sich entwickeln, und bei 30.000 wird man schauen, wie sich die arrangieren können.“

Auch die Lebensmittelindustrie zeigt die Schwäche der Landwirtschaft. So verarbeitet die Firma Gavrilovic, der älteste Familienbetrieb Kroatiens, etwa 10.000 Fleisch pro Jahr. Mehr als 80 Prozent davon werden importiert, weil in Kroatien ausreichende Mengen der geforderten Qualität nicht vorhanden sind. Vom EU-Beitritt erwartet sich das Ehepaar Gavrilovic vor allem den Wegfall von Stehzeiten an den Grenzen und den Zugang zum europäischen Markt, der bisher nur für Konserven offen ist:

15’24 (28)

„Das was wir als erstes exportieren wollen, sind die Spezialität, die Wintersalami, etwas, wofür wir berühmt und bekannt sind. Und da erhoffen wir uns schon einen größeren Markt, weil bis jetzt durften wir nicht in die EU, weil das ist ein Rohprodukt, eine Rohware.“

Die EU-Standards seien jedenfalls kein Problem, betont die gebürtige Wienerin:

11’37 (22)

„Wir haben jedes Jahr die EU-Kommission da, die Veterinäre aus der EU, die unseren Betrieb beurteilen, und wir sind da immer recht gut davon gekommen, als keine Beanstandungen oder nur sehr geringe.“

Gemeinden, Regionen und kleinere Betriebe haben dagegen weit größere Probleme mit den künftigen Vorschriften der EU. Zwar sollen mehr als 70 Prozent von Projektkosten durch Brüssel gefördert werden, doch bisher ist die Vorbereitung auf die neuen bürokratischen Herausforderungen nur lückenhaft:

2’46 (16)

„Das Erfüllen von EU-Vorschriften, die EU-Qualitätsanforderungen, Aufzeichnungsvorschriften, statistische Vorschriften, absolut noch nicht gewöhnt und müssen in den ca. zwei Jahren bis zum Beitritt das alles noch auf Schiene bekommen, und die Zeit wird schon sehr; sehr kurz dafür.“

Doch die kroatische Wirtschaft hat noch größere Probleme; So hat Kroatien im Verhältnis zu vergleichbaren Ländern Mittel- und Osteuropas den kleinsten Exportanteil an der gesamten Wirtschaftsleistung:

4’47 (29)

„Die industriellen Leibetriebe fehlen eigentlich. Das kroatische Geschäftsmodell in den vergangenen 15 Jahren seit Kriegsende war aufgebaut auf Kredit, auf Dienstleistung, Tourismus und Infrastruktur. Man hat die produzierende Industrie und das Gewerbe eigentlich total vernachlässigt – und jetzt zahlt man den Preis dafür, weil der Wirtschaftsaufschwung nur sehr langsam kommt, und man von der guten Situation in Österreich und in Deutschland nur sehr am Rande profitieren kann.“

Graphik BIP

Daher verläuft die wirtschaftliche Erholung viel langsamer als im EU-Durchschnitt. Das Bruttoinlandsprodukt sank sogar noch im ersten Quartal; ein leichtes Plus wird bis Jahresende erwartet, doch damit liegt Kroatien klar hinter EU-Ländern aus Mitteleuropa zurück

Die Krise spürt auch dieses Ziegelwerk im Raum Varazdin, das einem österreichischen Investor gehört und 50 Mitarbeiter beschäftigt. Die Bauwirtschaft ist um 25 Prozent zurückgegangen, und aus Mangel an Liquidität ist der Tauschhandel im Vormarsch. Vom EU-Beitritt erhofft sich die Firma auch einen faireren Wettbewerb:

5’31 (18)

„Als wir hier dieses Ziegelwerk gekauft haben, hat sich über Nacht – obwohl Alles gleich geblieben ist, der Gaspreis um zehn Prozent erhöht. Und wir dadurch auch in der heutigen Zeit noch an einem Wettbewerbsnachteil gegenüber unseren anderen Konkurrenten leiden.“

Hinzu kommt die Hoffnung auf weniger Bürokratie, denn Genehmigungen dauern oft mehr als ein Jahr. Fast sechs Jahre verhandelte Kroatien mit der EU; doch am 30. Juni konnte die Staatsführung bei einem Empfang in Zagreb endlich den Abschluss der Gespräche verkünden:

6’41:

„Heute ist ein Augenblick zum Feiern, um ein Glas Champagner zu trinken; doch bereits morgen müssen wir viel, entschlossen und mit Hingebung arbeiten.“

Das ist nur zu wahr; denn zum Ausruhen hat Kroatien keinen Grund; will man die Vorteile der EU nützen und im europäischen Wettbewerb bestehen können, haben viele Sektoren der kroatischen Wirtschaft noch einen harten Weg vor sich.

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