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Brennpunkt Nord-Kosovo

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Sieben Meter hoch ist das Metallkreuz, das die Serben im Nord-Kosovo in die Mitte der Landstraße einbetoniert haben, die von der Stadt Kosovska Mitrovica über die Stadt Leposavic zur Grenze mit Serbien führt. Das Kreuz markiert den Beginn der Straßensperre, die den Weg zum Grenzübergang Jarinje blockiert, den meist jugendliche serbische Gewalttäter vor einigen Tagen abgefackelt haben. Diesen Übergang kontrolliert nun die Friedenstruppe KFOR, die ihre Soldaten wegen der Blockade tagelang aus der Luft versorgen musste. Einige Meter hinter dem Kreuz in der Straßenmitte sitzen vor allem Serbinnen mittleren Alters auf Ziegelsteinen unter einem großen Sonnenschirm. Die Frauen bilden die erste Verteidigungslinie der Sperre, die auch Schotter und Baumstämme umfasst und eine Tiefe von mehreren hundert Metern aufweist.

Das Kreuz und die vielen weiblichen Demonstranten zeugen vom Verständnis für Medien und Propaganda der Organisatoren der Straßenproteste. Erhöht wird damit die Schranke für allfällige Räumkommandos der Friedenstruppe KFOR; denn welcher deutsche Kommandant oder welcher Vertreter der EU will schon Bilder um die Welt gehen sehen, auf denen westliche „Hunnen“ im „Solde“ albanischer „Separatisten“ islamischen Glaubens ein Kreuz umschneiden und Frauen angreifen, um die Bewegungsfreiheit im Kosovo durchzusetzen?

Zum Medienzeitalter zählt, dass selbst die Straßensperre im Nord-Kosovo über einen Pressesprecher verfügt; der Mann kümmert sich vor allem um ausländische Journalisten, denen großes Misstrauen entgegenschlägt, gerade wenn sie aus einem westlichen Land kommen. So dauert es denn auch einige Zeit, selbst wenn man des Serbischen mächtig ist, um eine Gesprächsbasis mit den Demonstranten zu schaffen. Doch dann fühlt man sich unter der Frauenschar fast wie ein Hahn im Korb, wobei natürlich die äußeren Umstände dagegen sprechen. Zur blockierenden Damenschaft zählt auch eine Krankenschwester mit kurzem brünettem Haar, die im serbischen Krankenhaus im nördlichen, serbischen Teil der Stadt Kosovska Mitrovica arbeitet. Seit sechs Uhr morgens sitzt sie an der Blockade, neben der Versorgung ihrer 14-jährigen Tochter derzeit quasi die Freizeitbeschäftigung. Die Frau vertritt durchaus gemäßigte Ansichten und ist schließlich sehr offen. Doch auch für sie ist es undenkbar, in einem albanisch dominierten Staat Kosovo zu leben. Ihr Nein formuliert die Krankenschwester so:

„Es kann nicht eine Seite alles bekommen, und der anderen bleibt nur die Frustration. Man kann auch nicht einfach ein Gebiet besetzen und sagen, von heute an heißt das anders, und uns interessiert das überhaupt nicht, dass ihr damit nicht einverstanden seid, ganz egal wie viele ihr seid. Ihr seid einfach ein Begleitschaden irgendeiner Weltpolitik.“

Zum Fundus der Argumentation aller demonstrierenden Serben im Norden des Kosovo zählt auch der Vorwurf der fehlenden Bewegungsfreiheit, sprich die Angst vor einer Reise in den Süden, in dem die Albaner dominieren. Diese Furcht hält der Realität zwar nur bedingt stand, doch die Erinnerungen an die Albaner-Unruhen und die Gewalttaten gegen die Kosovo-Serben im März 2004 sind noch viel zu frisch, um rationalen Argumenten und dem Hinweis zugänglich zu sein, dass bereits im Süden viele Autos mit serbischen Kennzeichen zu sehen sind. Ebenso völlig fehlt auch ein Unrechtsbewusstsein gegenüber den Albanern und den Verbrechen, die in der Ära des serbischen Autokraten Slobodan Milosevic begangen wurden. Verdrängung, Vergessen, Aufrechnen und das Bewusstsein, selbst jahrelang diskriminiert worden zu sein dominieren ebenso wie die Sorgen des Alltags, die erst gelöst werden müssen, soll ernsthafte Aufarbeitung der Geschichte möglich werden. Hinzu kommt noch das Gefühl, vom Westen, von den USA und der EU, ständig erpresst zu werden. Daher hat auch die Krankenschwester unter dem Sonnenschirm an der Straßensperre klare Vorbehalte gegen die EU, die sie so formuliert: „Diese enormen Forderungen, ihr müsst das und jenes tun, ihr müsst das so sehen, wie wir sagen, und das tun; dieser politische Druck stört mich.“

Wie die Bewohner sehr vieler Grenzgebiete sind auch die meisten Serben im Norden des Kosovo besonders nationalistisch gestimmt. Ein Indikator dafür sind die politischen Kräfteverhältnisse. Neben kriminellen Geschäftsleuten, die am „Tag“ ihr Serbentum hochleben lassen und in der „Nacht“ ihre Geschäfte mit albanischen Partnern abwickeln sind im Norden die ultranationalistischen Serben-Parteien noch immer sehr stark. Das sind die DSS des früheren Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica und die Serbisch-Radikale Partei unter Vojislav Seselj, der seit mehr als sieben Jahren in einer Zelle des Haager Tribunals sitzt. Beide Parteien sind in Belgrad nur mehr ein Schatten ihrer selbst, im Nord-Kosovo aber noch immer ein Faktor.

Der gemäßigt pro-westlichen Regierung in Belgrad ist es jedenfalls bis jetzt nicht gelungen, die politischen Kräfte im Norden des Kosovo, tatsächlich unter ihre Kontrolle zu bringen. Daher hatten die zwei Unterhändler aus Belgrad, der Minister für den Kosovo, Goran Bogdanovic, und der Chefunterhändler Borko Stefanovic, im Norden jedenfalls alle Hände voll zu tun, um die lokalen Serben zu einem Kompromiss mit der Friedenstruppe KFOR und damit mit EU und USA zu bewegen. Im Gegenzug hatten es EU und KFOR sichtlich schwer, die Regierung des Kosovo unter Ministerpräsident Hashim Thaci ins gemeinsame Boot zu holen. Diese bezeichnete noch in der Nacht den ausgehandelten Kompromiss als „inakzeptabel“, stimmt dann aber am Nachmittag - wohl nach entsprechender westlicher Überzeugungsarbeit – doch zu. Der Kompromiss sieht nun vor, dass die Serben ihre Straßensperren abbauen, und die KFOR bis Mitte September beide Grenzübergänge kontrollieren, die nur für den Personenverkehr, für humanitäre Güter und für Kleinlaster bis 3,5 Tonnen offen sind.

Bis Mitte September sollen Belgrad und Pristina im laufenden Dialog einen Kompromiss für ein Grenzregime finden. Gelingt das nicht, könnte die KFOR zwar ihre Kontrollen verlängern, doch auch der politische Druck würde dann immer größer werden. Denn in Serbien stehen bis April Parlamentswahlen bevor und im Kosovo besteht eine starke nationalistische und großalbanische Opposition, die massiv darauf drängt, dass Pristina nach mehr als drei Jahren Unabhängigkeit endlich den ganzen Kosovo kontrolliert.

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