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Die Katholische Kirche vor dem Besuch des Papstes

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Berichte Kroatien
Es gibt wohl nur wenige Länder die ein Papst binnen weniger als 20 Jahren so oft besucht hat wie Kroatien. Drei Mal war Papst Johannes Paul II in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik und am ersten Juni-Wochenende wird nun auch sein Nachfolger, Benedikt XVI, Kroatien besuchen. Höhepunkt des Besuches wird die Heilige Messe auf der Pferderennbahn in Agram am Sonntag sein. 85 Prozent der Bevölkerung Kroatiens sind Katholiken, und der binnen zwei Jahren vorgesehene Beitritt Kroatiens zur EU wird auch das katholische Element in Europa stärken. Die Beitrittsverhandlungen mit Brüssel stehen vor dem Abschluss, und interessant wird daher auch sein, ob sich der Papst zur EU-Perspektive äußern wird. Nach Umfragen sind etwa 40 Prozent der Kroaten gegen die EU und auch im Klerus herrscht eine beträchtliche EU-Skepsis. Über die Bedeutung des bevorstehenden Papstbesuches und über die Lage der katholischen Kirchen in Kroatien hat unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz den folgenden Beitrag für die Orientierung gestaltet:

Berichtsinsert: Christian Wehrschütz aus Kroatien

Kamera Sascha Jelovic. Schnitt: Mica Vasiljevic

Insert1: Milan Bagic, Meinungsforscher

Insert2: Ivan Miklenic, Chefredakteur der Wochenzeitung „Stimme des Konzils“

Insert3: Don Ivan Grubisic, Pfarrer in Split

Insert4: Don Ivan Grubisic, Pfarrer in Split

Insert 5: Zarko Puhovski, Philosophieprofessor der Universität in Zagreb

Insert6: Ivan Miklenic, Chefredakteur der Wochenzeitung „Stimme des Konzils“

Gesamtlänge: 5´57

Immer stärker steht Kroatien im Zeichen des Papstbesuches je näher das große Ereignis rückt. Die Tribünen werden aufgebaut, und auch die ominösen Kanaldeckel sind zum Teil bereit versiegelt; nur die Renovierung der Kathedrale in Zagreb wird wohl nicht bis nächsten Samstag abgeschlossen sein.

Der Papst kommt in einer für Kroatien schwierigen und entscheidenden Zeit. Die Volksküchen der Kirche haben Hochbetrieb; die soziale Lage ist triste, und jeder Fünfte ist arbeitslos.

Zu Jahresbeginn entlud sich die große Unzufriedenheit in wochenlangen Demonstrationen gegen die konservative Regierung und die Politik an sich. Ihr größter Erfolg ist der bevorstehende Abschluss der EU-Beitrittsverhandlungen, die bereits fast sechs Jahre dauern. Doch die EU-Skepsis ist groß und daher kommt dem Besuch von Benedikt XVI durchaus auch europapolitische Bedeutung zu:

„Sollte der Papst allgemeine Botschaften zu Europa und zur Zusammenarbeit aussenden, so kann das vor allem für das Verhalten einiger Kirchenkreise wichtig sein. In der Kirche gibt es eine Reihe sehr konservativer Gruppen, von denen ein Teil gegen den EU-Beitritt Kroatiens ist. Eine Botschaft des Papstes könnte diese Gruppen verstummen lassen, und das würde der Regierung die EU-Referendumskampagne erleichtern.“

Ein klares Bekenntnis der Kirche zur EU ist jedenfalls nicht zu erwarten:

„Was die EU betrifft, so steht die Kirche auf dem Standpunkt, dass jeder Bürger nach seinem Gewissen entscheiden muss. Als Kirche werden wir keinesfalls ein Ja oder ein Nein empfehlen, sondern sagen: überlege und wähle das, was Du für das Bessere hältst!“

Die Angst vor Identitätsverlust sowie der Widerstand gegen die Säkularisierung generell und die Aufweichung der Ehe zählen zu den Gründen auch kirchlicher EU-Skepsis. Hinzu kommt die massive Kritik am Haager Tribunal. Die hohen Haftstrafen gegen zwei kroatische Generäle wegen der Vertreibung der serbischen Zivilbevölkerung wirkten Mitte April wie ein Schock.

Die Ablehnung der Urteile ging weit über konservative und nationalistische Gruppen hinaus, denn eine ganze Nation sah sich verurteilt und gedemütigt. Auch in der jüngsten Ausgabe der Kirchenzeitung „Stimme des Konzils“ schlug sich dieses Gefühl nieder. Einen Brief der Bischofskonferenz an die Gläubigen zum Papstbesuch fasste das Blatt zu folgender Schlagzeile zusammen:

„Während sie unsere Würde verletzt haben, will der Papst uns im Glauben stärken.“

In der dalmatischen Küstenstadt Split sitzt einer der wenigen Geistlichen, der mit dieser Schlagzeile öffentlich nicht einverstanden ist. (2´57) Don Ivan Grubisic gilt als Intellektueller und Linksabweichler in der Amtskirche; ihr wirft er nicht nur mangelnde Ökumene, sondern auch vor, sich der eigenen Vergangenheit zu wenig zu stellen:

„Es ist nicht wahr, dass der Krieg seinem Wesen nach verbrecherisch war, und das Volk hatte das Recht, besetzte Territorien zu befreien. Schuldig ist die damalige Regierung, die jene nicht zur Rechenschaft zog, die nach der Militäraktion Häuser niederbrannten. 600 Personen wurden ermordet. Die Kirche hätte das verurteilen und so weit möglich auch verhindern sollen.“

Kritisch sieht der 75-jährige auch den Papstbesuch:

„Vom Besuch von Benedikt XIV erwarte ich mir nichts. Sein Vorgänger Karol Wojtyla war drei Mal in Kroatien und hier geht alles immer mehr bergab. Selbst wenn Gott vom Himmel herabsteigen sollte wird er nichts ändern können, wenn wir in Kroatien nicht unsere Denkweise ändern.“

Bei seinen Gottesdiensten hat der streitbare Priester an Sonntagen großen Zulauf. …

Noch kennt die katholische Kirche keinen Priestermangel und der Statistik nach ist Kroatien ein katholisches Land:

„Nominell sind 85 Prozent Katholiken. Doch die Realität zeigt sich daran, wie sich die Menschen im Krieg oder bei der Privatisierung benommen haben. “Du sollst nicht stehlen!“ ist eines der zehn Gebote, doch das hat die vielen Katholiken nicht beeinflusst, die mit gleicher Freude gestohlen haben wie frühere Kommunisten. Anders gesagt – ich glaube das der Unterschied zwischen Gläubigen und Taufscheinkatholiken dramatisch ist, doch das wahre Ausmaß kennen nur die Priester, und die schweigen.“

Enorm ist die Teilnahme am Religionsunterricht; in höheren Klassen soll auch sozialer und kirchlicher Druck im Spiel sein, doch der Vorwurf ließ sich nicht beweisen. Mit dem Ergebnis selbst ist die Kirche jedoch nicht wirklich zufrieden:

„Wir können nicht sagen, dass dieser Unterricht wirklich Gläubige hervorbringt. Uns wird daher immer bewusster, dass wir wieder an der Katechese in den Pfarren arbeiten müssen, damit Menschen den Glauben auch praktizieren, beten, zur Messe gehen und auch karitativ tätig sind.“

Mit fast 35 Millionen Euro finanziert der Staat die katholische Kirche in diesem Jahr. Und jüngst vereinbarten Ministerpräsidentin Jadranka Kosor und der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Marin Srakic, dass der Staat auch die Personalkosten in katholischen Privatschulen übernimmt. Spätestens im März stehen Wahlen bevor; die Regierung muss enttäuschte konservative Stammwähler zurückholen; eine erfolgreiche Tourismussaison soll ebenso zur Trendwende beitragen wie der Papst, der am Samstag in Kroatien erwartet wird.

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