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Kosovo nach dem Erdrutschsieg

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Berichte Kosovo

Jubelnd zogen Sonntag am Abend die Anhänger von Albin Kurti durch die Straßen von Pristina; seine Partei Vetvendosje konnte ihre Sitze im Parlament von bisher 29 auf mehr als 50 fast verdoppeln. Im Parlament mit seinen 120 Sitzen hat Vetevendosje nun mehr Mandate als alle drei traditionellen Albaner-Parteien zusammen; das zeigen übereinstimmend alle Nachwahlbefragungen; ein vorläufiges Endergebnis liegt im Kosovo noch nicht vor. An den Feiern seiner Anhänger nahm Kurti wegen der Corona-Pandemie nicht teil. Bei einer Pressekonferenz in der Wahlnacht gab es sich staatstragend: „Ich danke allen politischen Gegnern für den fairen Wettbewerb und wünsche ihnen eine erfolgreiche Reform; unser Staat braucht eine fähige Opposition, die den Staat kontrolliert.“

Keine Priorität haben für Kurti die Verhandlungen mi Serbien über die Normalisierung der Beziehungen, die zu einer Anerkennung des Kosovo durch Belgrad führen soll. Diese Haltung entspricht nach Umfragen der Stimmung der Bevölkerung, für die soziale Fragen und der Kampf gegen die Korruption im Vordergrund stehen. Doch das Thema Serbien läßt sich sehr rasch emotionalisieren; außerdem ist in und zwischen den Parteien umstritten, wie eine derartige Normalisierung zu erreichen ist. Belgrad und damit Präsident Alexander Vucic bleiben im Kosovo jedenfalls ein politischer Faktor. 20 Sitze im Parlament sind für nationale Minderheiten reserviert; 10 entfallen auch zahlenmäßig sehr kleine Volksgruppen, weitere 10 auf die Serben. Ihre von Vucic kontrollierte „Serbische Liste“ gewann all diese zehn Sitze.

Die Wähler haben Kurti einen klaren Auftrag erteilt; eine Regierung kann er auch nur mit den Parteien der nationalen Minderheiten bilden. Mit den Serben will Kurti nicht koalieren, bleiben die übrigen zehn Abgeordneten; für eine Regierungsbildung würde das reichen. Doch der Kosovo hat derzeit mit Vjosa Osmani nur eine amtsführende Präsidentin; ob sie den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen kann, ist höchst umstritten. Kurtis Fahrplan sah vor der Wahl jedenfalls so aus:

"In den früheren Wahlen kämpften wir um den ersten Platz; jetzt ist das nicht genug. Wir brauchen eine Mehrheit von 61 Mandaten plus von insgesamt 120. Wir haben eine gemeinsame Liste mit der amtsführenden Präsidentin, Voja Osmani, Nach der Wahl wird sie mir den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen und ich werde im Parlament eine Mehrheit von 61 Sitzen erreichen. Doch bis 5. Mai müssen wir einen neuen Präsidenten wählen, der der amtierende sein sollte. Dazu brauchen wir ein Präsenzquorum von 80 Abgeordneten. Das wird nicht leicht, ist aber machbar. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jene Parteien, die die Wahlen verlieren, neuerlich wählen wollen, um sogar mehr zu verlieren."

Doch nach derzeitigem Stand haben Kurti und Osmani diese absolute Mehrheit von 61 Sitzen nicht erreicht; ob Kurtis Partnerin daher Präsidentin werden wird, ist noch aus einem anderen Grund fraglich. Denn im Kosovo ist rechtlich umstritten, ob ein amtsführender Präsident den Auftrag zur Regierungsbildung erteilen kann. Kurti sagt ja, die meisten anderen Albaner-Parteien Nein. Nein sagt auch Enver Hasani, der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofes. In der Verfassung steht darüber nichts, doch der Gerichtshof hat dazu bereits ein Grundsatzurteil erlassen, das Hasani so erläutert:

„Wir haben festgelegt, dass der amtsführende Präsident Tagesgeschäfte erledigen kann. Aber er kann weder Begnadigungen aussprechen und Botschafter oder Richter ernennen. Mit anderen Worten, die Ernennung des neuen Regierungschefs hat nichts mit der täglichen Arbeit zu tun, sondern damit ist eine verfassungsrechtliche Frage der Legitimierung von Organen wie nach der gestrigen Wahl verbunden. Nach der Rangfolge der Verfassungsorgane im Kosovo steht an erster Stelle das Parlament, dann kommt der Präsident und dann die Regierung.“

Möglicherweise könnten traditionelle Albaner-Parteien aber auch mit einem weiteren Gang zum Verfassungsgerichtshof Albin Kurti das Leben schwer machen. Wegen eine rechtskräftigen Verurteilung durfte er nicht für das Parlament kandidieren, entscheid dieser Gerichtshof. Möglich ist, dass mit dem Hinweis darauf, andere Parteien auch Kurtis Wahl zum Regierungschef bekämpfen könnten. Die Zeit drängt auf jeden Fall, weil das Mandat der amtsführenden Präsidentin am 5. Mai endet, ein neuer Präsident aber bereits bis Anfang April gewählt werden müsste. Kommt weder die Wahl eines Präsidenten noch eine Regierung zustand, droht im Kosovo ein verfassungsrechtliches Vakuum und damit eine Blockade der Institutionen.

Albin Kurt war bereits einmal für vier Monate Regierungschef; in Pristina geboren ist Kurti - der gut serbisch spricht - seit seiner Studentenzeit politisch aktiv. 1997 organisierte er Studentenproteste gegen die Unterdrückung der Albaner durch den serbischen Autokraten Slobodan Milosevic. Im April 1999, als der NATO-Krieg bereits begonnen hatte, verhaftete ihn die serbische Polizei; Kurti wurde in Serbien zu einer Haftstrafe von 15 Jahren verurteilt, kam aber im Dezember 2001 – ein Jahr nach Milosevics Sturz in Belgrad – auf Druck des Westens frei. Zurück im Kosovo gründete er die Bewegung „Vetevendosje“, die durch ihren Aktionismus rasch Aufmerksamkeit erregte; aus der Bewegung entstand dann die gleichnamige Partei. Der Kampf gegen die Korruption war stets ein wichtiges Element dieser Bewegung und auch ein zentrales Thema im Wahlkampf. Ob Kurti sein politisches Programm wird umsetzen können, ist derzeit unklar. Der 47-jährige Politiker hat zweifellos Charisma; ob er als starke politische Persönlichkeit auch kompetente und selbständig denkende Mitarbeiter neben sich dulden kann, und ob er team- und kompromissfähig ist, wird darüber mitentscheiden, ob Kurti die Hoffnungen viele Kosovo-Albaner auch tatsächlich erfüllen kann.

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