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Interview mit Ministerpräsident Mustafa zur Krise im Kosovo

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Am 17. Februar 2008 erklärte der Kosovo seine Unabhängigkeit von Serbien. Damals jubelten 100.000 Albaner und hofften auf eine bessere Zukunft. Acht Jahre später steckt das jüngste Land Europas mit seinen zwei Millionen Einwohnern in seiner wohl tiefsten Krise seit der Unabhängigkeit. Für den Jahrestag hat die Opposition neue Massendemonstrationen gegen die Regierung angekündigt. Gewalt gab es auch im Parlament, wo die Opposition auch mit dem Einsatz von Tränengas Sitzungen blockierte. Ungewiss ist daher auch, ob die Wahl eines neuen Staatspräsidenten im Parlament bis Anfang März erfolgen kann; andererseits ist der Kosovo auch von der Flüchtlingskrise in Europa betroffen. Über all diese Themen hat in Pristina unser Balkan-Korrespondent Christian Wehrschütz mit Ministerpräsident Isa Mustafa gesprochen; hier sein Bericht:

Vor der massiven Flüchtlings- und Migrationsbewegung aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und anderen Ländern dieser Welt zählten Kosovaren zur größten Gruppe von Asylwerbern in Deutschland und anderen Staaten der EU. Diese Menschen verließen den Kosovo vor allem auf der Suche nach einem besseren Leben und reisten illegal in die EU ein; nun werden sie konsequent und rasch in den Kosovo zurückgeschickt; allein im Vorjahr waren es bereits 20.000. Das erschwert die soziale Lage des Kosovo zusätzlich, wo jeder zweite Bewohner jünger ist als 26 Jahre; viele Familien sind auf Überweisungen von Auslands-Kosovaren angewiesen, die Regierungschef Isa Mustafa auf 500 Millionen Euro pro Jahr schätzt; zu den sozialen Folgen der Abschiebungen aus der EU sagt Isa Mustafa:

"Das kann ein Problem sein; wir sollten uns stärker entwickeln, neue Arbeitsplätze schaffen und auch die Geldüberweisungen der Diaspora ausnützen, nicht nur für den Konsum, sondern auch für Investitionen, damit wir neue Arbeitsplätze schaffen können. Bis zu 25.000 Personen strömen jährlich neu auf den Arbeitsmarkt; daher brauchen wir ein Wirtschaftswachstum von sechs bis sieben Prozent, damit unsere Beschäftigung pro Jahr um 5 Prozent steigt, um den Zustrom neuer Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt absorbieren zu können, um die Arbeitslosigkeit zu stabilisieren."

Mustafa schätzt die reale Arbeitslosigkeit auf etwa 30 Prozent; bei Frauen und Jugendlichen sei sie höher. Verschärft werden die sozialen Probleme noch durch Korruption und eine schlechte Justiz, die abschreckend auf ausländische Investoren wirkt. Die unter Kosovoren weit verbreitete Unzufriedenheit schürt die Opposition. Formale Gründe sind der Widerstand gegen die Bildung eines Verbands der serbischen Gemeinden sowie die Demarkation der Grenze mit Montenegro. Von der Opposition fordert Mustafa:

"Auf Gewalt ist zu verzichten, denn Gewalt ist kein Argument, um Probleme zu lösen. Das gilt sowohl für die Frage der Stellung der serbischen Gemeinden wie auch für die Frage der Grenzziehung mit Montenegro. Auch über diese beiden Themen sind wir bereit mit der Opposition zu sprechen; denn Gewalt zerstört das Land und schafft somit Unsicherheit für Investoren und die weitere Entwicklung. Wir sind weiter gesprächsbereit mit der Opposition, doch Ultimaten und Gewalt sind kein geeignetes Mittel für eine Lösung."

Die Oppositionsforderung nach vorgezogenen Parlamentswahlen lehnt nicht nur die Regierung ab; auch große Staaten des Westens sind dagegen. Vom Parlament gewählt werden muss aber ein neuer Staatspräsident, denn die Amtszeit von Atifete Jahjaga endet am 6. April. Ihr Nachfolger muss spätestens bis 7. März gewählt werden; dazu sagt Isa Mustafa:

"Ich gehe davon aus, dass wir den Präsidenten in der von der Verfassung vorgesehenen Zeit wählen können. Ich denke, dass diese Wahl noch im Februar stattfinden wird. Wir werden die Opposition ersuchen, auf Gewalt im Parlament zu verzichten und wir versuchen auch Gewaltanwendung zu verhindern."

Ob das gelingt bleibt abzuwarten. Grundsätzlich positiv bewertet Regierungschef Isa Mustafa den Prozess der Normalisierung der Beziehungen zu Serbien. Fortschritte mache auch die Integration der Gemeinden mit serbischer Mehrheit; dominant seien weniger politische als vielmehr praktische Fragen; besser Schulen, Straßen und mehr Arbeitsplätze.



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