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Zwischen Belgrad und Brüssel: der Kosovo zehn Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung

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Kleine Zeitung
Berichte Kosovo

Es war ein ungeheurer Jubel, der vor zehn Jahren, am 17. Februar 2008, in den Straßen von Pristina und in anderen Städten des Kosovo herrschte. Das Geschäft ihres Lebens machten fliegende Händler; Fahnen des Kosovo, die albanische Flagge sowie Fahnen der USA fanden reißenden Absatz, schließlich feierte die albanische Mehrheitsbevölkerung die Loslösung von Serbien, die nun, neun Jahre nach dem Ende des NATO-Krieges, auch offiziell verkündet wurde. Weitere zehn Jahre später, im Februar 2018, ist der Jubel von damals zweifellos einer beträchtlichen Ernüchterung gewichen. Ein Grund dafür ist die weiter schwierige soziale und wirtschaftliche Lage des Kosovo; trotz eines Wirtschaftswachstums von vier Prozent im Vorjahr und einer niedrigen Inflationsrate, beträgt die Arbeitslosenrate noch immer etwa 30 Prozent. Wie wenig im Kosovo mit seinen geschätzten 1,8 Millionen Einwohnern produziert wird, zeigen zwei Zahlen: 60 Prozent der Budgeteinnahmen entfielen 2016 auf Zölle, die Überweisungen von Auslandsalbanern werden auf 17 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung des Landes geschätzt; das Außenhandelsdefizit ist groß, auch, weil ausländische Direktinvestitionen bisher gering sind. Ein Grund dafür sind, Korruption, Bürokratie und organisierte Kriminalität, ein Faktum, das auch der EU kein gutes Zeugnis ausstellt, die seit zehn Jahren mit der eigenen Justizmission EULEX im Kosovo präsent ist. EULEX geriet jüngst durch Korruptionsvorwürfe aus den eigenen Reihen in die Schlagzeilen, ihr Image bei vielen Kosovaren ist einfach nur negativ, trotz klarer Erfolge beim Aufbau von Polizei und Zoll.

Die negative Wechselwirkung zwischen EU und lokaler politischer Elite ist ein weiter Grund für die Frustration vieler junger Menschen. Der Kosovo ist das einzige Land des Westbalkan, für den es noch keine Visa-Liberalisierung gibt. Formell hängt das daran, dass das Parlament in Pristina noch immer nicht das Grenzabkommen mit Montenegro ratifiziert hat, das 2015 in Wien unterzeichnet wurde. Diese Ratifizierung verhinderte mehr als zwei Jahre eine nationalistische Opposition – zum Schaden der eigenen Bevölkerung. Der Frust mit der EU wiederum hängt damit zusammen, dass 5 der 28 Mitglieder aus rein innenpolitischen Motiven (z.B.: Spanien) die Unabhängigkeit des Kosovo nach wie vor nicht anerkannt haben. Das erschwert nicht nur die EU-Annäherung, sondern auch den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität, weil der Kosovo zwar von 115 Staaten mittlerweile anerkannt wurde, nicht aber Vollmitglied in EUROPOL und INTERPOL sein kann. Außerdem ermöglichen diese Nicht-Anerkenner-Staaten  Serbien einerseits ein Doppelspiel in dieser Frage, erschweren es Serbien aber gleichzeitig, den insgesamt wohl unvermeidlichen Schritt zu tun; denn auf dem Weg Richtung EU fordert Brüssel nun klar eine umfassende Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo, was ohne Anerkennung unmöglich ist, was der deutsche Außenminister Siegmar Gabriel jüngst bei seinem Besuch in Pristina unmissverständlich betont hat.

Trotz dieser Probleme zählt die Entwicklung der Beziehungen zwischen Pristina und Belgrad zu den positiven Entwicklungen; der Dialog in Brüssel und die Umsetzung der Brüsseler Vereinbarung vom April 2013 machen – langsam aber doch – Fortschritte. Dazu zählt eine weitgehende Normalisierung an den sechs Grenzübergängen; zwar müssen Autofahrer mit kosovarischen Kennzeichen, diese bei der Einreise nach Serbien weiter durch befristete Autonummern ersetzen, weil Belgrad die Unabhängigkeit nicht anerkennt; trotzdem haben sich Verkehr und Handel normalisiert und Autos mit serbischen Kennzeichen sind vielfach im Kosovo anzutreffen.  Fortschritte machte in den zehn Jahren auch die Integration des serbisch dominierten Nordens in den kosovarischen Staat, von der Kontrolle der beiden Grenzübergänge durch die Kosovo-Polizei bis hin zur Integration serbischer Polizisten und Richter in das Justizsystem des Kosovo. Offen bleibt noch die Bildung eines Verbands der serbischen Gemeinden, der zwischen Belgrad und Pristina weiter umstritten ist.

Wirklich normalisiert hat sich das Leben in den serbischen Enklaven, wie etwa in der Gemeinde Stripce, im Grenzgebiet zu Mazedonien. Dort leben etwa 10.000 Serben und 3.000 Albaner; das Zusammenleben funktioniert, obwohl die Serben nicht albanisch und die Albaner nicht mehr serbisch lernen; die Umgangssprache ist häufig englisch – was den lange von der EU proklamierten multiethnischen Charakter des Kosovo auf die zweisprachigen Aufschriften auf die Zigarettenschachteln und die Verfassung reduziert, nach der Albanisch und Serbisch Staatssprachen sind. Das zur Gemeinde Strpce zählende Skigebiet Brezovica zeigt die Licht- und Schattenseiten der Realität; einerseits tummeln sich dort serbische und albanische Skifahrer friedlich nebeneinander, anderseits wurde bisher nichts in die Erneuerung der Lifte und Hotels investiert, weil die Eigentumsfrage zwischen dem Kosovo und Serbien umstritten ist.    

Dass der Einfluss Serbiens auf den Kosovo weiter groß ist, dafür sorgen die knappen Mehrheitsverhältnisse im Parlament in Pristina. Die Mehrparteienkoalition unter Ministerpräsident Ramush Haradinaj hat nur dank der Stimmen der zehn Abgeordneten der „Serbischen Liste“ eine hauchdünne Mehrheit, die stark von Belgrad kontrolliert wird. Nach dem Willen der EU soll die Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden Staaten durch einen schriftlichen Vertrag bis Ende 2019 abgeschlossen sein. Ob der Zeitplan hält, bleibt abzuwarten. Für neue Spannungen könnte das 2017 in Den Haag gegründete Sondergericht sorgen, das sich praktisch nur mit Verbrechen der albanischen Befreiungsbewegung UCK im Kosovo-Krieg des Jahres 1999 befassen soll. Werden hochrangige Kosovo-Albaner zur „Unzeit“ angeklagt, könnte das neuerlich die Normalisierung der Beziehungen zu Serbien erschweren, in dem bisher keine öffentliche Aufarbeitung der Verbrechen stattgefunden hat, die auch im Kosovo verübt worden sind.   

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